Lindsay Lohan, Britney Spears and Paris Hilton in einem Auto

„Die Nullerjahre waren eine grausame Zeit“

#Skinnytok, Ozempic, Size Zero – kommt mit Y2K auch der Sexismus der 2000er wieder? Die Autorin Sophie Gilbert analysiert in ihrem Buch „Girl vs. Girl“, wie die Popkultur der Neunziger- und Nullerjahre Frauenbilder formte und wie sie sich ins digitale Zeitalter übersetzt haben

Interview: Susanne Mohr
Thema: Identität
26. Juni 2025

fluter.de: In Ihrem neuen Buch „Girl vs. Girl“ beschreiben Sie die Popkultur der späten Neunziger- und frühen Nullerjahre als zutiefst frauenfeindlich. Welche Botschaften haben Boulevardpresse, Musikvideos und Filme jungen Frauen damals vermittelt?

Sophie Gilbert: Ich beginne das Buch im Jahr 1999 – damals war ich 16. Rückblickend scheint mir die gesamte Kultur aus diesem Jahr signalisiert zu haben, dass Sex Macht bedeutet. Britney Spears tanzte in Schuluniform in diesem zwar nicht supersexualisierten, aber definitiv augenzwinkernden Video zu „Baby One More Time“. Im Reality-TV wurden Frauen dafür belohnt, sich als Sexualobjekte zu präsentieren. Es war ein unbeschwerter Moment in der Popkultur, aber er hat Mädchen eine Botschaft vermittelt, die hinsichtlich ihrer eigenen Ambitionen, ihrem Selbstverständnis und ihrem Platz in der Welt sehr restriktiv war.

Wie können Popkultur und die Bilder, die sie vermittelt, unsere Wahrnehmung beeinflussen – insbesondere bei jungen Menschen?

Was meine Freundinnen und mich in unseren späten Teenagerjahren interessierte, war, was wir auf MTV sahen und in Zeitschriften lasen. Als Teenager kann man sich auf diese Weise selbst definieren. Man sucht sich die Musik aus, die man mag, die Klamotten, die man tragen will, man experimentiert auf all diese verschiedenen Arten. Und das ist aufregend, solange es eine Vielfalt an Möglichkeiten gibt, man selbst zu sein. Aber in den Nullerjahren war es wirklich eine Art Monokultur. Es war Britney Spears oder Christina Aguilera, dieser sehr enge Blick darauf, wie Frauen und Mädchen auszusehen und sich zu verhalten hatten.

Girl vs Girl Buchcover

„Girl vs. Girl. Wie Popkultur Frauen gegeneinander aufbringt“ (336 Seiten) von Sophie Gilbert ist im Piper Verlag erschienen

Momentan erleben viele Trends aus dieser Zeit ein Comeback – am deutlichsten sichtbar in der Mode: Y2K-Styles wie tief sitzende Jeans oder sichtbare Tangas. Welche Körperbilder stecken hinter diesen Trends?

In der Mode der Nullerjahre ging es vor allem um Entblößung. Die kleinsten Tops, die am tiefsten sitzenden Jeans, die so viel Haut wie möglich frei ließen. Die Popstars und Models dieser Zeit waren extrem dünn und es gab jede Menge Bodyshaming in der Presse. Kate Winslet bekam den Spitznamen „Kate-weighs-a-lot“ verpasst, nachdem sie in Titanic mitgespielt hatte und Victoria Beckham musste sich nach der Geburt ihres Sohnes in einer Talkshow auf die Waage stellen, um zu beweisen, dass sie zurück auf ihrem „Normalgewicht“ war. Eine wirklich grausame Zeit, was das Bewerten von Frauen und ihren Körpern anging. Und die Mode verschärfte das noch, weil man sich nirgends verstecken konnte.

In den 2010er-Jahren kam die Body-Positivity-Bewegung auf, aber aktuell kommen Begriffe wie Heroin Chic oder Size Zero zurück, und Diätmittel wie Ozempic sind extrem populär. Warum sind diese Schönheitsideale so hartnäckig?

Ich denke, dass die Body-Positivity-Bewegung wirklich wichtig war. Wir sehen jetzt viel weniger Fat Shaming im Internet als in den Nullerjahren. Doch es wird immer Trends geben, die ganz besonders Frauen das Gefühl vermitteln, nicht gut genug zu sein. Denn so werden schon seit Hunderten von Jahren Produkte verkauft. Meine Hoffnung ist, dass die Rückkehr dieser Trends nicht bedeutet, dass wir sie akzeptieren müssen.

Ein weiteres Phänomen, das in den letzten Jahren wieder aufgetaucht ist, ist die Infantilisierung von Frauen. Etwa in der Sprache, wo zunehmend von „Mädchen“ statt von „Frauen“ gesprochen wird – worauf Sie ja im Buchtitel anspielen.

In den Neunzigern gab es einen kulturellen Shift weg von selbstbewussten erwachsenen Frauen hin zu Teenagern. Man kann das in der Mode sehen, die Supermodels der Achtziger und Neunziger wurden durch viel jüngere Frauen wie Kate Moss ersetzt, die viel zarter und zerbrechlicher waren. In der Musik ging es weg von Sinéad O’Connor und Madonna hin zu Britney und Christina und all den Teenie-Popstars. Ich würde sagen, das war zum großen Teil eine Reaktion auf die Aids-Krise. Teenager fühlten sich als Sexualobjekte sicherer an, weil sie jung und unschuldig waren.

Heute gibt es Memes wie „I’m just a Girl“, „Girldinner“ oder „Year of the Girl“ – warum sind wir jetzt wieder an diesem Punkt angelangt?

Es hat sich einiges getan: Donald Trump, die Aufhebung von Roe vs. Wade (Gerichtsurteil, das in den USA seit 1973 das verfassungsgemäße Recht auf Abtreibung regelte, Anm. d. R.), der Aufschwung der Manosphere – für Frauen fühlt es sich nicht gut an da draußen. Daher kann ich diesen Impuls, in den Raum der Girlhood zurückzukehren, gut verstehen. Dort fühlten wir uns sicher, unsere Ambitionen wurden respektiert, und die Fantasie konnte sich frei entfalten. Ich interpretiere diesen Trend als Wunsch, wieder mehr Raum für Freiheit, Kreativität und Sicherheit zu finden.

Neben der Manosphere gibt es heute so was wie die „Womansphere“: Tradwives, Stay-At-Home-Girlfriends oder #SkinnyTok. In Videos unter diesem Hashtag ermutigen sich junge Frauen dazu, weniger zu essen. Die Plattform hat den Hashtag inzwischen auf Druck der EU-Kommission gesperrt. Trotz des offensichtlichen Rückschritts – hat sich das Bewusstsein auf politischer Ebene verändert?

Diese Trends sind so beunruhigend. Es ist dieselbe Sprache, die ich in Zeitschriften gelesen habe, als ich 13 war. Der Unterschied ist, dass wir jetzt ein bisschen schlauer sind und besser erkennen, wann wir herablassend behandelt werden. Dass es ein größeres Interesse dafür gibt, Inhalte, denen junge Menschen online begegnen, zu verstehen und auch einzuschränken, halte ich für ein gutes Zeichen. In Großbritannien, wo ich lebe, gibt es derzeit eine Bewegung, die den Zugang zu Smartphones für Teenager einschränken will. Ich würde mir wünschen, dass auch Politiker:innen ihr Bewusstsein dafür schärfen, was Teenager im Internet zu sehen bekommen.

Sophie Gilbert

Sophie Gilbert, geboren 1983, lebt in London und arbeitet als Autorin für das US-amerikanische Magazin „The Atlantic“

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