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„Wir konzentrieren uns zu sehr auf Melonis faschistisches Erbe“

In Italien regieren jetzt Rechtsextreme unter Giorgia Meloni. Der Politologe Davide Vampa erklärt, was das für das Land bedeutet

fluter.de: Herr Vampa, bei den Wahlen im Jahr 2013 erhielt die Partei Fratelli d’Italia nicht mal zwei Prozent der Stimmen, jetzt wurde sie mit 26 Prozent stärkste Kraft in Italien. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Davide Vampa: Die vergangenen zehn Jahre waren für Italien sehr schwierig. Koalitionen aus verschiedenen Parteien haben abwechselnd regiert. Und die Fratelli d’Italia ist die einzige der großen Parteien, die dabei durchweg in der Opposition war. Die Leute haben sich schlicht der Partei zugewandt, die nie regiert hat.

Ist der Wahlsieg ein Erfolg der Partei oder einer der Parteichefin Giorgia Meloni?

In der Politik Italiens läuft fast alles über Personalisierungen. Die Parteichefs stehen im Mittelpunkt. Schauen Sie allein auf die Wahlplakate der Fratelli d’Italia: Das Parteisymbol, die grün-weiß-rote Flamme, ist ganz klein. Darüber thront Giorgia Melonis Name. Also ja: Sie war entscheidend. Sie ist eine gute Rednerin und wurde von ihren Gegnern unterschätzt. Da haben viele wohl nicht gedacht, dass die Menschen in diesem Maße für eine postfaschistische Partei stimmen würden.

„Giorgia Meloni ist nicht die Ursache von Italiens Demokratiekrise,
sondern eines ihrer Symptome“

Die Fratelli d’Italia wird oft „postfaschistisch“ genannt. Was bedeutet dieses Label?

Dass Fratelli d’Italia aus dem Erbe des italienischen Faschismus stammt. Ihr Wertesystem ist aber nicht eins zu eins vom Faschismus inspiriert, zumindest wenn man die öffentlichen Äußerungen analysiert. Es gab in der jüngeren Vergangenheit postfaschistische Vorgängerparteien, etwa die Alleanza Nazionale. Aber die waren anders als die Fratelli d’Italia.

Inwiefern?

Das faschistische System war sehr hierarchisch, sehr autoritär. Meloni aber hat aus Fratelli d’Italia eine rechtspopulistische Partei gemacht. Sie kombiniert das postfaschistische Erbe mit der populistischen Welle, die durch Europa und die Welt geht.

Ist die Partei gefährlich für die italienische Demokratie?

Es ist zu früh, um das zu beurteilen. Aber ich würde behaupten, dass die Demokratie Italiens auch ohne Meloni in einer Krise steckt. Das gesamte System ist seit den 1990er-Jahren im Ungleichgewicht, Meloni ist nicht die Ursache dieser Demokratiekrise, sondern eines ihrer Symptome.

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Gerade hat Meloni ihre erste Regierungserklärung als Ministerpräsidentin abgegeben. Sie war sehr bemüht, die neue Regierung als seriös zu präsentieren. Sie sagte, sie habe keine Sympathie für antidemokratische Regime, auch nicht für den Faschismus. Wie glaubhaft ist das?

Wenn ich sage, ich habe keine Sympathie für den Faschismus, ist das weniger eindeutig als zu sagen, ich verurteile ihn. Aber ich finde, wir konzentrieren uns zu sehr auf Melonis faschistisches Erbe. Eine postfaschistische Regierungschefin in einem rechtsradikalen Bündnis muss man genau beobachten. Und ich will niemandem die Sorgen ausreden.

Aber?

Andere Aspekte ihrer Regierung stellen noch größere Herausforderungen dar. Die Umwelt etwa. Ihr Vorgänger Mario Draghi hatte ein Ministerium für den ökologischen Übergang geschaffen, um Klima- und Wirtschaftspolitik zu koppeln. Meloni will daraus wieder ein reines Umweltministerium machen. Wer wird sich um den grünen Wandel, die Klima- und Energiefragen in Italien kümmern?

In ihrer Rede hat sich Meloni zur EU bekannt. Und gleichzeitig gefordert, dass die kein elitäres System mit erst- und zweitklassigen Ländern sein soll. Wird sie Italien anders in Europa positionieren?

Italiens Rechtspopulisten schwanken sehr in ihrer Haltung zur EU. Das ist fast schon eine Tradition. Extrem war Matteo Salvini, der als Innenminister vom Ausstieg aus dem Euro fantasierte. Meloni ist gemäßigter. Sie stellt sich die EU als ein Europa der Nationen vor. Ich erwarte, dass sie die transnationalen Institutionen wie die EU-Kommission oder das EU-Parlament kritisiert und selbst eher die Institutionen nutzt, in denen nationale Regierungen verhandeln, zum Beispiel den Europäischen Rat.

Was heißt diese Ablehnung gegenüber transnationalen Projekten für ihre Haltung gegenüber Russland und seinen Krieg in der Ukraine?

Russland könnte ein echter Streitpunkt für die neue Regierung sein. Unter den rechten Parteivorsitzenden hat Meloni Russland am entschiedensten verurteilt. Sie hat sich für den Export von Waffen an die Ukraine ausgesprochen. Wenn sie ihre Meinung nicht ändert, was ich glaube, könnte Meloni Druck von ihren Regierungspartnerinnen Lega Nord und Forza Italia bekommen. Matteo Salvini wird die Russlandfrage nutzen wollen, um die Lega als Partei zu profilieren, die jene Italiener unterstützt, die unter den Auswirkungen der Sanktionen leiden. 

 

Dabei wächst Italiens Wirtschaft gerade überraschend. Worum wird sich die Regierung innenpolitisch sonst kümmern müssen? 

Anfangs trotzdem um wirtschaftliche Themen. Es wird gerade viel über den Kampf gegen Steuerhinterziehung gesprochen, wobei rechte Regierungen da traditionell nachsichtig sind. Alle drei Regierungsparteien wollen Unternehmer und Anleger zufriedenstellen, weil die in Italien traditionell rechts wählen. Ich erwarte, dass Fratelli d’Italia und Lega darum wetteifern, wer in Migrationsfragen am härtesten ist. Als Innenminister war Salvini sehr bemüht, die Ankunft von Migranten in Italien zu verhindern.

Hat denn Meloni eine andere Haltung zur Migration? In Italien kommen viele Menschen an, die über die Mittelmeerroute flüchten.

Meloni hat gesagt, sie wolle „Migration an ihrer Quelle stoppen“. Sie will in nordafrikanischen Ländern wie Libyen Zentren einrichten lassen, in denen internationale Organisationen prüfen, ob jemand das Recht auf Asyl hat. Das mag erst mal vernünftig klingen, aber solche Zentren werden schnell zu regelrechten Gefangenenlagern. Was Meloni dabei auch nicht sieht: Italien ist in einer demografischen Krise. Das Land braucht Migranten, um die Renten seiner Bürger zu zahlen.

„Meloni ist keine Garantie für eine bessere Politik für Frauen. Wenn es um Frauen geht, sieht sie vor allem die Geburtenrate: Frau gleich Mutter”

Meloni sieht die demografische Krise schon. Sie scheint dabei aber vor allem über politische Maßnahmen zu sprechen, die die Menschen zum Kinderkriegen bewegen.

Ja! Zum ersten Mal haben wir eine weibliche Ministerpräsidentin, und trotzdem ist das Weltbild, mit dem sie regiert, ein sehr traditionelles. Meloni hat zwar gesagt, dass sich Frauen nicht zwischen einer Schwangerschaft und ihrer Arbeit entscheiden müssen sollten. Sie will deshalb aber Mütter finanziell unterstützen, nicht beide Elternteile. Eine Antwort auf die demografische Krise Italiens ist das nicht. Das Land braucht eine offenere Vorstellung von Migration. Oder eine stabile Wirtschaft: Viele Italiener bekommen auch deshalb keine Kinder, weil sie sich das nicht leisten können. 

Meloni ist – Sie sagten es eben – die erste Frau an der Spitze Italiens. Ist es nicht paradox, dass gerade eine rechte Partei das hinbekommt, wovon linke Parteien seit Jahren sprechen?

Das geht über Italien hinaus. Die rechtspopulistischen Parteien der drei größten Länder Europas werden alle weiblich geführt: Marine Le Pen in Frankreich, Alice Weidel in Deutschland, jetzt Meloni in Italien. Früher haben eher Männer Rechte und Rechtsextreme gewählt. Das hat sich geändert. Auch weil die Parteichefinnen feministische Themen instrumentalisieren. Le Pen zum Beispiel spricht sich regelmäßig für ein Hijabverbot aus.

Glauben Sie, dass eine Frau an der Spitze Italiens Politik für Italienerinnen macht?

Nein. Das ist keine Garantie für eine bessere Politik für Frauen. Sehen Sie, Meloni hat eher ein individualistisches Weltbild. Ihr Credo ist: Wenn ich es geschafft habe, können es andere Frauen auch schaffen, sie brauchen keine weitere Unterstützung. Meloni ist deshalb zum Beispiel auch gegen eine Frauenquote. Wenn es um Frauen geht, sieht Meloni vor allem die Geburtenrate: Frau gleich Mutter. Das Familienministerium wurde gerade zum Ministerium für „Natalität“.

Überhaupt tragen die neuen Ministerien seltsame Namen. Was machen Ministerien für „Made in Italy“ oder „Ernährungssouveränität“?

Beide Titel wurden öffentlich verspottet. Aber sie spiegeln natürlich Melonis Ideen wider. „Made in Italy“ steht für ihre nationalistische Idee, Italien in der Welt zu fördern. Unter dem Label der Ernährungssouveränität könnte Meloni lokale Produkte und Landwirtschaft fördern wollen. Der Titel erinnert aber stark an Mussolini.

… Benito Mussolini, den Begründer des italienischen Faschismus.

Mussolini wollte Italien seinerzeit autark, also wirtschaftlich unabhängig vom Rest der Welt machen. Das lässt mich vermuten, dass Meloni das Ministerium eher aus ideologischen, ja propagandistischen Gründen so genannt hat.

Davide Vampa ist Professor für Politik und Internationale Beziehungen an der Aston University in Birmingham.

Titelbild: GIANNI CIPRIANO/NYT/Redux/laif

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