
Quick & dirty #3
Wie fühlt sich Arbeit an, die viele brauchen, aber nicht viele machen wollen? Unsere Autorin macht Praktikum als Kammerjägerin
Er reicht mir zur Begrüßung nicht die Hand, sondern seinen Ausweis. Fred Finger, 53, ist TÜV-geprüfter Schädlingsbekämpfer. Sein Büro ist in einem Wohnhaus untergebracht. Ein Mitarbeiter koordiniert gerade die Termine der nächsten Wochen, als Fingers Handy klingelt. Ein neuer Kunde. Finger legt auf. „Ratten in Zossen.“ Die müssen warten, Finger ist ausgebucht. Wenn Ratten ins Haus kommen, dann meist durch die Toilette, erklärt er. „Wer nicht will, dass die beim Toilettengang Guten Tag sagen, sollte sich eine Rattenklappe ins Abwasserrohr einbauen.“ Mit diesen Bildern im Kopf geht es zum ersten Termin an den Berliner Stadtrand.
Im Hinterhof sind in den vergangenen Wochen Ratten gesichtet worden. An der Hauswand sind Löcher. Bei den Mülltonnen raschelt es. Finger streift sich Handschuhe über und prüft eine Falle, die er hier vor ein paar Tagen aufgestellt hat. Das Tötungsmittel seiner Wahl sind dieses Mal Hartwachsblöcke in bunten Farben, die an eingeschweißte Spülmaschinentabs oder Schwimmflügel erinnern.
Als Kammerjäger kümmert sich Finger um Schädlinge aller Art, um Schaben, Bettwanzen und Flöhe, Ameisen und Hornissen. Aber Fingers Herzensprojekt sind Ratten. Die sind in einigen Stadtteilen ein echtes Problem. „Was mich ärgert, sind die herumliegenden Essensreste“, sagt Finger. Achtlos fallen gelassene Snacks, Restaurantmülltonnen mit leckeren Abfällen, ein Food Court für Nager. Schätzungen zufolge kommt auf jeden Berliner eine Ratte, mindestens.

Der Kofferraum als Waffenschrank. Doch als Kammerjäger ist man nicht nur Henker, sondern auch Psychologe und Detektiv
Finger kontrolliert den Köder in der Falle. Bissspuren. Aber kleine. Mäuse, keine Ratten. „Kollateralschaden“, sagt Finger. Abgesehen davon, dass viele Menschen Nagetiere nicht leiden können, sind sie auch ein gesundheitliches Risiko: Ratten und Mäuse können unter anderem das Hantavirus übertragen, eine Erkrankung, die grippeähnlich verlaufen, aber auch mit Nierenversagen enden kann. Finger ist also nicht zu traurig über den „Kollateralschaden“, den seine Rattenbox angerichtet hat. Vielleicht hat eine Rötelmaus abgebissen, die in einem Busch in der Nähe ihr Ende gefunden hat. Finger sagt, „langsam entschläft“: Dieses Rattengift hemmt die Blutgerinnung im Körper, das Tier verblutet nach und nach innerlich.
Tote Tiere bekommt Finger daher selten zu sehen, sie sterben erst einige Tage nach seinem Einsatz. „Beerdigung gibt’s nicht“, sagt er. Aber Töten gehört zu seinem Beruf. Manchmal arbeitet Finger auch mit Schlagfallen. Wenn der herabsausende Metallbügel das Tier in der Falle nicht sofort tötet, muss Finger es selbst erschlagen. Dafür hat er einen japanischen Schlagstock gekauft. Wer keinen zur Hand hat, solle es mit einem Spatenstich durchs Genick versuchen, rät Finger. Wie man richtig tötet, also schnell und möglichst qualfrei, hat er in der Ausbildung gelernt.
„Wo alle rausrennen, gehen wir rein“
Finger sammelt die Fallen ein und bringt sie zu seinem Auto, das mit seinem Spirit Animal bedruckt ist: dem Gecko. Er ernährt sich von Schaben und anderen Schädlingen. Finger findet: Das passt zu ihm. Im Kofferraum regiert das Chaos. Er wühlt sich durch Kisten und taucht mit einer Sprühdose wieder auf. Kältespray. Damit nebel ich die Rattenfallen ein, damit es sich die Spinnen, die in die Box gekrabbelt sind, nicht im Auto gemütlich machen. Zum Glück die einzigen Tiere, die ich heute töten muss.
Aber Kammerjäger sind nicht nur Henker. Er sei auch Psychologe und Detektiv, sagt Finger. Detektiv, weil er oft erst ermitteln muss, wer der Schädling ist, wie er hereinkam und wie man ihn wieder loswird. Psychologe, weil Finger oft Leuten beisteht, die Ekel und Panik haben. Wer Schädlinge zu Hause hat, sei psychisch oft belastet, sagt er. „Wo alle rausrennen, gehen wir rein.“ Deswegen seien in seinem Metier viele Betrüger unterwegs, die die Unsicherheit ausnutzen und horrende Summen verlangen gegen Ungeziefer, das zwei Stunden später zurückkehrt.
Auch wenn es anders klingt: Fred Finger ist noch gar nicht lange Kammerjäger. Eigentlich hat er Krankenpfleger gelernt. Dann kam der Burn-out. Eine Berufsberatung brachte ihn auf die Schädlingsbekämpfung. „Gottes Wege sind unergründlich“, sagt Finger. Viele seiner Kollegen seien Quereinsteiger wie er. „Niemand wird mit dem Wunsch geboren, Kammerjäger zu werden“, sagt Finger und fährt zum nächsten Einsatz. In einer Ferienwohnung sind Ratten eingezogen.
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