„Eine Person kann über die Dächer von einem Ende Jerusalems ans andere Ende gehen”
Am 6. Dezember kündigte Donald Trump an, die US-amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Damit erkannte er Jerusalem, dessen umstrittener Status im Nahostkonflikt von großer Bedeutung ist, offiziell als Israels Hauptstadt an. Die militante palästinensisch-islamistische Hamas rief daraufhin zu einer dritten „Intifada“ auf: Das Wort beschreibt die mindestens zwei gewaltvollen palästinensischen Aufstände 1987 bis 1993 und 2000 bis 2005 gegen Israel, bei denen es zahlreiche Todesopfer gab.
Seit Trumps Ankündigung kam es zu mehreren Zusammenstößen und Gewalt zwischen palästinensischen Demonstranten und israelischen Soldaten. Im Westjordanland, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem streikten viele Bedienstete von öffentlichen Einrichtungen. Nach Raketenschüssen aus Gaza griff die israelische Armee mit Kampfflugzeugen Stützpunkte militärischer Einrichtungen im Gazastreifen an.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan rief Mitte Dezember einen Sondergipfel der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) ein, um über eine gemeinsame Antwort auf Trumps Statement zu beratschlagen. Staats- und Regierungschefs von mindestens 20 islamischen Ländern beschlossen auf Erdoğans Vorschlag, Ost-Jerusalem fortan als Hauptstadt Palästinas anzuerkennen. Außerdem sprachen sie den USA jedes weitere Recht auf eine Vermittlerrolle im Nahostkonflikt ab.
„Jerusalem ist durch seine Häuser verbunden und durch seine Bewohner geteilt”
Auch in Kairo, Amman, Beirut und Bagdad wurde nach dem Freitagsgebet am 8. Dezember lautstark gegen Trumps Entscheidung protestiert. In Deutschland fanden ebenfalls propalästinensische, aber auch antiisraelische und antisemitische Proteste statt. Merkel kritisierte die Entscheidung Trumps.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini betonte, dass die Europäische Union eine noch stärkere Vermittlerrolle zwischen den Konfliktparteien einnehmen wird. Und erst gestern hat die UN-Vollversammlung eine Resolution angenommen, die Donald Trumps Entscheidung über Jerusalem verurteilt und die USA dazu auffordert, die Entscheidung zurückzunehmen.
Während weltweit Proteste tobten, war der Fotograf Eugenio Grosso auf den Dächern Jerusalems unterwegs, die fast alle alten Stadtteile miteinander verbinden. Zwischen dem 1. und dem 12. Dezember hat er dort oben Bilder von Menschen gemacht, die ihrem alltäglichen Leben nachgehen: chassidische Juden, die an fußballspielenden, palästinensischen Jungs vorbeigehen, Liebespaare, Touristen, deren Wege sich mit Soldaten kreuzen.
„Die Dächer sind ein Ort, wo Politik und Separation vor der zeitlosen Schönheit der Stadt verblassen”
Die Dächer Jerusalems sind ein zu weiten Teilen neutraler Ort, wo sich die oft voneinander getrennten Communitys treffen, begegnen – oder zumindest über den Weg laufen. Sie seien „ein Ort, wo Politik und Separation vor der zeitlosen Schönheit der Stadt verblassen“, sagt der Fotograf und zitiert auf seiner Website aus einem Buch des 1970 verstorbenen hebräischen Literaturnobelpreisträgers Samuel Agnon:
„Häuser berühren Häuser und Dächer berühren Dächer. Eine Person kann über die Dächer von einem Ende Jerusalems ans andere Ende gehen, es ist eine Stadt, die miteinander verbunden ist, sagte Avigdor in Anspielung auf die Psalme und seufzte tief. Jerusalem ist durch seine Häuser verbunden und durch seine Bewohner geteilt.“