Mobbing, dumme Kommentare, schräge Blicke – für Dominik Kuc, 20 Jahre, gehörte das zu seiner Schulzeit in Polen dazu. Dabei hatte er noch Glück. „Mein Gymnasium war relativ offen“, erzählt er. „Viele Lehrer haben mich unterstützt.“ Dominik ist in Warschau aufgewachsen, studiert Wirtschaftswissenschaften und setzt sich dafür ein, dass queere Jugendliche ihre Schule als sicheren Ort erleben. „Niemand redete zu meiner Schulzeit über sexuelle Orientierung“, sagt er. „Ich hatte Angst, mich zu outen.“
Die Regierung in Polen möchte sexuelle Aufklärung an Schulen unter Strafe stellen
Damit ist Kuc nicht allein – weder in Polen noch in Europa. Laut einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte hält mehr als die Hälfte der Jugendlichen in der EU ihre Homosexualität in der Schule geheim. In Polen ist die Situation noch mal schlechter: „Hier werden die meisten Grundrechte der LGBT-Community verletzt“, sagt Milena Adamczewska-Stachura, die im Gleichstellungsbüro des Ombudsmannes für Menschenrechte arbeitet. 70 Prozent der polnischen LGBT-Jugendlichen denken einer Studie zufolge über Suizid nach. Erst Ende September erschütterte der Tod einer 12-Jährigen das Land. Sie soll sich wegen homophoben Mobbings das Leben genommen haben. Schon 2017 hatte der Tod von zwei queeren Teenagern Dominik Kuc klargemacht, dass dringend etwas geschehen muss.
Zusammen mit der NGO „Kampagne gegen Homophobie“ (kph) erarbeitete er ein Ranking, das zeigen soll, wie offen Gymnasien für LGBT+-Anliegen sind. „Es unterstützt queere Schüler*innen dabei, sich für eine Schule zu entscheiden, an der sie sich wohlfühlen und sie selbst sein können“, sagt Kuc. 2019 haben rund 6.000 Warschauer Schüler*innen an der Befragung teilgenommen. Mehr als ein Drittel der Schulen kommt in dem Ranking gut weg. Trotzdem habe die Mehrheit der Gymnasien Probleme mit Homophobie. Abfällige Witze seien an der Tagesordnung, sagt Kuc, und manche Schulen würden ihren Schüler*innen verbieten, gleichgeschlechtliche Partner*innen zum Abschlussball mitzubringen.
„Wenn ich höre, dass mein Ranking nur einem Teenager hilft, gibt mir das die Motivation weiterzumachen“
Seit der ersten Auflage von Kucs Ranking vor zwei Jahren wird die Homphobie in Polen immer offener zur Schau getragen. 2019 machte die rechtsnationale Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Wahlkampf mit LGBT-Hetze und brachte einen Gesetzentwurf mit dem Namen „Stop pedofilii“ (Stop Pädophilie) ein. Der soll sexuelle Aufklärung an Schulen unter Strafe stellen – angeblich, um Kinder vor Frühsexualisierung zu schützen. Schon jetzt gehört Sexualkunde nicht unbedingt zum Unterricht. Sollte sie aber, findet Kuc. „Es geht dabei ja nicht nur um Sex, sondern auch um Prävention und die Aufklärung über Krankheiten“, sagt er.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass Polens Schulen das in nächster Zeit anerkennen. Seit Mitte Oktober ist Przemysław Czarnek von der PiS-Partei Bildungsminister. Statt Sexualkunde will er „Bildung fürs Familienleben“ in die Lehrpläne schreiben. Czarnek ist der Meinung, dass Frauen möglichst früh und möglichst viele Kinder gebären sollten und daneben vor allem für das „heimische Kaminfeuer“ zu sorgen hätten. LGBT+-Personen sind da nicht vorgesehen: Sie seien normalen Menschen nicht gleichwertig, sagt Czarnek.
Diese offenen Feindseligkeiten stacheln Dominik Kuc eher an. Aus der LGBT-Community erhält er viel Lob für sein Projekt. Auch Warschaus Bürgermeister Rafał Trzaskowski, ein liberaler Gegenspieler der konservativen Regierung, unterstützt ihn. Die polnische Ausgabe des „Forbes“-Magazins zeichnete Kuc für sein Engagement als eine der „25 unter 25“ einflussreichsten Personen im Land aus. 2021 möchte Kuc das Ranking gern in ganz Polen durchführen. „Gerade Schulen auf dem Land sind bei dem Thema oft noch weniger sensibel“, sagt er. „Wenn ich höre, dass mein Ranking nur einem Teenager hilft, gibt mir das die Motivation weiterzumachen.“
Titelbild: Mikołaj Maluchnik