Von der Globalisierung sind in erster Linie nicht Staaten als Gesamtheit, sondern Städte und Stadtregionen betroffen. Sie entwickeln sich zu Knotenpunkten im internationalen Netzwerk, sie werden zu Zentren von Kommunikation und des Austauschs von Informationen und Gütern, zu "global cities". Mit den Städten verändert sich auch das Leben der Menschen, die in ihnen leben – und das nicht nur in London, New York und Tokio. Im Jahr 2015 werden nach Schätzung der Vereinten Nationen 24 der 30 größten Städte in weniger entwickelten Staaten liegen. Klaus Segbers ist Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Für das Forschungsprojekt "global city regions" untersuchten er und sein Team mehr als zwei Jahre lang die Entwicklung von Johannesburg, Schanghai, Sao Paulo und Mumbai, ehemals Bombay. Ein Gespräch über Sicherheit als Luxus und riesige Slums, internationale Finanzströme und organisiertes Chaos.
fluter.de: Was macht eine Metropole zur global city?
Klaus Segbers: Man sollte zwei Begriffe auseinander halten. Einmal die"mega city" oder ganz einfach eine sehr große Stadt, und die "global city". Eine mega city ist einfach sehr groß mit 10 Millionen Einwohnern/innen und mehr Menschen. Global cities sind zwar meistens auch sehr groß, aber sie müssen zusätzlich in die internationale Wirtschaft eingebunden sein. Diese Einbindung erkennt man zum Beispiel an Transportbewegungen, also: Haben diese Städte internationale Flughäfen, die als gateways für eine ganze Region funktionieren? Gibt es Migrationsbewegungen und Kommunikationsströme in diese Städte und aus diesen Städten hinaus, Kapitalbewegungen, Investitionen?
Wie verändert sich das Leben der Bevölkerung in global cities?
In einer global city gibt es Reiche und sehr Reiche, und Arme und sehr Arme. Und die haben natürlich sehr unterschiedliche Weisen, in der Stadt zu leben. Die Reichen versuchen zunehmend, privat für ihre Sicherheit zu sorgen, die Armen haben diese Möglichkeit nicht, greifen aber teilweise zu Formen des zivilen Engagements, um ihre eigenen Interessen zu vertreten, zum Beispiel durch Komitees in ihrem Stadtviertel. Dann gibt es noch Manager/innen und Unternehmer/innen. Sie achten besonders auf die Unterhaltungs- und Dienstleistungsangebote: auf die Ausstattung der Flughäfen, auf das Theater, Kino- und Musikangebot der Stadt. Je nachdem, über welche Einwohnergruppe man spricht, gibt es unterschiedliche Interessen und unterschiedliche Formen des Engagements.
Besteht die Gefahr, dass Sicherheit in einer global city zu einem Luxusgut für Reiche wird?
Das ist tatsächlich eine Gefahr, mit der kaum umzugehen ist. Durch die enormen sozialen Unterschiede haben die armen Leute immer eine Alternative vor Augen, sie brauchen nur ihr eigenes Stadtviertel verlassen und sehen ganz andere, angenehmere Lebensweisen. Viele dieser Menschen sind arbeitslos, sie wissen nicht, was sie Sinnvolles tun können. Und dann werden sie zusätzlich noch ständig mit Konsumangeboten überflutet, durch Werbung und Fernsehen. Das setzt sich oft in Kriminalität um. Die schlimmste Situation herrscht seit Jahren in Johannesburg und Sao Paulo. Menschen, die sich das leisten können, ziehen dann natürlich in die Viertel, wo die Mittelschichten und die reichen Menschen leben und erkaufen sich ihre Sicherheit über private Wachdienste. Die Armen bleiben in den Slums und Favelas zurück. Der einzige Ausweg ist, die Entwicklung der Mittelschicht zu stärken. Denn diese Menschen sind bereit, sich für die Entwicklung ihrer Stadt zu engagieren.
Tun die Armen in global cities auch etwas für ihre Sicherheit?
Ja, das gibt es. In den schwierigsten Vierteln von Johannesburg haben Bürger/innen Straßenkomitees eingerichtet, die sich um die Sicherheit kümmern und versuchen, orientierungslosen Jugendlichen zu helfen. Auch der Drogenhandel soll zurückgedrängt werden, aber das ist sehr schwierig, wenn die kommunale Verwaltung versagt. Es ist das Geschäftsprinzip der Mafia, alternative Ordnungsstrukturen anzubieten, das gibt es auch in Europa. Und in den mega cities und global cities der Dritten Welt gibt es ebenfalls alternative Ordnungsstrukturen, oft finanziert aus Drogengeldern. Dann kümmert sich die Mafia um "Sicherheit" und "Ordnung" auf den Straßen.
Heißt das, dass eine global city ein Nährboden für kriminelle Strukturen ist?
Das kann man nicht verallgemeinern. Die Vergangenheit der Städte ist wichtig. Es gibt Städte mit viel Kriminalität wie Johannesburg oder Sao Paulo, es gibt aber auch Städte wie Schanghai mit 16 Millionen Einwohnern/innen, wo es so gut wie keine Straßenkriminalität gibt, kaum Aggressionen. Alle drei sind sehr große global cities. Die Erklärung für die unterschiedliche Kriminalitätsrate sind die Kultur und die Vergangenheit der Städte. Die Gesellschaften, die in Asien oft besonders konfuzianisch geprägt sind, haben eine andere Form der Konfliktaustragung als in Lateinamerika oder Südafrika. Man kann also nicht verallgemeinern, je globaler, desto gewaltsamer.
Immer mehr Leute ziehen in die global cities – welche Probleme entstehen dadurch?
Interessant ist ja erst mal die Frage, warum die Leute überhaupt alle in diese Städte wollen. Das hat viel mit Mythen zu tun. Die Zuwanderer glauben, dass in der Stadt in kurzer Zeit all ihre Probleme gelöst werden. Ein Beispiel ist Mumbai, wo jeden Tag hunderte Familien zuwandern, obwohl jeder weiß, dass es dort jetzt schon riesige Slums gibt, arme Menschen leben dort auf der Straße, hinter Holzverschlägen. Das liegt sicher an der Mythenbildung über Mumbai, die auch die indische Filmindustrie, also "Bollywood" produziert. Wenn die Menschen dann einmal da sind, fangen sie erst mal ganz unten an. Normalerweise finden die Leute keine Plätze in den Innenstädten und siedeln sich am Stadtrand an, sie haben keine Adresse und kein Geld, sie können offiziell kein Telefon anmelden, keinen Strom, kein Wasser – und versuchen irgendwie über die Runden zu kommen.
Wie ist Ihr Zukunftsszenario für die global cities?
Die Zahl der global cities und mega cities wird immer weiter wachsen, es gibt vor allem in der südlichen Hemisphäre einen fast ungebrochenen Zustrom der Menschen vom Land in die Städte. Die Städte werden in der Zukunft Proportionen annehmen, die man sich heute kaum mehr vorstellen mag, im Bereich von 25-30 Millionen. Da ist es klar, dass krasse Unterschiede aufeinander prallen werden. Man muss versuchen, die Kerne der Städte zu stärken, durch die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, durch bessere Ausbildung für junge Menschen. Man muss die Menschen fördern, die zwischen der armen, isolierten Bevölkerung und den sehr gut Situierten stehen, also die Mittelschicht.
Lisa Zimmermann ist freie Journalistin in Berlin.