Jetzt bin ich also zurück in Accra, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, die ich so gut kenne wie keinen anderen Ort der Welt. Aber plötzlich ist sie mir ein wenig fremd.
Eins vorweg: Accra war immer schon weit von meiner Idealvorstellung einer Stadt entfernt. Mir kommt sie so vor wie eine Raupe, die sich einen Schmetterling verwandeln will. Ich wünschte, Accra wäre schon ein Schmetterling, aber das Raupenstadium dauert an.
Nicht die Stadt, sondern ich habe mich verändert. Nicht, dass ich eine Schmetterling geworden bin (ich war ja gar keine Raupe), aber ich habe plötzlich Augen wie ein Insekt – sozusagen den totalen Rundumblick. Die Straßenhändler, die einen ständig ansprechen, fallen mir noch mehr ins Auge. Oder der Plastikmüll in den verstopften Entwässerungskanälen entlang der Straßen. Der total chaotische Verkehr.
„Ich habe plötzlich Augen wie ein Insekt – sozusagen den totalen Rundumblick“
In Berlin war ich irgendwann so weit, dass ich nervös wurde, wenn der Bus 30 Sekunden Verspätung hatte. Hier muss ich mich wieder daran gewöhnen, dass ich es nie zu einer bestimmten Uhrzeit irgendwohin schaffe. Neulich saß ich wieder in einem „Trotro” – das sind zu Kleinbussen umgebaute Lieferwagen – und benötigte für eine Fahrt, die 40 Minuten dauern sollte, fast anderthalb Stunden. Ich dachte darüber nach, wie viel Lebenszeit ich schon vergeudet habe, weil die Trotro-Fahrer an jeder Straßenecke halten, um weitere Fahrgäste mitzunehmen oder der Verkehr einfach nicht von der Stelle kommt. Ich wusste immer, dass ich auf diese Weise viel Zeit verliere. Aber seit ich den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland kennengelernt habe, weiß ich erst wieviel.
Ich denke nun darüber nach, wie man ein effizientes Verkehrsystem nach Accra bringen könnte. Es würde viele Probleme lösen. Wenn es eine S-Bahn gäbe, könnten die Trotros von den Straßen verschwinden und die Luft wäre besser. Meist handelt es sich nämlich um stinkende CO2-Schleudern, die in Europa oder Asien ausgemustert wurden, und an denen oft noch die Aufschrift irgendeines Klempnerbetriebs in der deutschen Provinz klebt. Ohne die Trotros gäbe es auch nicht mehr so viele Straßenhändler, die den Fahrgästen Wasser und Essen in Plastiktüten verkaufen, die dann wiederum als Müll in der Landschaft landen und sogar die Strände so vermutzen, dass man dort nicht baden mag. Die Frage wäre dann natürlich, welcher Arbeit die Straßenhändler nachgehen könnten.
Ich muss also noch viel mehr über die Zukunft Accras nachdenken. Aber wenn ich immer schön lange im Trotro sitze, habe ich ja viel Zeit dafür.
Agomo Atambire ist 27 Jahre alt und kommt aus Ghana, wo er in der Hauptstadt Accra Biotechnologie studiert hat. Bis vor Kurzem hat er ein sechswöchiges Praktikum in der Redaktion von fluter absolviert, nun ist er zurück in Accra. Er möchte jetzt seinen Master machen, und denkt darüber nach, das in Deutschland zu tun.
Teil 1: Ein Mann sieht grün – Über Bäume, Pflanzen und CO2
Teil 2: Hartes Brot – Verwunderung über Essgewohnheiten
Teil 3: Wer raucht das schon – Ärger über zu viel Zigaretten
Teil 4: Hier war der Terror – allgegenwärtige Nazizeit
Teil 5: Love is all around me – Küssen in der Öffentlichkeit
Teil 6: Korrekt gefeiert – Über Festivals, Müll und Dreadlocks
Übersetzung: Oliver Gehrs