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Was sagt der Islam zur Impfung?

Ja. Zumindest laut Ärztin Dr. Hatun Karakaş. Sie fordert mehr Corona-Aufklärung – und geht als @dr.hatun bei Instagram voran

Dr. Hatun

fluter.de: Frau Karakaş, Sie sind Ärztin für innere Medizin und arbeiten in einem Krankenhaus. Die meisten dürften Sie aber als Dr. Hatun von Instagram kennen. Warum werben Sie dort so beharrlich für die Corona-Impfungen?

Hatun Karakaş: Jedenfalls nicht, weil es Spaß macht. Bei Posts fürs Impfen gibt es immer noch Gegenwind. Die Impfung ist sicher, schützt in hohem Maß vor schweren Verläufen und viele Menschen vor dem Tod. Als verantwortungsvoller Mediziner möchte ich diesen Schutz für alle Menschen. Also denke ich, dass mehr Menschen davon erfahren müssen. Viele schreiben mir, dass sie es bereuen, ihre Verwandten nicht überredet zu haben, sich impfen zu lassen.

Auch Ihr Vater hat sich infiziert.

Er wäre der klassische Patient mit schwerem Verlauf gewesen, hat es dank der Impfung aber gut weggesteckt.

Mussten Sie ihn von der Impfung überzeugen?

Mein Vater war schnell einverstanden. Aber meine Mutter musste ich bearbeiten. (lacht) Sie hat gesagt: Gott ist groß und er schützt mich. Das mag ja stimmen, aber man vertraut erst auf Gott, nachdem man selbst alles versucht hat, was er uns zur Verfügung stellt. Das bringt unsere Religion uns bei.

Als meine Eltern trotz Impfung Covid bekamen, haben sie gemerkt, dass die Impfung geholfen hat. Vor ein paar Tagen hat mein Vater mich gefragt, ob ich ihm einen Termin zum Boostern machen kann.

„Als ich als Dr. Hatun angefangen habe, gab es auf Instagram Frauen mit Kopftuch, die über Beauty-Themen gesprochen haben. Aber keine Ärztinnen“

Wie haben Sie als Ärztin die Pandemie bislang erlebt?

Wir sehen im Krankenhaus viele Schicksalsschläge, sehr traurige Fälle von Menschen, die alleine sterben. Gerade zu Beginn wurden die Verstorbenen einfach in den Sarg gelegt und mitgenommen, ohne dass sich die Familien verabschieden konnten. Durch die Mutationen sind nun mehr junge Menschen betroffen, bei der Delta-Variante auch viele Schwangere. Sie können schwere Verläufe haben, zum Teil lebensgefährliche für sie und das ungeborene Kind. Viele Fälle könnte man durch medizinische Aufklärung vermeiden – die viele migrantische und muslimische Communitys nicht erhalten.

Also kam Ihnen die Idee, Ihr Wissen über Instagram zu teilen.

Mir als Ärztin ist es wichtig, dass jeder eine Krankheit versteht und weiß, welche Schutzmöglichkeiten es gibt. Warum gibt es noch keine Covid-Medikamente? Was sind Mutationen? Müssen wir uns jetzt alle paar Monate impfen? Ich möchte, dass die Leute diese Dinge verstehen. Aber wo sollen sich migrantische und muslimische Communitys informieren? Es gibt nur wenige Ärzte, die aus medizinischer und religiöser Perspektive aufklären. Als ich als Dr. Hatun bei Instagram angefangen habe, gab es Frauen mit Kopftuch, die über Beauty-Themen gesprochen haben. Aber wenige Lehrerinnen, Rechtsanwältinnen oder eben Ärztinnen. Mittlerweile merke ich, dass ich für viele meiner Follower ein Vorbild geworden bin.

Sind Migrant/-innen besonders impfskeptisch?

Aktuell gibt es keine Belege, dass die Impfskepsis unter Menschen mit Migrationshintergrund verbreiteter ist. Im Gegenteil: Ein Blick auf die Bundesländer zeigt in kulturell weniger diversen Ländern niedrige Impfquoten. Auch Expert/-innen widersprechen solchen Pauschalisierungen – weisen aber (wie auch Hatun Karakaş) darauf hin, dass Migrant/-innen der Zugang zu Gesundheitsversorgung und seriösen Informationen oft erschwert wird.

Beobachten Sie bei Ihren Followern besondere Sorgen oder Bedürfnisse in der Pandemie? Immer wieder vermuten ja Politiker, dass Menschen mit Migrationshintergrund dem Impfen skeptischer gegenüberstehen.

In unserer Community sind viele anfällig für Verschwörungstheorien. Das liegt oft an Unwissenheit, häufig aber auch an der Angst von Menschen, die schlechte Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem machen: Sie fühlen sich wie Menschen zweiter Klasse behandelt, weil sie anders aussehen oder eine andere Sprache sprechen. Man schenkt ihnen weniger Zeit. Wenn der Hausarzt, der sich sonst nie kümmert, plötzlich zum Impfen drängt, kommt das nicht gut an. Solche Erlebnisse werden schnell auf das gesamte Gesundheitssystem projiziert. Mir scheinen da viele mehr zu vertrauen.

Tut die Bundesregierung genug, um migrantische Communitys zu erreichen?

Es gibt Initiativen und Kampagnen. Aber warum kamen die nicht früher? Ich glaube, man hat sich zu spät Gedanken darüber gemacht, wie man Menschen auf der Straße oder in Flüchtlingsheimen erreichen kann. Wenn ich in der Notaufnahme Ungeimpfte behandle, frage ich immer, warum sie sich nicht geimpft sind. Die meisten sagen, dass sie Angst haben. Man muss mehr Geld in die Aufklärung investieren. Ich erreiche über soziale Medien viele Menschen, aber was ist mit älteren Personen? Die haben höchstens ihre Hausärzte. Aber die haben selten Zeit, Patienten richtig aufzuklären.

Immer wieder schreiben Menschen, dass sie sich wegen Ihrer Aufklärung nun doch impfen lassen. Haben Sie ein Geheimnis?

Ich poste viele dieser Nachrichten. Und zwar nicht, um mir auf die Schulter zu klopfen, sondern um zu zeigen, dass die Impfung für viele gut funktioniert. Und ich versuche in meinen Storys, eine einfache Sprache zu benutzen. Viele Menschen – auch jenseits unserer Community – verstehen die Sprache von Medizinern nicht und können deshalb die Gründe für gewisse Maßnahmen auch nicht nachvollziehen.

Was sagt der Islam zum Impfen?

Überwiegend Ja. Über 90 Prozent der Fatwas, also der religiösen Rechtsgutachten, sprechen sich für die Impfungen aus. Einige wenige denken, dass in der Impfung Giftstoffe enthalten sind, die unser Glaube verbietet. Manche reden den Gläubigen ein schlechtes Gewissen ein. Ich habe extra einen Post dazu gemacht, weil es traurig ist, dass da die mehrheitliche Gelehrtenmeinung einfach ignoriert wird. Unserer Religion geht es um die Gemeinschaft, nicht um Einzelne.

Haben Sie sonst noch einen Tipp, wie wir gesund durch den Winter kommen?

Schwarzkümmelöl. Jeden Morgen einen Teelöffel. Das stärkt das Immunsystem.

Titelbild: Valeska Hoischen

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.