„Damit es keine weniger wird, hören wir auf.“ Punkt 13 Uhr am Mittwoch begann der Streik der Frauen in Argentinien, auch manche Männer legten demonstrativ für eine Stunde die Arbeit nieder. Um 17 Uhr folgten Protestkundgebungen in 22 Städten: Das Kollektiv #Ni Una Menos (Nicht eine weniger) und etwa 50 weitere Organisationen hatten zu dem landesweiten Streik aufgerufen, um gegen die häufigen Femizide, also geschlechtsspezifische Morde an Frauen, zu protestieren. Allein in diesem Oktober wurden in Argentinien schon 19 Frauen von Männern ermordet.
„Auf dem Heimweg will ich frei sein, nicht mutig“
Zur größten Demonstration in Buenos Aires kamen zehntausende Menschen. Aktivistinnen hatten einen „Miércoles Negro“, also einen schwarzen Mittwoch ausgerufen: Häufig ganz in schwarz gekleidete Frauen und Mädchen forderten ein Ende der Gewalt und trugen Schilder mit Aufschriften wie „Auf dem Heimweg will ich frei sein, nicht mutig“, „Wir werden nie wieder still bleiben“ und „Entschuldigt die Unannehmlichkeiten, aber wir werden ermordet“. In Mexiko, Bolivien, Chile, Paraguay und Guatemala fanden Solidaritätsmärsche statt.
Der zentrale Auslöser der aktuellen Proteste ist der am 12. Oktober bekannt gewordene Tod einer sechzehnjährigen Schülerin im argentinischen Mar del Plata: Lucía Perez war von mindestens zwei Männern vergewaltigt und misshandelt worden und starb nach Angaben der zuständigen Staatsanwältin an den Folgen der Vergewaltigung. Die beiden mutmaßlichen Täter wurden verhaftet und ihnen droht die Todesstrafe. Ein dritter Mann, dem vorgeworfen wird, bei der Vertuschung des Verbrechens geholfen zu haben, wurde ebenfalls verhaftet.
Der Bruder von Lucía Perez rief in einem auf Facebook veröffentlichten Brief zum gemeinsamen Handeln auf: „Dieses Mal hat es Lucía getroffen, diese bestialische geschlechtsspezifische Gewalt. Aber das nächste Mal könnte es dir passieren, oder der Person, die du am meisten auf der Welt liebst. Jetzt müssen wir Kräfte sammeln und auf die Straßen gehen, um alle zusammen zu rufen: Nicht eine weniger.“
Massenproteste gegen Femizid, Gewalt gegen Frauen und eine verbreitete Macho-Unkultur hat es seit Juni 2015 in vielen lateinamerikanischen Ländern gegeben: Sieben der zehn Staaten mit der höchsten Rate weiblicher Mordopfer weltweit befinden sich in Lateinamerika. Häufig fanden die Demonstrationen unter der auch in Argentinien namensgebenden Parole „Ni Una Menos“ statt. Der Satz stammt von der mexikanischen Dichterin und Aktivistin Susana Chávez Castillo. In einem Gedicht gegen die Serie von Frauenmorden in ihrer Heimatstadt Ciudad Juárez hatte sie geschrieben: „Ni una mujer menos, ni una muerte más“: Nicht eine Frau weniger, nicht eine Tote mehr.
Die Bilanz des Jahres 2015: Im Schnitt alle 32 Stunden wurde in Argentinien eine Frau ermordet
Laut der Nichtregierungsorganisation „La Casa Del Encuentro“ wurden in den letzten sieben Jahren mehr als 1.800 Frauen in Argentinien ermordet. 286 Morde sind im Jahr 2015 bekannt geworden, das entspricht einem Mord alle 32 Stunden. In neun von zehn Fällen sei der Täter der Freund oder Ex-Freund der Frau gewesen. In 39 Fällen habe es schon vor der Tat gewalttätige Übergriffe gegeben und die Frauen hätten den Täter angezeigt. Nur wenige Stunden vor dem Streik am Mittwochmittag wurde im argentinischen Tucumán eine 42-jährige Frau von ihrem Mann erstochen. Seit dem Verbrechen an Lucía Perez wurden damit mindestens vier weitere Frauen in Argentinien ermordet.
Seit 2012 hat Argentinien ein Femizid-Gesetz, das hohe Strafen bei häuslicher Gewalt vorsieht. In insgesamt sechzehn Staaten in Lateinamerka existieren spezielle Gesetze gegen häusliche Gewalt. AktivistInnen und andere Kritiker beklagen allerdings, dass die Gesetze nicht effektiv umgesetzt werden.
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