Vier Jahre ist es inzwischen her, dass ich den linken Niederrhein verlassen habe, um in die Schweiz zu ziehen und dort zu studieren. Zuvor hatte ich in Deutschland mein Abitur gemacht und meinen Zivildienst abgeleistet. Anfang 2009 reiste ich noch zwei Monate mit dem Rucksack durch Mittelamerika, bevor ich mich für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen (HSG) entschied. Die Uni hat einen guten Ruf in diesem Fachbereich. Interessant fand ich auch, was in St. Gallen rund ums Studium angeboten wird: die studentischen Vereine, die Karriereberatung der Uni, der Unisport, das Alumni-Netzwerk.
Ich bin jetzt 25, im nächsten Jahr werde ich mein Masterstudium abschließen. Wenn man mich heute fragt, ob die Entscheidung, in die Schweiz zu gehen, richtig war, dann würde ich das vermutlich bejahen. Denn mit der Ausbildung bin ich sehr zufrieden. Und ich habe hier viele Menschen kennengelernt, Schweizer wie Deutsche, die ich nicht mehr missen möchte – auch in meiner WG, in der ich zurzeit der einzige Nicht-Schweizer bin. Allerdings dauert es hier länger, bis man miteinander warm wird. Gerade, wenn man mit einer eher offenen und direkten Art aufgewachsen ist, wie ich als Rheinländer, dann fällt einem das auf.
Konkurrieren um wenige Studentenjobs
Für mich hat das Leben in der Schweiz viele positive Aspekte, aber auch einige negative. Zu den negativen gehören die höheren Lebenskosten: Die bekommt man als erstes zu spüren, wenn man die Grenze überquert. Dafür sind aber auch die Löhne entsprechend höher. Ich kellnere gelegentlich, um über die Runden zu kommen. Allerdings sollte man sein Curriculum genau im Blick haben, wenn man nebenbei arbeiten und in der Regelstudienzeit mit guten Noten fertig werden will. Findet man doch die Zeit, dann trifft man gleich auf das nächste Hindernis: Die Schweiz und gerade St. Gallen sind klein, dementsprechend gibt es nur wenige Studentenjobs.
In Städten wie Zürich oder Genf ist das anders, habe ich gehört – allerdings sind die Mietpreise dort auch noch mal eine ganze Ecke höher. Genf zum Beispiel zählt zu den teuersten Städten der Welt. Für die höheren Abgaben bekommt man in der Regel aber auch mehr geboten, gerade im öffentlichen Dienst. Am stärksten fällt mir das beim größten Verkehrsbetrieb des Landes auf, der SBB [Schweizerische Bundesbahnen], dem Schweizer Pendant zu Deutschen Bahn. Man könnte sagen, die SBB ist so oft pünktlich, wie die DB Verspätung hat: nämlich fast immer.
Rechtspopulistische Strömungen
Also ist in der kleinen Alpenrepublik alles besser? Warum sollte man dann nicht gleich die Koffer packen und es einfach ausprobieren? Nun ja: Der Tipp von dem El Dorado mitten in Europa hat bereits vor langer Zeit die Runde gemacht. Und das hatte und hat Konsequenzen, die meine sonst eher positiven Erfahrungen getrübt haben. Inzwischen sind es fast eine viertel Millionen Deutsche, die in der Schweiz leben. Für ein Land mit insgesamt nur knapp acht Millionen Einwohnern ist das eine Menge.
In der Schweiz gibt es sehr starke rechtspopulistische Strömungen. Man bekommt das zu spüren, wenn man unter Eidgenossen lebt, früher oder später. Besonders rechts ist die Schweizerischen Volkspartei (SVP), die größte Fraktion in der Bundesversammlung, dem Schweizer Parlament. Sie hat großen Rückhalt in der Bevölkerung, und sie ist die finanzstärkste aller Schweizer Parteien. Vor einer Volksabstimmung, bei der es zum Beispiel um unerwünschte Ausländer geht, findet man dann eine mehrfarbige Parteizeitung der SVP in seinem Briefkasten, in der lang und breit und mit fragwürdigen Argumenten dargelegt wird, warum die Deutschen oder andere Nationalitäten die Wurzel allen Schweizer Übels seien.
Dieser Strömungen sollte man sich durchaus bewusst sein. Denn solange man nicht eingebürgert ist, und das dauert zwölf Jahre, hat man auch kein Wahlrecht in der Schweiz. Das wird spätestens dann unangenehm, wenn es um Volksentscheide geht, die einen als Ausländer betreffen.
Bleiben oder gehen?
Soll ich also in der Schweiz bleiben? Und später nicht mehr nach Deutschland wechseln können? Wenn ich in der Schweiz bleibe, dann werde ich nach meinem Studium schlicht und ergreifend mehr Geld als in Deutschland verdienen – und ich werde auch nur etwa 20 Prozent an Steuern zahlen. In Deutschland würde ich etwas unter 50 Prozent meiner Einkünfte zahlen. Auf der anderen Seite aber missfällt mir der Gedanke, in einem Land zu leben, in dem ich kein politisches Wahlrecht habe. Ein Land, dessen rechtspopulistische Strömung mit jedem Einwanderer stärker wird. Ich habe mich noch nicht entschieden.Nächstes Jahr werde ich mein Studium abschließen. Daher steht die Frage im Raum, wo ich mich nach meinem Studium niederlassen will. Ich habe mich auf den Bereich Wirtschaftsprüfung spezialisiert, der immer noch stark von nationalen Regulierungen geprägt ist. Konkret bedeutet das für mich, dass es nach einigen Jahren Berufspraxis für mich nicht ohne weiteres möglich wäre, das Land zu wechseln, in dem ich meinen Beruf ausüben möchte.
*Name auf Wunsch des Autoren geändert