fluter.de: Frau Bernecker, was machen Sie als Trendscout eigentlich genau?
Ich besuche Fashion Weeks in Berlin, London, Paris oder Tokio, schaue mir Shows und Messen an. Dort analysiere ich den Status quo: Was ist auf den Laufstegen zu sehen, was ist in den Läden los, was kaufen die Leute, was tragen sie? Das Wichtigste: Ich beobachte meine Umgebung ständig.
Beobachten können Sie nur, was schon da ist. Wie leiten sie daraus ab, was kommen wird?
Dadurch, dass ich immer viel aufsauge, sehe ich, wovon schon zu viel da ist. Das ist langweilig. Im Moment zum Beispiel die 70er-Jahre-Klamotten. Die sind schon so oft wiedergekommen, dass der Trend eigentlich vorbei ist, bevor er richtig angefangen hat. Wenn mir aber etwas auffällt, das man lange nicht gesehen hat oder was man so noch nicht gesehen hat, dann weiß ich: Das hat Potenzial.
Die Mode hat sich enorm beschleunigt. Modebedürfnisse entstehen heute eher durch Blogs und Instagram-Posts von Celebritys als durch die Ideen von Designern. Trends sind kurzlebiger. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Ich arbeite unter anderem für einen Fashion-Forecasting-Service für Designer, Hersteller und Händler. Hier erarbeiten wir inzwischen zwölf Trends im Jahr statt zwei großen Vorschauen, weil das dem Rhythmus der Industrie besser entspricht. Außerdem berate ich Kunden individuell. Für die erarbeite ich zweimal im Jahr eine Präsentation mit Bildern, Texten, Keywords und Produkt- und Vermarktungsvorschlägen, die speziell auf das Firmenprofil zugeschnitten ist. Hier geht es eher darum, herauszuarbeiten, wofür die Firma steht.
Warum ist das wichtig?
Ich denke, das Trendconsulting bewegt sich weg vom rein Visuellen. Es geht mehr darum, Langzeittrends vorherzusagen. Dafür fange ich nicht mit Mode an, sondern viel allgemeiner mit soziokulturellen und politischen Entwicklungen. Da geht es um sogenannte Consumer Insights, also um Konsumentenverhalten, aber auch ganz allgemein darum, wie wir leben wollen.
Inwiefern finden sich soziokulturelle oder politische Entwicklungen in einem Schuh wieder?
Ich habe für einen Schuhhersteller ein Thema entwickelt, das ich „Re-Connect, Re-Charge, Re-Duce“ genannt habe. Ich habe festgestellt, dass es eine Gegenbewegung zur immer schnelleren, immer öffentlicheren digitalen Welt gibt. Menschen ziehen sich mehr ins Private zurück. Und wer sich ins Private zurückzieht, will nicht auffallen, bevorzugt pastellige Farben und schätzt an einem Produkt hochwertige Materialien und handwerkliche Qualität.
Denken Sie, dass sich nachhaltige Produktion durchsetzen wird?
Ich glaube, Nachhaltigkeit und gute Produktion werden sich immer mehr durchsetzen. Schon jetzt gibt es immer mehr Modelabel, die Slow Fashion produzieren, und der Konsument wird auch immer bewusster in Bezug auf Fragen, wo seine Kleidung herkommt, welche Materialien benutzt werden und wie produziert wird. Dadurch wird sich natürlich auch das Konsumverhalten ändern, und wir werden weniger, aber dafür bessere Qualität kaufen.
Welcher Modetrend wird uns in Zukunft beschäftigen?
Im Augenblick gibt es viele Gender-Diskussionen auf den Social-Media-Plattformen. Der Gedanke „Was ist feminin, was ist maskulin?“ ist nicht mehr aktuell, unsere Gesellschaft ist viel breiter gefächert. Man will sich nicht mehr in Schubladen stecken lassen, und das zeigt sich auch in der Mode. Die Male-Models von Guccis kommender Frühlings- und Sommer-Kollektion trugen Spitze und verspielte Blusen, und im großen Londoner Kaufhaus Selfridges gab es in diesem Frühjahr als sechswöchiges Projekt eine „Agender“-Abteilung, wo man geschlechterunspezifische Teile finden konnte.
Anne Bernecker hat Modedesign in Trier und London studiert, für verschiedene Designer wie Versace, Markus Lupfer und Strenesse gearbeitet. Sie unterrichtet in Düsseldorf an der „Akademie Mode & Design“, betreibt einen Streetstyle-Blog und arbeitet als Trend Consultant.
Bettina Homann schreibt über Mode und betreut als Redakteurin das Modebuch des Berliner Stadtmagazins „zitty“. Als Jugendliche wurde sie von ihren Popperfreunden auf dem Schulparkplatz mit einem Griff an den Kragen begrüßt (mit dem Label und Material eines Kleidungsstücks geprüft wurden) und hat seit damals eine Obsession für Äußerlichkeiten.