G
GENERATION, DIE
(lateinisch generatio „Zeugung, Nachkommenschaft“, griechisch genos „Gattung, Geschlecht“) Im eigenen Lebensverlauf kann man, je nach Alter, zur Großeltern-, Kinder- oder Enkelgeneration gehören. Im Schnitt gibt es etwa alle 25 Jahre eine neue Generation. Man spricht aber nicht nur bei familiärer Abstammung von Generationen. Auch gesellschaftlich bilden sich Generationen heraus. Jahrgangsgruppen, die zum Beispiel als Kriegsjugend, 68er, Generation X, Millennials bezeichnet werden, behalten das Label ihr Leben lang und altern gemeinsam mit ihren Generationsgenossen.
Aber warum spricht man überhaupt von unterschiedlichen Generationen in der Geschichte, und: Schert man da nicht Menschen eines Alters über einen Kamm? Wegweisend beschäftigte sich der Soziologe Karl Mannheim in den 1920er- Jahren mit dieser Frage. Eine Altersgruppe wird demnach zu einer Generationseinheit, wenn sie nach einem einschneidenden geschichtlichen Ereignis ähnliche Überzeugungen und Werte annimmt (Generationszusammenhang). Generationen kämpften darum, ihre Sichtweise in der Gesellschaft durchzusetzen und seien somit der Motor gesellschaftlicher Veränderung.
Es sind aber nicht nur politische Ereignisse (zum Beispiel Kriege, Revolutionen), die Generationen entstehen lassen, auch kulturelle Entwicklungen (zum Beispiel Digitalisierung, Einführung der Pille, Musikstile) tragen dazu bei. Seit den 1990er- Jahren rufen nicht nur Soziologen und Historiker neue Labels aus, sondern auch Journalisten und Personalberater. Ob ein Bestseller über die aktuelle Jugendgenera tion oder die neuesten Erkenntnisse über die Ziele junger Arbeitnehmer – beides kommt gut an in der Öffentlichkeit und bei Personalvorständen. Ein lukratives Geschäftsmodell. Von den Generationenlabels haben wir ein paar wichtige zusammengefasst:
A
ACHTUNDSECHZIGER
(*1940 bis *1950)
„Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren.“ Das war eine der Parolen, die unzufriedene Studenten um 1968 herum auf Demonstrationen riefen. Gemeint war damit die als stockkonservativ und spießbürgerlich empfundene Universitätslandschaft, in der noch viele Professoren lehrten, die schon in der Nazizeit Karriere gemacht hatten (der Talar ist ein knöchellanges Obergewand, das Gelehrte trugen und zum Beispiel Richter immer noch tragen). Auch in anderen Teilen der Gesellschaft entdeckten die 68er dringenden Reformbedarf: Abkehr von der rigiden Sexualmoral, Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, Aufarbeitung des Nationalsozialismus und Abrüstung – all das waren ihre Anliegen. Viele begeisterten sich für die kommunistischen Experimente in China und kritisierten die USA für deren Krieg in Vietnam. Heute sehen die einen in den 68ern den entscheidenden Impuls für eine starke Demokratie, andere glauben, dass durch diese Protestgeneration viele bürgerliche Werte – wie etwa eine intakte Familie – aufgeweicht wurden und dass die Bewegung ein Nährboden für Radikale war, von denen sich einige der damals gegründeten Baader- Meinhof-Gruppe, später RAF genannt, anschlossen (siehe im Heft zum Thema Generationen auf S.43).
B
BABYBOOMER
(*1955 bis *1965)
In den sogenannten Wirtschaftswunderjahren steigt die Geburtenrate in Westdeutschland stetig an – von Mitte der 1950er- bis Mitte der 1960er-Jahre von 2,1 Kinder pro Frau auf 2,5 Kinder. Diese geburtenstärksten Jahrgänge der Bundesrepublik finden ein abruptes Ende, als Mitte der 1960er-Jahre die Pille als Verhütungsmittel eingeführt wird. Rund acht Millionen Babyboomer leben noch heute, jeder zehnte Deutsche gehört dazu. In ihren Jugendjahren waren sie weniger radikal als die 68er, aber dennoch politisch. Sie protestierten weniger gegen die USA als vielmehr gegen AKWs und Umweltzerstörung. Der Beginn ihrer Berufslaufbahn fällt mit einer Zeit zusammen, in der es in den Industrieländern stetig aufwärts ging und der Staat viele Sozialleistungen verteilte. Viele Babyboomer bezogen jahrelang BAföG, bekamen später gut bezahlte, langfristige Festanstellungen und verdienten im Durchschnitt wesentlich besser als ihre Eltern und oft auch als ihre Kinder. Von denen werden sie schon mal als machtversessene Karrieristen angesehen, die an ihren Sesseln kleben – und bald die größte Schar von Rentnern stellen, die es je zu versorgen galt. Denn aus den Babyboomern werden ab 2020 Opa- und Omaboomer.
F
FLAKHELFER-GENERATION
(*1926 bis *1928)
Die traumatisierende Erfahrung, als Schülersoldaten dienen zu müssen, prägte eine eigene Generation. In den letzten beiden Jahren des Zweiten Weltkriegs mussten die 15- bis 17-Jährigen bei der Luftabwehr helfen. Bekannte Flakhelfer waren Joseph Alois Ratzinger (Papst Benedikt XVI.), der Schriftsteller Günter Grass oder der DDRSpion Günter Guillaume.
F
FRONT-GENERATION
(*1890 bis *1900)
Sie nahmen als Soldaten am Ersten Weltkrieg teil und waren überzeugt davon, dass diese Erfahrung sie selbst und die Gesellschaft im Allgemeinen zutiefst verändert hatte. Dazu gehörte neben dem SPD-Politiker Kurt Schumacher auch Adolf Hitler. Diejenigen, die diese Erlebnisse in Kunst und Literatur widerhallen ließen, werden auch der Verlorenen Generation (Ernst Jünger, Erich Maria Remarque, Otto Dix, Franz Marc) beziehungsweise in den USA der Lost Generation (Ernest Hemingway, T. S. Eliot) zugerechnet.
G
GENERATION „GIBT’S NICHT“
Kritiker werfen Karl Mannheim und manch anderem, der Generationen erforscht und betitelt, vor, dabei stets an männliche Jugendliche und gesellschaftliche Leitmilieus zu denken. Jemand mit wenig Bildungs- und Aufstiegschancen finde sich kaum in den herkömmlichen Generationenlabels wieder. Übrigens: Studien zeigen, dass sich Menschen heutzutage in Deutschland weniger als früher nach Alter und Generation unterscheiden. Viel wichtiger ist die soziale Herkunft. Die Gräben verlaufen also nicht nur zwischen Jung und Alt, sondern auch zwischen unterschiedlichen sozialen Milieus und Klassen.
K
KRIEGSJUGENDGENERATION
(*1900 bis *1912)
Den Ersten Weltkrieg erlebten sie als Kinder und Jugendliche. Zu jung, um an der Front zu kämpfen, empfanden sie dies als Schmach und verpasste Chance. In den 1920er-Jahren waren diese jungen Männer besonders empfänglich für Radikalisierung. Die „Generation des Unbedingten“ schätzte Kühle, Härte und Sachlichkeit. Nach dem politischen Sieg der Nationalsozialisten nutzten sie die Möglichkeit, um in die Führung des Nazistaats aufzusteigen.
S
SHELL-JUGENDSTUDIE
Was haben Zapfsäulen und Jugendkultur gemeinsam? Im Falle des Shell-Konzerns sehr viel. Seit 1953 finanziert er die Jugendstudie, die meist alle vier Jahre das Leben der 12- bis 25-Jährigen in Deutschland erforscht. Rund 2.500 Jugendliche geben Auskunft über ihre Ansichten zu Familie, Bildung, Beruf, Zukunft, Freizeit, Politik und Werten. Diese Forschungen haben in den letzten 60 Jahren so manche Unterschiede der Generationen festgestellt und Generationenlabels mit Daten unterfüttert (siehe auch im Heft zum Thema Generationen auf S. 5).
S
STURM UND DRANG
Hätte es damals schon Generationenlabels gegeben, wäre die Sturmund- Drang-Generation Ende des 18. Jahrhunderts sicher in aller Munde gewesen. Man las Goethes „Leiden des jungen Werther“, trug langes Haar, modische Kleidung. Eine erste deutsche Jugendrevolte – zumindest auf dem Feld der Dichtung, wo sich ihre Anhänger von den verstaubten und erstarrten Regeln der Literatur lösen wollten.
W
GENERATION WHAT?
Fast eine Million junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren aus 35 Ländern Europas haben im Jahr 2016 an der Jugendstudie „Generation What“ teilgenommen. Diese junge europäische Generation blickt gespalten in die Zukunft: 54 Prozent sind optimistisch, 43 Prozent eher pessimistisch. 87 Prozent sind der Meinung, dass die soziale Ungleichheit in ihrem Heimatland wächst. Der Politik trauen sie eher nicht zu, drängende Probleme zu lösen. 82 Prozent der jungen Menschen in Europa haben „kein Vertrauen“ in die Politik (davon haben 45 Prozent „überhaupt keins“ und 37 Prozent haben „eher keins“). Der niedrigste Wert findet sich in Deutschland: Hier haben lediglich 23 Prozent überhaupt kein Vertrauen in die Politik, wohingegen etwa in Italien 60 Prozent der Politik ihr Misstrauen aussprechen.
X
X
(*1965 bis *1980)
Als Generation X bezeichnet man die Alterskohorte, die sich erstmals mit weniger Wohlstand und ökonomischer Sicherheit begnügen muss als ihre Elterngeneration. Der gleichnamige Roman von Douglas Coupland von 1991 erzählt die Geschichte von überqualifizierten jungen Menschen in den USA, die sich mit Aushilfsjobs über Wasser halten und Angst haben, für die ökologischen und ökonomischen Sünden ihrer Eltern büßen zu müssen. Coupland kritisiert eine Wohlstandsgesellschaft, die auf Kosten der Jüngeren existiert. Mit dem Begriff Generation X spielt er darauf an, dass diese Generation sich den Labels der Werber und Journalisten entzog. In Deutschland prägte Florian Illies mit seinem Buch „Generation Golf“ den Namen dieser Generation. Im Gegensatz zu ihren Altersgenossen der Generation X genießen sie den erarbeiteten Wohlstand ihrer Elterngeneration und ruhen sich darauf aus. Die von den Älteren hinterlassenen ökologischen und ökonomischen Folgen des Wirtschaftsbooms stören sie nicht. Sie strebten nach Konsum, seien unkritisch, unpolitisch und errichteten eine „Ego-Gesellschaft“. Ihr Leben sei wie ein Volkswagen Golf: durchrostungssicher, konfliktscheu, gemütlich.
Y
Y
(*1980 bis *2000)
Wird auch MAYBE genannt. Mit dem Buchstaben Y war nicht nur die chronologische Fortführung im Generationenalphabet gefunden. Denn zufällig klingt „Y“ wie „Why“, ein gern genutztes Wort der „Millennials“. In der weltpolitischen Unsicherheit von 9/11 sozialisiert, stellen sie besonders am Arbeitsplatz gern vieles in Frage. Warum nicht mit der Chefetage Mittag essen und zweimal pro Woche Homeoffice machen? Work-Life- Balance ist die Melodie dieser Genera tion, der Sound dabei unpolitisch. Die großen idealistischen politischen Fragen geraten in den Hintergrund. Das Glück im Privaten und der Erfolg im Job sind wichtig. Bedingungslos Überstunden machen bitteschön nur, wenn es dafür auch Selbstverwirklichung und Gestaltungsspielraum gibt. Dann werden zur Not auch flexibel nach Feierabend die Mails gecheckt. Bevor man aber vor lauter Stress nicht mehr schlafen kann, sucht man sich lieber einen anderen Job. Laut dem Soziologen Klaus Hurrelmann prägt „eine suchende, sondierende Haltung, aber auch eine gewisse Wurschtigkeit“ das Leben der Generation Y. „Das Richtige gibt es nicht mehr.“
Z
Z
(ab *2000)
Schon als Kleinkinder wischten sie auf Touchscreens herum, eine Welt ohne Internet und Smartphone können sie sich nicht mehr vorstellen. Im Hamsterrad der Karriere wollen die Digital Natives nicht stecken. Arbeit und Privates sollen fein säuberlich getrennt sein. Unter dem Eindruck der Finanz- und Wirtschaftskrise sind sie aufgewachsen und geben sich nicht der Illusion hin, dass Renten und Arbeitsplätze überall sicher seien. Dann doch lieber realistisch denken: ein Job im öffentlichen Dienst, der Sicherheit gibt, und eine Familie gründen. Da das nach neuem Biedermeier und Spießbürgertum klingt, dem die großen politischen Visionen fehlen, wirft manch Alter dieser Generation angepasste Langeweile vor. Zu einem anderen Schluss kommt die aktuelle Shell-Studie: Hier wird eine Generation im Aufbruch beschrieben, die wieder zupacken, umkrempeln, neue Horizonte erschließen will und bereit ist, dabei auch ein Risiko einzugehen.