Zuerst sieht man Drohnen, die riesige Traumfänger über den Himmel ziehen. Dann taucht das Festival-Gelände wie eine surreale Oase zwischen Feldern und Palmen am Horizont auf. Im Zentrum der mit Zelten und Hütten übersäten Hügelidylle thront die „Solar Stage“, eine vier Meter hohe Sperrholzpyramide, in deren Inneren eine Bühne und ein DJ-Pult Platz finden. Hängeleitern führen auf das Dach. Menschen tanzen auf den Streben, den Seitentürmchen, selbst auf den winzigen Stufen pulsieren die Körper zur Musik. Das ganz ohne Schrauben zusammengesteckte Gerüst wippt gefährlich.
„So etwas würde in Deutschland nicht durchgehen, oder?“ lacht Montonn Jira. Der 39-Jährige ist einer der Gründer des im Niemandsland zwischen Bangkok und Pattaya aus dem Boden gestampften Musikfestivals. In Thailand kennt man ihn auch als Model, Musiker und Schauspieler. „Jay“, so nennt man ihn hier, ist eine schillernde Figur. Am Morgen konnte man ihn noch mit Glitzercape und Turban auf einem Mountainbike durch die eben zu Ende gebaute Festivalkulisse preschen sehen, hysterisch lachend wie ein König, der über seine Ländereien in Verzückung gerät.
Sein Partner Pranitan „Pete“ Phornprapha wirkt mit Cowboyhut und Gummistiefeln schon geerdeter. Seinem Vater gehört das Gelände. 361 Tage im Jahr spielen wohlhabende Thais hier Golf. Während der vier Tage Wonderfruit verwandelt sich der „Siam Country Club“ jedoch in ein Experimentierfeld für eine bessere Zukunft. „Fest der Ideen“ nennen es die Macher. „Wir dachten schon lange, dass ein Festival der perfekte Ort ist, um Menschen zu verantwortungsvollem Konsum und Ökobewusstsein zu inspirieren, weil man diese Dinge dort mit Musik, Spaß und sogar Dekadenz verbinden kann“, erklärt Phornprapha, dessen Vater in den 1990er-Jahren eine Umweltkampagne namens „Think Earth“ ins Leben rief.
Damals hatte in Thailand kaum jemand von globaler Erwärmung gehört. „Konzepte wie Recycling haben sich in Südostasien noch immer nicht durchgesetzt“, erklärt er. „Gerade in Thailand ist die Plastiktütenproblematik enorm.“
Während andere Festivals Müllwüsten hinterlassen und riesige Energiemengen verschwenden, will das Wonderfruit auf kleinem Raum zeigen, wie man Umweltverschmutzung minimiert: Plastik ist verboten, von den Bechern bis zum Besteck ist alles biologisch abbaubar. Die Bühnen sind fast durchweg aus Bambus, Kokos-Rattan oder Reisfaser konstruiert. Neben einem Kompost verfügt das Gelände über eine eigene Filteranlage, die das Wasser eines naheliegenden Sees zum Trinken aufbereitet. „Seit dem letzten Jahr sind wir CO2-neutral“, erklärt Phornprapha stolz. Erreicht wurde das, in dem man den ökologischen Fußabdruck der Festivalgäste in Mangrovenbäume aufrechnete und diese dann tatsächlich pflanzte. Die verästelten Mangroven sind einer der effizientesten Kohlenstoffdioxid-Speicher der Natur. 10.000 neue Bäume stehen dank des Wonderfruit-Teams nun im Thor Heyerdahl Climate Park in Myanmar. 5000 steuerten die Besucher selbst bei: Für jeden in der „Tree Hour“ zwischen fünf und sieben Uhr gekauften Drink wurde ein weiterer gepflanzt.
Klima-positiv trinken für ein gutes Gewissen – steckt dahinter vielleicht nur die Absicht, als vermeintlich selbstloser Klimaretter Kasse zu machen? Solche Vorwürfe des „Greenwashing“ weist Phornprapha zurück: Das sei nur eine grüne Lackierung, ohne „Ethos, Herz und Engagement. Bei uns kam zuerst der Wunsch, etwas für die Umwelt zu tun, das Festival wuchs langsam um diesen Gedanken herum. Wir messen ständig unsere Ergebnisse und lassen uns von Umweltorganisationen beraten, was wir verbessern können.“
In Zukunft wollen die beiden, die trotz wachsender Popularität auch im vierten Jahr keine Gewinne machen, verstärkt in Solarenergie investieren. Für die Energiespeisung der Bühnen seien sie noch immer auf Dieselgeneratoren angewiesen, geben sie zu.
Von einem missionarisch erhobenen „grünen“ Zeigefinger halten sie ohnehin nichts. Das Ökobewusstsein soll eher nebenbei einsickern, als „guter Ton und bestenfalls als Trend“, sagt Jira und grinst charmant: „Wir wollen Nachhaltigkeit sexy machen.“
So ist das Wonderfruit, das als idealistisches DIY-Projekt begann, heute vor allem eines: Ein professionelles Musik-und Wellness-Festival, das statt Müsli-Image hippen Zeitgeist verkörpert. Tagsüber können die Besucher Yoga- und DJ-Kurse machen oder im „Rainforest Pavilion“ Vorträgen zuhören, nachts zu DJ-Größen wie Richie Hawtin oder lokalen Stars wie Singto Numchok feiern. 13.000 Besucher sind im Dezember 2017 angereist. „Wonderer“ nennen die Macher sie liebevoll. Viele stammen aus den „Panther- und Tigerstaaten“ Singapur, Taiwan, Vietnam und Malaysia, die auf dem Weg zu Industrienationen ihre Umwelt hintenan stellten. Auch immer mehr Chinesen kommen, deren Ballungsräume wie nirgendwo sonst dringende Umweltlösungen verlangen. Den Großteil machen mit 48,5 Prozent aber Thais aus, viele von ihnen junge Hipster aus der Mittel- und Oberschicht, die sich den Eintrittspreis von 5,500 Baht (rund 140 Euro) problemlos leisten können.
Für die meisten Besucher steht der Öko-Aspekt nicht im Vordergrund, sondern das Sehen und gesehen werden. Viele tragen Federschmuck und Glitzer, knappe Outfits und wallende Hippiegewänder. Manchmal glaubt man, auf der asiatischen Version des Coachella gelandet zu sein, dem als Instagram-Catwalk verschrienen Festival in Kalifornien. Tatsächlich eignen sich die in die Natur eingebetteten Kulissen des Wonderfruit hervorragend für Selfies und andere Beweisfotos des eigenen, aufregenden Lebens. Auch immer mehr Modefirmen kommen für professionelle Shootings hierher. Das Konzept, Umweltschutzideen durch die Hintertür einzuschmuggeln, scheint aufzugehen.
Höhepunkt des Wonderfruit bleibt trotzdem jeden Morgen der Sonnenaufgang. Wie von einer magnetischen Kraft angezogen finden sich alle, die noch wach sind, zum letzten DJ-Set der Nacht an der Solar Stage ein. Von hier aus kann man am besten verfolgen wie sich der Himmel langsam verfärbt, von dunkelblau zu lila, von türkis zu rosa, bis die Sonnenscheibe schließlich hinter den Hügeln aufblitzt, und alles in gleißendes Licht taucht. Dann geht ein Jauchzen durch die Menge. Viele liegen sich in den Armen wie in einer Neujahrsnacht um 12. Es ist ein Gemeinplatz, der im coolen Öko-Utopia plötzlich selbstverständlich und wahr erscheint: Jeder neue Tag auf dieser Erde ist ein Grund zu feiern.
Fotos: Wonderfruit