Um Höheres zu erreichen, will Platon die Begierden beherrschen
Das Leben in der Matrix – diese Idee machte schon der antike griechische Denker Platon im Höhlengleichnis deutlich: Dort sind Menschen in einer Höhle angekettet und sehen nur Abbilder der realen Welt – als Schatten, die ein Feuer von draußen in die Höhle wirft. Was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, ist also nur ein fehlerhafter Abklatsch einer vollkommenen Welt, die unabhängig von Raum und Zeit existiert. Eine Kugel ist rund, diese Wahrheit gilt immer, egal, ob alle scheinbar runden Gegenstände unter dem Mikroskop Dellen und Ecken haben. Die Wirklichkeit ist also zweigeteilt („Dualismus“): in eine ewig-immaterielle „Ideenwelt“ und eine körperlichvergängliche „Sinneswelt“. Während uns Letztere wie im Höhlengleichnis täuschen kann, liegt das unfehlbare Wissen in der Ideenwelt, wo die Idee einer Kugel oder des „Schönen an sich“ objektiv existiert. Nur durch unser Denken gelangen wir aus der Höhle dorthin – denn unser Geist wohnt in der unsterblichen Seele, die vorübergehend zwar im Körper gefangen ist, aber eigentlich aus der Ideenwelt stammt. Wenn wir unsere Vernunft gebrauchen, kann sich die Seele an die Ideen erinnern und so auch das Gute und Gerechte erkennen. Aber auch der Körper spielt in Platons Erziehungsideal eine zentrale Rolle. Durch Sport lernen wir unseren Leib mit seinen Begierden zu beherrschen und schulen so auch unsere Seele.
Nach Aristoteles gibt es kein Denken ohne Körper
Aristoteles will die Philosophie seines Lehrers Platon vom Kopf auf die Füße stellen. Für ihn liegt das Wesen der Dinge nicht in den Ideen, sondern in den Dingen selbst. Ohne den Fußball und all die scheinbar runden Gegenstände kämen wir nicht auf die Idee des Runden. Die Idee reflektiert also, was die Sinne wahrnehmen. Damit rehabilitiert Aristoteles die Sinneswahrnehmung – und führt über die Hintertür eine unsterbliche Seele ein. Für Aristoteles ist diese wie für Platon ein universelles Prinzip, das dem Körper Leben einhaucht, aber selbst immateriell ist. Ein Teil der Seele, der „tätige Geist“, sei gar unsterblich – wenn auch nur als eine Art kosmisches Prinzip, das sich nach dem menschlichen Tod von jeder Individualität löst. Denn hier ist Aristoteles wieder Materialist – und Empirist: Gedanken werden erst durch Wahrnehmung mit Inhalten gefüllt. Kein Denken also ohne Körper, keine Erkenntnis ohne Erfahrung.
Natürlich kann man ohne Körper denken, glaubt Descartes
Der Franzose René Descartes war notorischer Zweifler. Weil uns nicht nur die Sinne täuschen, sondern auch der Verstand, etwa wenn wir träumen, stellte Descartes alles infrage. Was blieb, war der Zweifel – und das Denken: „Ich denke, also bin ich.“ So sei das Denken auch ohne Körper möglich, weil die Welt in zwei voneinander unabhängige Substanzen zerfalle: die Seele als immaterielle Innenwelt freien Denkens („res cogitans“) sowie das Körperliche („res extensa“), das als reine Materie Naturgesetzen folgt. Zum Leben brauche es die Seele entgegen antiker Auffassung aber nicht. Wahrnehmung und Bewegung sind mechanisch – womit (vernunftlose) Tiere zu „Maschinen“ werden. Der Mensch aber ist ein Doppelwesen mit Körper und unsterblicher Seele. Ziel ist es, dem vernünftigen Geist die Leitung über den schwachen Körper zu übertragen. Doch wie wirken Geist und Körper überhaupt aufeinander? Weil sich Descartes diese Frage stellte, gilt er als Vater des „Leib-Seele-Problems“ – das er aber nur unbefriedigend lösen konnte. Um die gegenseitige Beeinflussung von Körper und Geist zu begründen, behauptete er, die Seele sitze mitten im Hirn in der Zirbeldrüse.
Für Marx formen Besitz- und Machtverhältnisse unsere Ideale
Für den berühmten Kapitalismuskritiker Karl Marx hängt das Denken von der Ökonomie ab. „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ Im „dialektischen Materialismus“ befinden sich Sein und Bewusstsein zwar in einer Art Wechselwirkung, doch letztlich hängen soziale wie individuelle Glaubenssätze vor allem von ökonomischen, historischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten ab. Besitz- und Machtverhältnisse formen also maßgeblich unsere Schönheitsideale ebenso wie Vorstellungen von Gerechtigkeit oder Freiheit. Weil dies im Kapitalismus oft dem Erhalt von Machtstrukturen statt dem Wohle der Menschen dient, ist bei Marx auch von „falschem Bewusstsein“ die Rede. Doch die Welt ist nicht determiniert: Eine Veränderung der Verhältnisse ist möglich.
Einigkeit besteht darin, dass der Körper Einfluss auf den Geist besitzt
1979 sorgte der US-amerikanische Neurophysiologe Benjamin Libet mit einem Experiment für Aufsehen. Probanden sollten zu einem frei gewählten Zeitpunkt ihre Hand heben. Die Messung der Hirnaktivität zeigte, dass der unbewusste neuronale Impuls zur Bewegung vor der bewussten Entscheidung vorlag. Sind der menschliche Geist und das Bewusstsein also materialistisch auf Nervenaktivitäten reduzierbar? Dies würde unseren freien Willen und auch die auf der Schuldfrage basierende Rechtsprechung ad absurdum führen. Andere Wissenschaftler sind zurückhaltender, denn das Experiment hat eine Schwachstelle: Die Probanden wussten bereits, welche Handlung sie ausführen sollten, eine aktive Entscheidung war nicht mehr nötig. Bei einem anderen Experiment hat vor Kurzem der Forscher John-Dylan Haynes gezeigt, dass unser Bewusstsein ein Veto gegen unbewusste Entscheidungen einlegen kann. Die Debatte jedenfalls dauert bis heute an, besonders Philosophen widersprechen den Neurowissenschaftlern. Sie bezweifeln, dass sich komplexe Vernunftentscheidungen genauso wie das einfache Heben des Armes erklären lassen. Woran uns die Hirnforscher in jedem Fall erinnern, ist der Einfluss des Körpers auf unseren Geist.
Der Körper wird von den Mächtigen gestraft und zurechtgestutzt, sagt Foucault
Der französische Philosoph Michel Foucault sieht den Körper durch gesellschaftliche Machtstrukturen bestimmt – und durch die Herrschenden diszipliniert. Die Kirche predigt Enthaltsamkeit und Treue und macht die Sexualität des Menschen zum Gegenstand religiöser Gesetze und Diskussionen. Im Mittelalter sowie im Absolutismus wurden unter Folter Geständnisse erpresst und die körperliche Marter zur weitverbreiteten Strafe. Die Vernichtung des Körpers eines Straffälligen war auch eine Diszplinierungsmaßnahme für das Volk. Im 18. und 19. Jahrhundert verschwand die offensichtliche Brutalität zunehmend aus der Disziplinierung, der Körper wird nun laut Foucault eher subtil in öffentlichen Institutionen gefügig gemacht, in Gefängnissen, aber auch etwa in Schulen, Waisenhäusern, Kliniken und im Militär. Machtstrukturen werden so von den Einzelnen verinnerlicht. Ziel ist gleichsam ihre Unterwerfung und die Erhöhung der ökonomischen Nützlichkeit. „Der menschliche Körper geht in eine Machtmaschinerie ein, die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt. […] Die Disziplin fabriziert auf diese Weise unterworfene und geübte Körper, fügsame und gelehrige Körper.“ Für Foucault ist der Körper die Fläche, auf der sich die Macht einschreibt.
Spivak sieht den weiblichen Körper im Kapitalismus ausgebeutet
Für Gayatri Spivak, eine Mitbegründerin der postkolonialen Theorie, die in den heutigen Machtverhältnissen eine Fortschreibung kolonialer Herrschaftsstrukturen sieht und deren Überwindung anstrebt, ist besonders der weibliche Körper in Ländern des globalen Südens Schauplatz patriarchaler Übermacht und Leidtragender weltweiter Ungleichheit. Auf den Rücken der Arbeiterinnen in den Billiglohnländern realisieren transnationale Konzerne ihre Gewinne. So werden Frauen im Kontext eines ungebremsten Kapitalismus zum Objekt der Ausbeutung, ohne Möglichkeiten der politischen Teilhabe oder der Selbstrepräsentation – da, wenn überhaupt, andere über sie sprechen. Dies ist nach Spivak auch als Kritik an der hegemonialen Tradition vieler vermeintlicher Befreiungsdiskurse westlicher Intellektueller zu verstehen.
Nach Butler sind Körper und Geist kulturellen Normen unterworfen
Der zeitgenössischen Philosophin Judith Butler zufolge wird auch die körperliche Wirklichkeit davon geprägt, wie wir über etwas reden. Sobald die Hebamme sagt: „Das ist ein Junge“, folgen viele angeblich typisch männliche Zuschreibungen. Bereits in den 1970ern griffen Feministinnen die aus der Psychoanalyse und der Soziologie stammende Unterscheidung zwischen biologischem (sex) und sozialem Geschlecht (gender) auf, um auf die Unterdrückung der Frau hinzuweisen sowie darauf, dass Geschlechterrollen sozial konstruiert sind. Butler, selbst Feministin, lehnt den an Descartes anknüpfenden Dualismus zwischen angeblich unveränderlicher Natur (sex) und Kultur (gender) – also letztlich zwischen Körper und Geist – ab. Dies halte die Trennung zwischen „Mann“ und „Frau“ und damit verbundene Machtverhältnisse aufrecht. Für sie geht es eher darum, strikte Konstrukte aufzubrechen – also auch, unsere Körper neu zu denken.