Tag 2
Wann: Mittwoch, 25. April 2018, 13 bis 17 Uhr
Wo: Plenarsaal, Bundestag
Was: 28. Sitzung, u.a. Einsetzung von Ausschüssen, Mittagessen
Finding Pleno
Während sich manche schwertun, auf der Besucherebene des Plenarsaals die richtige Terrasse auszumachen, haben andere (ich) Probleme, die Besucherebene überhaupt zu finden. Für den gemeinen Besucher des Bundestags egal, weil ohnehin von Guides durch den Bau geschleust, für alle anderen ein Vorgeschmack auf die Komplexität von Politik: Nicht alle Aufgänge sind für alle zugänglich, nicht jeder Lift hält auf jeder Etage, und nicht jede Anfrage wird beantwortet.
Dabei haben sich die Architekten des Bundestags extra eine Art Ampelsystem ausgedacht. Man muss nur auf die Farbe der Türrahmen achten: Blau heißt stehen, Grün heißt gehen. Die Plenarsaalebene im ersten Stock, Türrahmenfarbe Blau, ist den Abgeordneten, ihren Mitarbeitern und Mitgliedern der Bundesregierung vorbehalten. Der zweite Stock, Türrahmenfarbe Dunkelgrün, ist für Besucher und Journalisten, die sich auf den 430 vorhandenen Plätzen bitte angemessen verhalten (angeblich, wir wollen aber nicht mit dem Finger drauf zeigen, wurden schon MedienvertreterInnen für ihr Herumlungern zurechtgewiesen). Darüber die Präsidialebene – Türrahmenfarbe Burgunderrot – und schließlich der Besuchermagnet: die begehbare Kuppel. Aber dazu ein andermal. Heute lieber noch mal Tacheles: Plenarebene. Nach dem dritten Anlauf ist auch der Passierschein A38 organisiert, und die Presseterrasse pünktlich zum Gongschlag gefunden.
13 Uhr: Drei Anträge, drei Minuten
„Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet“, bricht Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die ehrfürchtige Stille. Die Teens auf der Besucherterrasse trauen sich wieder zu atmen, es geht los.
Ausschüsse
In jeder Wahlperiode werden durch Beschluss des Bundestages zahlreiche ständige Ausschüsse eingesetzt, in denen die Fraktionen ihrer Stärke entsprechend vertreten sind. Ihre Aufgabe ist es, Gesetzesvorlagen inhaltlich zu beraten und Beschlüsse des Plenums vorzubereiten.
In der Regel steht jedem Bundesministerium ein Fachausschuss des Bundestages gegenüber. Grundgesetzlich vorgeschrieben ist die Einsetzung der Ausschüsse für Verteidigung, Auswärtiges, die Angelegenheiten der Europäischen Union und des Petitionsausschusses. (www.bundestag.de)
Tagesordnungspunkt 1: Abstimmung über drei Anträge zur Einsetzung und Umbenennung von Ausschüssen. Erstens beantragten CDU/CSU, SPD, AfD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen – also alle außer der FDP –, dass es künftig einen Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen gibt. Diskussionen sind keine vorgesehen, Schäuble geht sofort zur Abstimmung über. „Wer stimmt für diesen Antrag?“ Alle Hände schießen nach oben, die Stenografinnen notieren heftig. „Wer stimmt dagegen?“ Keiner. „Enthaltungen?“ Keine. „Dann isch des einstimmig so beschlossen“, verkündet Schäuble. Ab sofort hat Deutschland also einen 24-köpfigen ständigen Bau-Ausschuss. Oder sehr bald zumindest.
Zweitens wünscht sich Die Linke einen Ausschuss für „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ und meint damit eine einheitlichere deutsche Einheit. „Wer stimmt für diesen Antrag?“ Die Hände der Linken schnellen nach oben. „Wer stimmt dagegen?“ Quasi alle anderen. „Wer enthält sich?“ Ein paar vereinzelte. Antrag abgelehnt!
Und drittens wollen die Grünen, wohl als ein Zeugnis des demografischen Wandels, den Ausschuss für Gesundheit in „Ausschuss für Gesundheit und Pflege“ umbenennen. Selbes Spiel noch mal. Hände rauf, Hände runter, Hände rauf, Hände runter.
Diesmal gibt es Verwirrung: Haben die Grünen jetzt für oder gegen den Antrag gestimmt? Uneinigkeit und Gemurmel im Saal. „Sollen wir noch mal abstimmen?“, fragt Schäuble, Hand am Kinn, und mahnt, seine Meinung doch bitte gut ersichtlich zu erkennen zu geben. Es wären nur vereinzelte Grüne dagegen gewesen, klärt einer von den Grünen auf. Fällt aber eh nicht ins Gewicht – eine Mehrheit aus CDU/CSU, SPD und AfD war gegen die Umbenennung. Und schneller, als man Ausschuss für Gesundheit und Pflege sagen kann, ist das Thema vom Tisch. Es ist 13.03 Uhr.
Anwesenheit
Der Bundestag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Vor Beginn der Abstimmung kann die Beschlussfähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden fünf Prozent der Abgeordneten angezweifelt werden. Wird sie auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht, ist in Verbindung mit der Abstimmung die Beschlussfähigkeit durch Zählen der Stimmen festzustellen. Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen zählen dabei mit. (www.bundestag.de)
Die Besuchertribünen sind heute besser besucht als die Plenarebene. Gelten die Abstimmungen eigentlich, wenn nur so wenige Abgeordnete im Plenum sitzen?
In mindestens 20 Wochen pro Jahr finden Sitzungen statt. An Sitzungstagen besteht für die Mitglieder des Bundestages Präsenzpflicht; am Eingang gibt es einen Tisch mit Anwesenheitslisten und baumelnden Kulis zum Unterschreiben. Fehlt ein Abgeordneter an einem Tag, werden ihm 100 Euro von seiner Kostenpauschale abgezogen. Bei unentschuldigtem Fehlen 200. Bleibt der Sessel eines Abgeordneten einmal leer, heißt das aber nicht unbedingt, dass er schwänzt. Oft finden parallel zum Plenum Ausschusssitzungen oder Anhörungen statt. Vielleicht sitzt er aber auch in der Cafeteria.
Apropos: Zeit für eine Pause.
In der Cafeteria esse ich das gleiche wie Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen): Spinat-Quiche mit Kalamata-Oliven, Tomatenpesto, Salat und feiner Joghurt-Vinaigrette für unschlagbare 4,50 Euro. „Viele sind gerade auf einem vegetarischen Trip“, erzählt eine der Damen hinter der Theke, über ihr zwei Bildschirme mit Live-Übertragung aus dem Plenarsaal. Der Ton ist aber leise gedreht, beim Essen spricht man nicht über Politik. Am Nebentisch sitzt Alexander Gauland von der AfD und isst ein Croissant. Noch einen Tisch weiter mittagt Thomas Kemmerich von der FDP (Hühnerbrust). Im Schnitt trinken nach meiner Beobachtung hier zwei von dreien Bio-Zisch-Rhabarberschorle. Und mindestens drei von vieren nachher noch einen Kaffee, aus einer weißen Tasse mit kleinen Marienkäfern drauf. Egal wie man zu Glyphosat und den Taliban oder zu Migration und Wohnungsbau steht, in der Kantine sind alle gleich.
Foto: Andreas Pein/laif
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