Ein sowjetisches Ehrenmal kann vieles sein: ein Obelisk mit rotem Stern auf der Spitze. Ein Gräberfeld. Ein Park mit haushoher Soldatenskulptur. Zu finden sind die Ehrenmale in ganz Deutschland, vor allem in der ehemaligen DDR. In Berlin stehen drei monumentale Anlagen, die Denkmal und Friedhof zugleich sind. Die Sowjetunion war das Land mit den meisten Gefallenen im Zweiten Weltkrieg, allein in der Schlacht um Berlin starben etwa 80.000 Rotarmisten. Im Zentrum des größten sowjetischen Ehrenmals in Deutschland in Berlin-Treptow steht auf einem Sockel die zwölf Meter hohe Statue eines sowjetischen Soldaten, der ein Kind im Arm hält, unter seinem Stiefel ein Hakenkreuz, das er mit dem Schwert zerschlagen hat.
Ein paar Kilometer westlich davon, nahe dem Brandenburger Tor, ein weiteres Mahnmal: Auch dieses wurde von Kunstschaffenden aus der Sowjetunion entworfen und entstand auf Beschluss der Roten Armee – noch im selben Jahr, in dem die Sowjetarmee in die Stadt einmarschiert war. Auch hier eine Skulptur: Ein Rotarmist hat sein Maschinengewehr über die Schulter gehängt, ein Symbol für den beendeten Krieg. Mit der Hand grüßt er die gefallenen Kameraden, die dort bestattet liegen. Rechts und links von ihm je ein Kanonengeschütz und ein Panzer. Es sollen die ersten Panzer sein, die Berlin im Krieg erreichten, und jene Kanonen, deren Salven den „Sieg“ verkündeten.
Nach der Roten Armee kamen auch die US-Amerikaner, Briten und Franzosen nach Berlin, und das Mahnmal lag im britischen Sektor. Bewacht von sowjetischen Soldaten in Westberlin: eine Enklave in der Enklave also, einer der vielen Widersprüche deutscher und Berliner Geschichte im 20. Jahrhundert. Heute turnen auf den Kanonen Kinder herum, und vor den Panzern fotografieren sich Touristen.
Die sowjetischen Ehrenmale wurden für die gefallenen Sowjetsoldaten gebaut, aber in Wirklichkeit natürlich für die Menschen, die überlebt hatten. Trauerpathos, heroische Gesten, monumentale Sichtachsen sollten die Gemüter bewegen. Sie waren Signale des Sieges und der Unterwerfung, Zeichen der Selbstvergewisserung, Kundgebungsplätze, aber auch Orte, zu denen man Trauer und Leid tragen konnte. Von denen, die den Krieg erlebt haben, lebt fast niemand mehr. Aber auch den Menschen von heute erzählen die Mahnmale noch viel: von Krieg, Tod und Befreiung, aber auch von Kaltem Krieg, Teilung und Kunstauffassungen vergangener Epochen.
Jüngst geriet eines der alten Mahnmale in den Fokus: Die „Bild“-Zeitung und das Berliner Boulevard-Blatt „B.Z.“, beide aus dem Axel-Springer-Verlag, forderten im April 2014, dass die Panzer vom Mahnmal nahe dem Brandenburger Tor verschwinden sollten. Russland hatte kurz vorher die Krim annektiert, der Konflikt im Osten der Ukraine spitzte sich zu. „Bild“ und „B.Z.“ starteten eine Petition an den Bundestag, in der es hieß: „In einer Zeit, in der russische Panzer das freie, demokratische Europa bedrohen, wollen wir keine Russenpanzer am Brandenburger Tor!“ Obwohl es sich um sowjetische Panzer handelt und die Ukraine 1945 zur Sowjetunion gehörte. „B.Z.“ und „Bild“ begleiteten ihre Unterschriftensammlung mit Statements von Prominenten und Politikern und verkündeten „große Unterstützung“. Das Ergebnis im Mai, nach Ablauf der Petitionsfrist: 4.101 Unterschriften. 50.000 wären nötig gewesen, damit sich der Bundestag mit dem Anliegen beschäftigt. Aber auch dann hätte das wohl keine Auswirkung gehabt: Im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag vom 9. November 1990 verpflichtete sich die Bundesrepublik gegenüber der UdSSR, die Ehrenmale zu erhalten und zu pflegen.
Die Bundesrepublik hat diese Selbstverpflichtung bewusst getroffen. Die Mahnmale gehören zu Deutschland und erzählen etwas über die deutsche Geschichte. Wichtige Debatten kreisen heute um die Ereignisse in der Ukraine und Russland. Wer aber diese Debatten mit den Panzern am sowjetischen Ehrenmal verbindet, verursacht einen Kurzschluss. Denn das eine passt nicht zum anderen. Die sowjetischen Ehrenmale haben viel mehr mit Deutschland zu tun als mit Russland.
Zum Autor
Giuseppe Pitronaci arbeitet als freier Journalist in Berlin. Nebenbei zieht er mit Reisegruppen kreuz und quer durch Berlin und zeigt ihnen auch sowjetische Ehrenmale.