„Ich war einmal bei einer deutschen Freundin an Heiligabend. Da habe ich das so richtig mitgenommen, das Essen, den Weihnachtsbaum und alles“, erzählt Neslihan Küçükmotor lachend, „aber sonst habe ich Weihnachten noch nie gefeiert und will es auch nicht. Dazu bin ich echt zu religiös.“
„Heiligabend ist ein Tag wie jeder andere. Aber mir gefällt das Bling-Bling“
Die 31-jährige Berlinerin hat ein Staatsexamen in Jura, arbeitet zurzeit in der Verwaltung einer Sprachschule und ist Muslima. Einer muslimischen Gemeinde gehört sie nicht an. Für sie reichen die Lehren des Korans und wie sie sagt „ihr gesunder Menschenverstand“.
Kürzlich hat sie sich verlobt. Sie zeigt Fotos von der türkischen Kaffeezeremonie zur Verlobung in ihrer Wohnung in Berlin Kreuzberg, in der sie gemeinsam mit ihren Eltern lebt.
„Ich bin muslimisch, traditionell erzogen und Weihnachten spielt für meine Eltern, die aus der Türkei kommen, keine Rolle. Ich bin zwar hier geboren und aufgewachsen, aber auch für mich ist Heiligabend ein Tag wie jeder anderer“, erzählt sie.
Die Weihnachtszeit mag Neslihan trotzdem. „Ich verschicke seit Jahren Weihnachtskarten. Einfach so, an meine deutschen Freunde. Um zu sagen, Hey, ich denke an euch.“
Auch wenn sie ihre eigene Wohnung nicht schmückt, gefallen ihr die Dekorationen auf den Straßen. „Eine deutsche Freundin und ich haben so eine Art Weihnachtsbaum-Challenge. Wir fotografieren uns jedes Jahr unter anderen Weihnachtsbäumen und schicken uns die Bilder per WhatsApp. Mir gefällt ja eh so Bling-Bling. Deswegen liebe ich auch die Deko an den Weihnachtsbäumen.“
Früher hat Weihnachten sie gestört, weil alles geschlossen hatte
Als Studentin hat es Neslihan noch genervt, dass die Stadt an den Weihnachtsfeiertagen so ausgestorben war und alle Bibliotheken geschlossen waren. Seit sie arbeitet, genießt sie die freien Tage und nutzt sie, um runterzukommen.
Der wichtigste Feiertag für Neslihan ist Şeker Bayramı, das Zuckerfest nach dem Ramadan, dem muslimischen Fastenmonat. In diesem Monat essen und trinken Muslime nur vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang. Das Zuckerfest zum Fastenbrechen begehen sie und ihre Familie seit Jahren mit einem großen gemeinsamen Frühstück. Nach dem Gebet kommen alle Verwandten zusammen, die jüngeren bekommen Süßigkeiten und Geld geschenkt.
Das Zuckerfest als deutscher Feiertag? Nicht, wenn es nach Neslihan geht
Für Neslihan ist das Fasten ein wichtiges Ritual. Sie hat immer gefastet, auch während sie ihr Staatsexamen in Jura abgelegt hat: „Es geht darum, in sich zu gehen. Darüber nachzudenken, was man alles hat und wie dankbar man dafür sein kann.“ Ein zweiter muslimischer Feiertag, den Neslihan groß feiert, ist Kurban Bayramı, das muslimische Opferfest.
Die besinnliche Zeit des Fastens und das Zuckerfest sind für sie persönlich aber bedeutender. Dass das Zuckerfest bei einem Bevölkerungsanteil von rund fünf Prozent Muslimen in Deutschland auch ein eigener Feiertag werden sollte, findet Neslihan nicht.
„Was sollen dann die anderen sagen, wenn wir als Muslime jetzt für das Zucker- und Opferfest freibekommen würden? Dann möchten doch andere religiöse Minderheiten auch ihre Feiertage anerkannt bekommen. Wo zieht man dann die Grenze?“, fragt sie. Schließlich müssten sich Christen in der Türkei ja auch an Weihnachten freinehmen.
Collage: Bureau Chateau, Jannis Pätzold