Die Revolution beginnt in der Küche: Im neuen Film des Cannes-Preisträgers Bong Joon-ho lebt die finanziell abgebrannte Familie Kim in einem schäbigen Keller. Alle müssen sich durchschlagen, aber sie versuchen zusammenzuhalten. In Zeiten wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit in Korea spielt „Parasite“ mit Ideen von Missgunst gegenüber Reichen.
Und die kommt so ins Leben der Kims: Ki-woo, der Sohn der Kims, soll seinen Kumpel vertreten und der Tochter der reichen Familie Park Englisch beibringen. Das klappt dank Charisma und einem gefälschten Unizeugnis prima, und mit seinem neuen Job entwickelt Ki-woo bald einen Plan: Als „Kevin“ bringt er Schritt für Schritt seine eigenen Familienmitglieder als Hauspersonal bei den Parks unter. Seine Schwester wird zur Kunstlehrerin, der Vater zum Chauffeur, die Mutter übernimmt die Haushaltsarbeit. Bei den Parks ist das Leben in Ordnung. Und bei den Kims läuft es gut. Die Bezahlung ist toll, das Haus ein architektonischer Traum. Der Ausweg aus der Krise scheint geebnet.
Regisseur Bong Joon-ho benutzt die beiden konträren Lebensrealitäten als Modelle für das heutige Korea, ein Land, das heute – nach einem rapiden wirtschaftlichen Aufschwung in den letzten 50 Jahren – auch mit den negativen Effekten des Kapitalismus zu kämpfen hat: Die Arbeitslosigkeit steigt. Stellen für junge Arbeitsuchende sind besonders knapp. Fast alle Leitungspositionen im Land werden mit Absolvent*innen der Eliteuniversitäten besetzt. Zwischen 1980 und 2000 haben sich die Uniabschlüsse entsprechend vervielfacht. Die Jugend studiert heute unter enormem Konkurrenzdruck. Auch von den Familien geht Leistungsdruck aus: Die berufliche Perspektive der Kinder ist für viele Eltern eines der wichtigsten Themen.
Der Geruch von Armut
„Parasite“ wählt mit der Familie das treffendste Bild für die koreanische Situation. Und gemessen an koreanischen Klischees sind die Kims vergleichsweise anarchisch. Zwischen Eltern und Kindern besteht keinerlei Machtgefälle. Beim gemeinsamen Essen stoßen sie auf das an, was alle am meisten freut – selbst wenn es nur das unverschlüsselte WLAN der Nachbarn ist. Das Talent der Familienbande besteht in ihrer Lernfähigkeit: In kürzester Zeit bringen sich die Kims die Verhaltensweisen bei, die für die Arbeit in einer Luxusvilla vonnöten sind.
Was bleibt, ist der Geruch. Wenn Bong zeigt, dass Armut sich nicht einfach überspielen lässt, sondern als intimes Detail einem Menschen dauerhaft anhaften kann, wird klar: Sein Film will nicht einfach politische und moralische Fragen aufwerfen, sondern auch eine sinnliche Verhandlung führen.
Der Regisseur kommt vom Genrekino. Er wurde durch den feinsinnigen Mystery-Thriller „Memories of Murder“ (2003) bekannt, dann international durch seinen Öko-Monsterfilm „The Host“ (2006). Mit „Snowpiercer“ (2013) erzählte er von einem futuristischen Zug, der durch eine erfrorene Welt rast: Vorne beim Motor regiert die Elite, hinten vegetiert das Fußvolk. Ebenso zeigt „Parasite“, der für den Oscar nominiert ist, keine naturgetreue Welt, sondern ein vertikales Zeichenspiel: Das Villenviertel der Parks liegt auf dem Hügel über Seoul. Ihr Anwesen jedoch, das lernt man später im Film, könnte direkt aus einem Horrorfilm stammen. Im Keller, da brodelt es – so lange, bis das Unterdrückte nach oben dringt.
Foto: Koch Films