Vormittags im „Frea“, einem lichten Eckrestaurant in Berlin-Mitte: Messer klacken, Pfannen klappern, Autotune-Hip-Hop gluckert aus den Boxen. So ähnlich könnte das jetzt gerade auch in den etwa 7.000 anderen Restaurants der Hauptstadt ablaufen. Was das „Frea“ von diesen jedoch unterscheidet, ist etwas vergleichsweise Unscheinbares: Das Restaurant hat keinen Mülleimer.
Es ist das erste Zero-Waste-Restaurant in Berlin
„Alles, was wir wegwerfen, kommt in unsere Kompostiermaschine“, sagt Halfdan Kluften, der norwegische Koch mit raspelkurzen, blond gefärbten Haaren. „Aber das ist eh nicht viel.“ Der Norweger hat schon in berühmten Restaurants gekocht, zuletzt war er Souschef im „Silo“ – dem weltweit ersten Zero-Waste-Restaurant im britischen Brighton, das 2014 eröffnet hat. Dank der Kompostiermaschine „Gersi“ – der heimliche Star des Lokals – ist dieses mittlerweile auch ein bisschen berühmt. Es ist das erste Zero-Waste-Restaurant in Berlin und gilt als Vorreiter für ähnliche Konzepte in Hamburg und in Stuttgart.
„Gersi“ steht in einer Ecke, kurz vor den Toiletten, und läuft 24 Stunden am Tag. „30 Kilo Müll passen hinein, etwa drei Kilo Erde macht sie daraus“, erklärt David Suchy, der sich zusammen mit seiner Freundin Jasmin Martin das Konzept ausgedacht hat. Er hebt den Deckel auf der Oberseite der viereckigen Maschine. „Da kommen alle Schalen und Reste rein, also alles, was nicht fermentiert, eingelegt, eingekocht oder sonst wie weiterverarbeitet werden kann.“ Ein kleines dunkles Häufchen Erde liegt unten in der Trommel. Es riecht süßlich nach Waldboden. Einmal die Woche nimmt die „Wilde Gärtnerei“, ein Lieferant aus dem Umland, die Erde mit. Die Kräuter, die darauf wachsen, wandern wieder zurück ins Restaurant und landen auf den Tellern der Gäste.
Mit diesem Kreislauf will das Restaurant auf ein wachsendes Problem antworten. Wie gehen wir mit dem Müll, der tagtäglich anfällt, um, und vor allem: Wie kann Verpackungsabfall vermieden werden? Denn davon produzierte jeder Mensch in Deutschland 2017 durchschnittlich 226,5 Kilo, 23 Prozent mehr als noch im Jahr 2000. Die Deutschen produzieren riesige Müllberge, und das Gastgewerbe mischt da ganz vorne mit. Aber wie viel Müll genau produziert ein Restaurant?
Darüber gibt es nur ungefähre und recht unterschiedliche Schätzungen. Das Bundesumweltamt hat in einer Studie 2014 errechnet, dass pro Person jährlich 53,3 Kilogramm Lebensmittel in Restaurants, Großküchen oder bei Veranstaltungen bereitgehalten werden. Davon landen 23,6 Kilogramm vorzeitig im Abfall. David Suchy geht davon aus, dass ein Restaurant in fünf Tagen so viel verbraucht wie eine Privatperson in einem Jahr. Letztlich hängt das von vielen Faktoren ab: Größe, Öffnungszeiten, Zahl der Gäste – und natürlich davon, was man kocht und wie die Zutaten geliefert werden.
Mülleimer auf der Toilette! Ist das noch Zero-Waste?
Vorne hält der Lieferwagen einer Markthalle, die Produkte regionaler Kleinbauern vertreibt. Der Fahrer öffnet den Kofferraum und trägt Kisten mit Tomaten, Paprika, Bohnen und Maiskolben zum Tresen, dort übernehmen die Köche und geben dem Fahrer leere Kisten vom Vortag zurück. Das meiste, was sie beziehen, kommt aus der Region. Praktisch alles ist unverpackt. Das haben sich Suchy und sein Team als Bedingung ausgehandelt. Eine Ausnahme machen sie bei Papierverpackungen: „Buchweizen, Mehl und Sonnenblumenkerne bekommen wir in großen Papiertüten. Die sind 100 Prozent recycelbar, das sehen wir nicht als Müll.“
In der Küche wird das Gemüse dann gleich verarbeitet. Fast alles, was hier auf den Teller kommt, ist selbst gemacht. Neben Sauerteigbrot und Pasta auch Schokolade, Haselnussmus und -milch sowie Kombucha und Wasserkefir. In eigenproduzierten Lebensmitteln sieht Suchy noch einen weiteren Vorteil: „Alles, was man selber macht, spart Transportwege. Verarbeitete Produkte haben oft eine ewige Lieferkette. Die Zutaten müssen vom Produzenten zum Weiterverarbeiten, zur Verpackung, zum Vertrieb.“
Frische Lebensmittel haben hingegen nachweislich eine deutlich bessere Klimabilanz. „Wir fragen uns bei jeder Zutat: Wie groß ist der CO2-Fußabdruck bei der Produktion, wie kommt sie zu uns?“ Unter anderem deshalb gebe es keine tierischen Produkte, da sie einen großen ökologischen Rucksack mit sich tragen. Auch Avocados und Mandeln verwendet das Restaurant nicht, weil diese beiden Lebensmittel viel Wasser im Anbau benötigen. Dogmatisch will das Restaurant indes nicht wirken. Ingwer, Kaffee- und Kakaobohnen ließen sich nicht regional beziehen, seien aber unentbehrlich, findet Suchy.
Zum Teil stößt dieses Zero-Waste-Konzept auch an seine Grenzen: Auf der Toilette etwa gibt es einen Mülleimer für die Gäste. Und den Wein bekommt man nicht in Mehrwegflaschen. Im „Silo“, dem Zero-Waste-Restaurant in Brighton, stellen sie aus den leeren Flaschen Teller her. So weit geht man im „Frea“ nicht. Manchmal muss die Küche improvisieren: Für Eis braucht man etwa Glukosezucker, den gibt es aber nur in großen Plastikbehältern. „Wenn man einfachen Zucker nimmt, bekommt man nicht dasselbe Ergebnis“, sagt Koch Kluften, der das als Herausforderung nimmt – und eben eine andere Lösung sucht, um das Eis schön cremig zu bekommen.