George Soros ist 89 Jahre alt, Holocaust-Überlebender, Milliardär mit ungarischen Wurzeln – und persönliches Feindbild von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Es ist Mitte November, und Soros spricht am neu eröffneten Wiener Campus der privaten Central European University (CEU), die auch in den USA akkreditiert ist. Er habe die CEU 1991 gegründet, sagt Soros, „um den Ländern zu helfen, die aus den dunklen Tagen der sowjetischen Unterdrückung hervorgegangen sind“. Nur lernen die meisten Studierenden seit diesem Wintersemester nicht mehr in Budapest, sondern im 240 Kilometer entfernten Wien – in Österreich, einem Land ohne kommunistische Vergangenheit.
Viktor Orbán war einst selbst Soros-Stipendiat, jetzt kriminalisiert er dessen Stiftungen
Die CEU zieht wegen eines 2017 in Ungarn erlassenen Gesetzes um. Das „Lex CEU“ legt fest, dass Universitäten einen Campus in dem Land haben müssen, in dem sie akkreditiert sind, und dass der Status der Universität durch ein Regierungsabkommen beider Länder geregelt werden muss. Die CEU eröffnete daraufhin einen Campus in New York, der Bundesstaat New York unterzeichnete das notwendige Abkommen mit Ungarn, die ungarische Regierung jedoch nicht.
Ministerpräsident Orbán regiert Ungarn mit einer Zweidrittelmehrheit. Er nennt sein System eine „illiberale Demokratie“ und meint damit die Einschränkung der Wirtschaft, nicht der Freiheitsrechte allgemein. Kritiker*innen werfen Orbán aber vor, Ungarn eigenmächtig umzubauen und die Freiheit von Medien und Wissenschaft massiv einzuschränken. Manche nennen Ungarn eine Demokratur: ein Hybrid aus Demokratie und Diktatur. Deshalb protestieren immer mehr Menschen gegen Orbáns Politik.
Orbán wirft der Universität und Soros’ Stiftungen, den „Open Society Foundations“, vor, Diplome auszustellen, die nicht mit dem ungarischen Gesetz vereinbar seien, und „illegale Migranten“ ins Land holen, die die „ungarische Kultur“ bedrohen. Orbán, der selbst einst mit einem Soros-Stipendium studierte, blockiert Soros' Arbeit auch mit einem weiteren Gesetz, das die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen beschränkt und kriminalisiert. Für die EU-Kommission verstößt das „Stopp-Soros-Gesetz“ gegen die Grundrechte der EU, sie klagt vor dem Europäischen Gerichtshof.
Was sagen die Beteiligten an der CEU zu dem Vorfall? Wir haben mit dem Prorektor und einem Studenten gesprochen:
„Das zeigt den Zynismus des Orbán-Regimes“
Liviu Matei, Prorektor der CEU:
„In den vergangenen drei Jahren gab es Momente des Hoffens und Momente der Enttäuschung. Weltweit haben uns fast alle großen Universitäten unterstützt, es gab riesige Demonstrationen in Budapest. Aber die Regierung und Regierungsmedien fuhren unbeirrt ihre Attacken. Eine Zeitung hat eine Liste von ,Verrätern der Nation‘ veröffentlicht, darunter auch Akademiker der CEU. Herr Orbán hat sie im Radio als ,Verräter‘ bezeichnet. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Kind, sitzen sonntags mit Ihrer Familie zu Hause und hören im Radio, Ihr Vater sei ein Verräter. Das zeigt den Zynismus des Orbán-Regimes.
Außerdem wurde die akademische Freiheit in Ungarn eingeschränkt, das Fach ,Gender Studies‘ ganz verboten. Welches kommt als Nächstes? Vielleicht Politikwissenschaft? Wir hatten gar keine andere Wahl, als umzuziehen. Viele Länder haben sich an uns gewandt, aber wir wollen den Charakter der Central European University erhalten, deswegen haben wir uns für Wien entschieden, das nahe an Budapest liegt.
Die Wiener Behörden, Unis und zivilgesellschaftliche Organisationen haben uns alle sehr herzlich in der Stadt begrüßt. Wir stehen in permanentem Kontakt mit dem Bürgermeister.
Was mir wichtig ist: Wir sind keine frühere ungarische Uni, die jetzt eine österreichische ist. Wir waren immer eine internationale Universität mit Studierenden aus mehr als 100 Ländern, rund die Hälfte kommt aus Zentral- und Osteuropa, die andere Hälfte aus der ganzen Welt. Unsere Professoren kommen aus mehr als 40 Ländern.
Nun geht es um einen Übergang: von der permanenten Krise in eine Atmosphäre, in der wir die Zukunft der Universität planen können. In Österreich, aber auch in Budapest. Dort wollen wir weiter interdisziplinär auf hohem Niveau forschen und Summer Schools anbieten. Wir geben Ungarn nicht auf.“
„Der Umzug ist vor allem ein Verlust für Ungarn“
Viktor Mák, ehemaliger CEU-Student:
„Ich bin in Ungarn geboren, aber in den USA aufgewachsen. 2017 bin ich für einen Master in Public Administration zurückgekommen. Die CEU war für mich und viele Auslandsungarn die Chance, nach Hause zurückzukehren, um an einer guten Uni auf Englisch zu studieren. Diese Option gibt es nun nicht mehr.
Ironischerweise habe ich meinen Zulassungsbescheid in der Woche erhalten, in der die ungarische Regierung per Gesetz beschlossen hat, die CEU aus dem Land zu schmeißen. Mein Studium betraf das glücklicherweise nicht: Ich habe im Sommer abgeschlossen, kurz bevor die Uni umzog.
Trotzdem engagiere ich mich in einer Gruppe Studierender, die gegen das „Lex CEU“ protestiert. Im November 2018 haben wir Präsentationen und Workshops auf dem Platz vor dem ungarischen Parlament veranstaltet. Wir wollten zeigen, dass wir stolz auf unsere Universität sind. Ein Jahr später haben wir dort erneut protestiert. Tausende sind gekommen.
Das vergangene Jahr war chaotisch. Die Phase des Übergangs mit einem Campus in Budapest und einem in Wien ist anstrengend für die Studierenden. Außerdem ist Wien teurer als Budapest. Die CEU vergibt großzügige Stipendien und hat angekündigt, sie noch mal zu erhöhen. Da es viele Studierende aus Ghana, Uganda, Pakistan und Indien gibt, fürchte ich trotzdem, dass sich die Zusammensetzung der Studierenden langfristig ändert. Das entspräche nicht dem Leitbild der CEU.
Die Universität selbst kann sich in Wien prächtig entwickeln, denke ich. Deshalb ist der Umzug vor allem ein Verlust für Ungarn. Als Ungar bin ich traurig, dass es politisch so weit gekommen ist.“
Titelbild: Imago Images/EST&OST