Kennt ihr den schon?
„Wer hat die stärkste Flotte – die DDR oder England?“
„Die DDR. Sie hat 16 Millionen Kohlendampfer, zwei Millionen Abdampfer und drei Zerstörer.“
Dieser Witz über die zunehmende Republikflucht, erzählt am Rande eines Schweinemarktes, wurde einem Landwirt im Dezember 1955 zum Verhängnis. Zwei Tage vor Weihnachten nahm die Polizei den Bauern aus dem sachsen-anhaltinischen Erxleben fest, ein Gericht verurteilte ihn für seinen Gag zu 15 Monaten Zuchthaus.
Klingt wie ein schlechter Scherz, soll sich aber wirklich zugetragen haben. Jedenfalls wenn man Hans-Hermann Hertles Buch „Ausgelacht – DDR-Witze aus den Geheimakten des BND“ glaubt.
„Möglich, dass diese Akte einfach von einem Mitarbeiter angelegt wurde, der in seiner Freizeit gerne DDR-Witze erzählte“
Tatsächlich sammelte der westdeutsche Bundesnachrichtendienst (BND) von 1977 bis 1989 politische Witze aus dem Nachbarland, um mehr über die Situation des Klassenfeindes in Erfahrung zu bringen. Da jeder Witz auch ein Stück Wahrheit beinhalte, „konnte das Sammeln von Witzen zumindest einen ergänzenden Eindruck von der Lage vor Ort vermitteln“, heißt es in Hertles Buch. Die „Operation DDR-Witz“ war geboren.
Die Witze selbst waren zumeist Nebenprodukt der üblichen Befragungen oder sogenannter Stellvertreterbefragungen, also Gesprächen mit BRD-Bürgern, die regelmäßig in die DDR reisten. Am 11. November 1977, pünktlich zum Karnevalsauftakt, übergab der BND dem Kanzleramt die ersten politischen Gags. Ein Datum mit Tradition: Fortan bekam das Kanzleramt zum Karnevalsauftakt und zum Rosenmontag die geheime Witzesammlung geliefert.
Heiterlesen
Je ernster die Lage, desto lustiger die Witze? Worüber lachen Rechte? Der Experte Willibald Ruch hat ein paar Pointen zur politischen Dimension von Humor
War sie tatsächlich ein wichtiges Werkzeug des BND bei der Jagd nach Informationen – „konspirativ gesammelt (…), auf verschlungenen Wegen aus der DDR direkt in die Zentrale nach Pullach übermittelt“, wie es Buchautor Hertle reißerisch umschreibt? „Im BND wurde sehr seriös gearbeitet“, sagt Bodo Hechelhammer, Leiter des Historischen Büros beim BND, „aber in diesem Fall schien jemand einen besonderen Sinn für Humor gehabt zu haben.“ Hechelhammer ordnet die Witzsammlung eher als „Randgeschichte“ ein, die mit wichtigen nachrichtendienstlichen Projekten „nicht zu vergleichen“ sei. Auch sein Kollege Ilko-Sascha Kowalczuk, Autor und Projektleiter bei der Stasiunterlagenbehörde, misst der Geheimoperation wenig Bedeutung bei: „Dahinter steckte sehr wahrscheinlich keine größere konzeptionelle Strategie. Gut möglich sogar, dass diese Akte einfach von einem Mitarbeiter angelegt wurde, der in seiner Freizeit gerne DDR-Witze erzählte.“
Die Verhaftung des Landwirts hält Kowalczuk für eine Legende. Wegen politischer Witze seien nur wenige DDR-Bürger verhaftet worden. Allerdings hätten sich Witzeleien durch den sogenannten „Boykotthetze“-Artikel der DDR-Verfassung strafverschärfend auswirken können. Tatsächlich aber, sagt Kowalczuk, „haben die, die von den Witzen am meisten betroffen waren, am lautesten darüber gelacht.“ Staatschef Erich Honecker (zu sehen auf dem Titelbild, Anm. d. Red.) soll sich selbst über die derbsten Honecker-Witze amüsiert haben. (Was ist der Unterschied zwischen einer defekten Telefonverbindung und Erich Honecker? Es gibt keinen – aufhängen und neu wählen!) Wobei „neu“ relativ ist: Der typische DDR-Witz stand in einer Tradition politischer Scherze im Osten.
„Die Verhöhnung der Privilegierten erfüllte im Ostblockwitz eine Trostfunktion“, schreibt der Historiker György Dalos in „Proletarier aller Länder entschuldigt mich – Das Ende des Ostblockwitzes“. Witze seien für viele wichtig gewesen, weil sie ihr Dasein als Bürger einer Diktatur legitimierten. „In diesem Sinne war der Ostblockwitz für die meisten Völker des Warschauer-Pakt-Bereichs der Ersatz für fehlende Rebellion oder vielmehr das grinsende Alibi für jahrzehntelange Anpassung.“ Die Witze kannten im Grunde nur eine Regel: „Je unerreichbarer (…) die Diktatoren waren, desto schonungsloser wurden sie (…) verspottet.“
Das zeigt auch ein DDR-Klassiker über den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke: „Mielke ist mit seinem Fahrer unterwegs. Plötzlich läuft ein Huhn vor das Auto und wird überfahren. Mielke steigt aus und geht zum nahen Bauernhof. Er kommt mit einem blauen Auge und zerrissenem Anzug zurück, setzt sich still in den Wagen und sagt dem Fahrer, er solle weiterfahren. Kurze Zeit später überfahren sie ein Schwein. Mielke hat vom ersten Mal genug und schickt seinen Fahrer los. Der kehrt kurz darauf mit Geschenken überhäuft zurück. ‚Wie hast du das gemacht?‘, fragt Mielke. Antwort des Fahrers: ‚Ich bin rein und habe gesagt: Ich bin der Fahrer vom Mielke und habe das Schwein überfahren.‘“
Wie viel ist übrig vom Ostblockhumor?
Der Spott, sagt Kowalczuk, sei das Ventil der einfachen Leute gewesen. „Die Witze zeigen, dass die Menschen in der DDR ganz genau wussten, in was für einem System sie lebten.“ Ein Informationsvorsprung, den der BND offenbar selbst mit seiner „Operation DDR-Witz“ nicht wettmachen konnte. 2009 gab der Nachrichtendienst die Geheimakte frei, Tausende Seiten befinden sich unter der Signatur „BA, B 206/532 und 576“ bis heute im Bundesarchiv. Der BND habe bis zur Wiedervereinigung keine Ahnung gehabt, wie kaputt das Land wirklich war, sagt Kowalczuk. Dabei waren es auch seine Berichte und Einschätzungen, die die Wiedervereinigung vorbereiteten.
Aus dem Archiv
Warum bekommen die älteren DDR-Bewohner demnächst neue und größere Personalausweise?
Weil sonst die langen Gesichter nicht mehr reinpassen.
Stalin, Lenin und Honecker fahren in der Transsibirischen Eisenbahn. Plötzlich hält der Zug, weil die Schienen fehlen. Was machen die drei?
Stalin lässt alle Passagiere aussteigen und erschießen. Lenin holt Leute heran und lässt die Strecke reparieren. Honecker weist alle Parteigenossen an, die Fenster zu verdunkeln und die Wagen hin und her zu schütteln, damit alle denken, es geht weiter vorwärts.
Ein polnischer Hund, ein DDR-Hund und ein Hund aus der BRD treffen sich und erzählen aus ihrem Leben. Der polnische Hund sagt: „Uns geht es ganz schlecht, wir haben nichts zu fressen.“ Der DDR-Hund sagt: „Das mit dem Fressen funktioniert einigermaßen, aber viel zu melden habe ich nicht.“ Der westdeutsche Hund sagt: „Wenn ich belle, kriege ich Fleisch.“
Darauf der polnische Hund: „Was, Fleisch?“ Und der DDR-Hund erschrocken: „Was, bellen?“
Als hätte er das bis heute mühsame Zusammenwachsen von Ost und West geahnt, gab György Dalos schon 1993 einen geradezu prophetischen Rat. „Hoffentlich“, schrieb der Historiker, „gelingt es den osteuropäischen Gesellschaften, im schmerzhaften Prozess der Entstehung eines neuen Oben und Unten den einen oder anderen Scherz zu machen. Sie brauchen einen der veränderten Situation angemessenen Humor, bevor ihnen angesichts der enormen Schwierigkeiten bei der gesellschaftlichen Umwandlung das Lachen im Halse stecken bleibt.“
Wirklich witzig ist vieles, was in den Regionen der ehemaligen DDR passiert, nicht. Hans-Hermann Hertle, der Autor von „Ausgelacht“, beobachtet gar, dass der politische Witz im Osten mit der SED-Diktatur 1989/1990 untergegangen ist. „Bei Pegida gehen (…) Besorgnisse vor sozialem Abstieg, irrationale Ängste vor Fremden und Fremdem sowie harter Rechtsextremismus eine Verbindung ein. Da muss jeder Humor auf der Strecke bleiben.“ Und auch die „Corona-Demonstranten“ in Sachsen oder Thüringen scherzen weniger über Angela Merkel oder Jens Spahn, als dass sie ihnen schlicht die Pest an den Hals wünschen.
Im Deutschland der Gegenwart sind Meinungs- und Pressefreiheit an die Stelle des „grinsenden Alibis für Anpassung“ getreten. Fast alles, was man sagen will, darf man auch sagen. Nie war es einfacher, öffentlich zu meinen, als im Zeitalter von Social Media. Ein wenig mehr Humor würde dieser Öffentlichkeit guttun. Das von Kowalczuk beschriebene Ventil und die von Dalos erwähnte Trostfunktion scheinen so wichtig wie seit dem Untergang der DDR nicht mehr.
Illustration: Frank Höhne