Eine Marienkäferlarve hat einen gekerbten Körper mit gelben Flecken, sechs Beine und borstige Höcker. Unter der Lupe sieht sie aus wie ein Horrorfilm-Monster, besonders wenn sie gerade eine Blattlaus verspeist. Aber ich kann mir dennoch keinen schöneren Anblick vorstellen, denn ihr guter Appetit rettet meine Saubohnenkeimlinge. Marienkäfer vermehren sich in meinem Schrebergarten von ganz allein. Sie finden genug zu fressen und halten die Läuse zusammen mit Florfliegen, Ohrwürmern, Meisen und ein paar anderen Tieren in Schach.
Ich würde nicht sagen, dass meine 120 Quadratmeter Schrebergarten mitten in der Stadt ein perfekt ausbalanciertes Biotop sind, aber die Artenvielfalt erscheint mir höher als in vielen ländlicheren Gegenden. Das ist keine Kunst, viele Gärten bieten angenehmere Lebensräume für Tiere und Pflanzen als jeder von Monokulturen ausgelaugte Acker. Ich gärtnere nach der Devise: kein Gift, kein Stress und keine Gartencenter-Shoppingtouren. Anstatt jedes Jahr fix und fertige Gartenmarktblumen (Männertreu, Begonien, Sommerastern, Strauchmargeriten & Co.) anzuschaffen, die oft aus Treibhausanbau kommen, keinen Frost vertragen und im Herbst auf dem Kompost landen, säe ich lieber selbst (z. B. bedrohte Wildpflanzen) oder schnorre Ableger aus Gärten von Freundinnen. Am besten sind pollen- und nektarreiche Sorten mit ungefüllten Blüten, die den Weg zum Futter nicht versperren. Zum Dank kommen Bienen und Schmetterlinge.
„Gedüngt wird bei mir mit selbst angerührter Pflanzenjauche, etwa aus Brennnesseln. Stinkt abartig. Aber die Pflanzen lieben sie“
Manchmal fällt mir der Verzicht auf Chemie schwer, besonders dort, wo sich manche Schädlinge explosionsartig vermehren. Bei konsequenter Giftabstinenz (und nur dann) pendelt sich das aber wieder ein: Wird nicht gespritzt, gibt es zunächst viele unerwünschte Tierchen, aber mit der Zeit auch mehr nützliche Insekten, mehr Vögel, also im nächsten Schritt weniger Schädlinge.
So ein Garten ist auch endlich mal was für unordentliche Menschen. Die Tiere lieben Laub- und Asthaufen, unaufgeräumte, zugewucherte Ecken oder moderndes Holz. So können Wildkräuter problemlos mit Nutz- und Zierpflanzen zusammenleben. Wer bestimmt überhaupt, was Unkraut ist und was nicht? Ich finde Johanniskraut, Löwenzahn, Günsel, Ehrenpreis, ja selbst Disteln ausgesprochen hübsch, und auch sie bieten Nahrung für Insekten. Selbst beim Mähen ist weniger mehr: Im hohen Gras summen Bienen und zirpen im Spätsommer Grillen. Gedüngt wird bei mir mit selbst angerührten Pflanzenjauchen, etwa aus Brennnesseln. Stinkt abartig, aber die Pflanzen lieben sie.
In Deutschland gibt es rund 900.000 Schrebergärten – insgesamt eine ziemlich große Fläche
Wer jetzt denkt: „Ach, die paar Meter um eine Laube oder vor der Terrasse sind doch egal“, sollte sich die Zahlen angucken. Bundesumweltministerin Svenja Schulze sagt, dass in Deutschland etwa 36 Millionen Menschen einen Garten haben. Vor allem Städter weichen dabei – wie ich – auf Schrebergärten aus. Derzeit gibt es in Deutschland rund 900.000 solcher Gärten. Laut dem Naturschutzbund liegt deren Gesamtfläche über der aller Naturschutzgebiete der Republik. Dabei sind Schrebergärten besonders für Insekten wichtiger als Hausgärten: Hier finden sie die perfekte Pflanzenmischung zum Bestäuben. So gesehen gelingt erfolgreicher Artenschutz auf nicht unbeträchtlicher Fläche.
Natürlich werden sich in unseren Gärten weder Luchs noch Steinbock ansiedeln – aber viele andere Tiere und Pflanzen, die es in unseren Nutzlandschaften immer schwerer haben. Gefährdete Arten wie Sommer-Adonisröschen, Frauenspiegel, Lämmersalat oder Acker-Rittersporn muss ich aussäen. Wiesen- schaumkraut oder Knoblauchsrauke kommen von allein und mit ihnen Aurorafalter, denn für deren Raupen sind sie die wichtigste Nahrungsquelle. Und wo eine Acker-Kratz-Distel einfach mal stehen bleibt, sehen wir vielleicht zum ersten Mal im Leben einen Stieglitz.
Titelbild: Kathrin Harms/laif