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Durchgeboxt

Bei den Olympischen Spielen in Paris steht auch der Boxer Omid Ahmadisafa im Ring. Doch statt unter iranischer Flagge kämpft er im Refugee-Team – und repräsentiert damit mehr als 120 Millionen Menschen

  • 2 Boxrunden mit kurzer Trinkpause
Omid Ahmadisafa beim Training

Vor der Sportanlage in Berlin-Pankow hört man durch das offene Fenster schon laute Schreie. Oben, im Trainingsraum, steht Omid Ahmadisafa in Kampfhaltung vor dem Sandsack und lässt blitzschnelle Kombinationen in das Leder knallen. Hinter ihm sein Trainer Ralf Dickert, die Stoppuhr in der Hand. „Noch zehn Sekunden!“, ruft er ihm zu. Am Ende der Trainingseinheit tropft Omid der Schweiß vom Gesicht. Er lässt sich neben seinem Trainingspartner Murat auf die drei Stufen vor dem Ring des Olympiastützpunkts fallen.

Omid ist Iraner. Über Politik in seinem Heimatland wolle er nicht reden, sagt er, denn unglückliche Aussagen könnten nicht nur für ihn selbst Konsequenzen haben. Dass er sich im Osten Berlins auf die Olympischen Spiele in Paris vorbereitet und nicht in Teheran, der iranischen Hauptstadt, ist die Folge von vielen Schicksalsschlägen.

Als Kickboxer war Omid Ahmadisafa Weltmeister

Der 31-Jährige kommt aus Karadsch, einer Großstadt im Nordwesten des Iran. Er gehört zur Minderheit der aserbaidschanischstämmigen Iraner:innen, von denen mehr als 15 Millionen im Land leben. Deswegen spricht er neben Farsi auch fließend Azeri, das dem Türkischen stark ähnelt. Es hilft ihm dabei, sich zu verständigen, wenn sein Deutsch nicht ausreicht.

Als Teenager habe er mit dem Kickboxen angefangen, um überschüssige Energie abzubauen und sich nicht auf der Straße zu schlagen, erzählt er. Er wurde nicht nur mehrfacher iranischer Champion, sondern sogar Gewinner der Asienspiele und Weltmeister. Nach einer Rückenverletzung durfte er mehrere Monate nicht mit den Beinen kicken und fing deshalb auch mit klassischem Boxen an. In einem seiner ersten Wettkämpfe, so erzählt er, seien alles, was er konnte, die absoluten Standardkombis gewesen, die er noch vom Kickboxen kannte. Trotzdem schaffte er es irgendwie, den ersten Platz zu holen.

Omid Ahmadisafa

Ab dann lief es gut für ihn, bis zur Kickbox-Weltmeisterschaft 2021 in Italien. Es gibt verschiedene Versionen der Geschichte, Omid besteht auf seine: Schon länger habe es Konflikte mit dem iranischen Cheftrainer und Sportfunktionären gegeben. Es sei um Forderungen gegangen, denen Omid immer wieder nachkommen sollte – zum Beispiel bei Turnieren plötzlich die Gewichtsklasse oder die Disziplin zu wechseln, um israelische Gegner zu vermeiden. Im Iran ist es geltende Praxis, dass Sportler nicht gegen Israelis antreten sollen. Und es sei um leere Versprechungen, Drohungen und Geld gegangen, das Omid nie ausgezahlt worden sei.

Omid merkte, dass die Situation für ihn brenzlig wurde. Auch Bekannte aus dem Iran warnten ihn vor Ärger nach seiner Rückkehr. In der Nacht vor dem Finale, so erzählt es Omid später, sei er aus seinem Hotel in Italien geflüchtet und in einen Zug Richtung Deutschland gestiegen. Eigentlich sollte es nach einem Stopp bei Verwandten in Köln weiter nach England gehen. Da sein Pass jedoch vom Cheftrainer beschlagnahmt worden war, sah er sich nach einer Polizeikontrolle gezwungen, in Nürnberg zu bleiben und in Deutschland Asyl zu beantragen.

Viele im Refugee Olympic Team stammen aus dem Iran

Mit diesem Schicksal ist er nicht allein: Iranische Sportler:innen wie die Taekwondo-Goldmedaillengewinnerin Kimia Alizadeh flüchten aus ähnlichen Gründen immer wieder in andere Länder. Im diesjährigen Refugee Olympic Team stammen 14 von 37 Athlet:innen aus dem Iran.

Weil immer mehr Menschen aufgrund von Flucht und Vertreibung nicht für ihr Heimatland antreten können, hat das Internationale Olympische Komittee (IOC) 2015 ein Refugee-Team ins Leben gerufen, um Geflüchteten die Möglichkeit zu geben, ohne eigene Nationalmannschaft an den Spielen teilzunehmen. In Rio de Janeiro traten sie 2016 zum ersten Mal an. In Paris stehen Omid und sein Team für die mehr als 120 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind.

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Murat Yildirim und Omid Ahmadisafa
Der Freund: Boxkollege Murat Yildirim

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Ralf Dickert
Der Trainer: Ralf Dickert

In den ersten Monaten in Deutschland habe er sich nicht einsam gefühlt, sagt er, und sei sofort wieder trainieren gegangen. Mit seinen Coaches in Nürnberg, Marie und Harald Retzer, habe er einfach Glück gehabt: „Die beiden haben mich mit offenen Armen empfangen“, sagt er. 2022 wurde Omid auf Anhieb Deutscher Meister im Federgewicht. Bald wurde sein Talent auch in Deutschland erkannt, und er kam ins Trainingslager der Nationalmannschaft.

Dort lernte er auch Murat Yildirim kennen. „Mein erster Freund in Deutschland“, sagt er und klopft Murat auf die Schulter. „Allah razi olsun“, sagt der, Gott segne dich. Trotzdem fehlt Omid mittlerweile seine Familie. Seine Frau konnte er zwar nach Deutschland nachholen, aber er vermisse es, bis in die späten Abendstunden mit Freunden und Verwandten in Karadsch abzuhängen und die herzliche Art der Menschen im Iran.

Wenn Omid vom Heimweh spricht, weicht sein Lächeln einer ernsthaften Miene. Es kommt aber sofort zurück, wenn es wieder ums Boxen geht. Über 200 Kämpfe hat er schon hinter sich. Auch sein Stil sei eher unkonventionell, erzählt er, denn er kämpft mit rechts und links als Schlaghand. Mal aggressiver, mal eher abwartend und konternd. Manchmal sind seine Kämpfe schnell um, wie bei einem Turnier letztes Jahr: Da stürmte er nach dem Klingeln schnurstracks aus seiner Ecke und verpasste dem Gegner einen linken Haken, der ihn direkt auf die Bretter schickte.

Omid Ahmadisafa lebt für seinen Sport. Vielleicht zocke er mal einen Abend „FIFA“, aber sein eigentliches Hobby sei eben Boxen. Natürlich würde man manchmal gerne mit Freunden feiern gehen, sagt er später, aber irgendwo müsse man halt Abstriche machen.

Omid Ahmadisafa

Jeder Amateurboxer träumt davon, eines Tages bei den Olympischen Spielen teilzunehmen. Und vielleicht sogar eine Medaille zu holen. Omid ist da keine Ausnahme. 2020 trat er unter iranischer Flagge zur Olympiaqualifikation an und unterlag im Viertelfinale dem Goldmedaillengewinner der vorherigen Spiele. Er verpasste nur knapp eine Teilnahme in Tokio.

Nach seinen Erfolgen in Deutschland wurde das IOC auf ihn aufmerksam. Und fragte beim deutschen Boxverband nach, ob Omid das Zeug für Olympia habe. Im Mai wurden jene Mitglieder bekannt gegeben, die nach Paris fahren – und Omid war dabei. Er konnte sein Glück kaum fassen. „Es ist ein unbeschreibliches Gefühl“, sagt er. „Ich habe lange darauf hingearbeitet.“ Dass er in Paris nicht für den Iran antritt, sondern im Refugee-Team kämpft, mache für ihn keinen großen Unterschied: „Ich möchte einfach nur gut boxen und Leistung bringen.“

Jede Sekunde kämpft Omid unerbittlich

Mitte Juli bricht Omid nach Frankreich auf. Mit den anderen Athlet:innen aus dem Refugee-Team bereitet er sich einige Tage in der Normandie in einem Trainingslager vor. Sein Trainer sagt am Telefon, seine Chancen stünden nicht schlecht, er sei gut, er könne mit den anderen mithalten.

Eine Woche später fährt er weiter nach Paris. Das olympische Dorf beeindruckt ihn ebenso wie die Festlichkeiten in der ganzen Stadt. Am 28. Juli findet sein erster Kampf statt, für den er so lange trainiert hatte: Omid tritt in der ersten Runde gegen Roscoe Hill, den IBA-Vizeweltmeister aus den USA an. Ein schlaksiger Konterkämpfer, so was wie die Gegenthese zu Omids aggressivem Style. Jede Sekunde kämpft Omid unerbittlich, in seinen Ohren die „Omid!“-Rufe des Publikums, aber die Wendigkeit seines Gegners macht es ihm schwer, klare Treffer zu erzielen. Hill kontert immer wieder – und gewinnt.

Natürlich sei Omid jetzt sehr traurig, sagt sein Trainer nach dem Kampf am Telefon, er habe so lange darauf hingearbeitet. „Aber Omid ist ein lebenslustiger Mensch, der schnell wieder auf den Beinen ist.“ Was Omid trotzdem freut: Nach seiner Niederlage erreichen ihn Hunderte Nachrichten – aus ganz Deutschland und auch aus dem Iran.

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