Thema – Sex

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Du und ich und er

Unsere Gesellschaft betreibt Liebe meist paarweise. Jim, Hanna und Daniel erarbeiten sich seit 16 Jahren ihre ganz eigene Konstellation

Dreisam

Hanna und Jim begegnen sich in einer Nacht, wie sie Verliebten vorbehalten ist und deren Zauber alles Banale mit Bedeutung auflädt, selbst eine Unterhaltung über den Niedergang der Telefonzellen. (Es ist 2005.) In jener Nacht ist Jim 34 und seit mehr als zehn Jahren mit seiner Frau zusammen, sie ist zum zweiten Mal von ihm schwanger. So weit, so stereotyp: hier die lange Beziehung, dort die aufregende neue Bekanntschaft – Sehnsucht, Lügen, Drama, Trennung.

Zwei Jahre später, das gröbste Chaos um Jim und Hanna hat sich gelegt, knutscht sie auf einer Party mit Daniel. Die beiden machen seit Jahren zusammen Musik. Hanna ist 30, Daniel Mitte 20 und mit seiner Freundin zusammen, seit er 15 ist. Sehnsucht, Lügen, Drama? Ja. Trennung? Nur bei Daniel und seiner Freundin. Er, Jim und Hanna, die in Wahrheit anders heißen, versuchen es seitdem zu dritt.

H: „Das Konzept der Exklusivität ist anfällig. Klar kann man sich Treue schwören, und bei einigen klappt es. Aber das Potenzial ist groß, dass Menschen auf Menschen stoßen und man sich berührt.“

Polyamorie nennt man damals noch freie Liebe. In den Medien ist sie kaum Thema, auch bei Jim und Daniel nicht. Wohl aber unter Hannas Freundinnen und Freunden. Sie diskutieren die Abkehr von romantischen Konventionen und neue Gesellschaftsformen.

H: „Wer liebt, hat keine Angst, und wer Angst hat, kann nicht richtig lieben. Uns hat bewegt, wie Liebe und Freundschaft zu Kooperation führen, zu einem Miteinander – nicht zu Besitzergreifen.“

So viel zur Theorie. In der Praxis treffen sich Hanna und Daniel erst mal heimlich.

H: „Ich hatte monatelang das Gefühl: Nein, ich bin nicht verliebt, ich kann das trennen und bin ja mit Jim zusammen.“

D: „Ich war gleich committet, ich habe sie echt vergöttert. Sie war so schön und weise und hatte andere Perspektiven auf das Leben.“

H: „Irgendwann habe ich zu Jim gesagt: Ich weiß nicht, wohin das führt, ich merke nur: Ich will das. Ich hab mich in ihn verknallt, dich will ich aber auch nicht verlassen.“

J: „Anfangs hatte ich noch die Hoffnung, sie entscheidet sich: entweder er oder ich.“

D: „Jim und ich haben uns im Park getroffen. Wie Cowboys zum Duell, aber eben mit zwei Mega-Softies. Ich glaube, wir wollten den jeweils anderen zum Aufgeben überreden. Das Ergebnis war, dass wir uns hinterher eher mehr mochten.“

J: „Ich dachte, wenn ich Hanna verlasse, habe ich alles vergrützt. Die Angst vor dem Versagen war größer als die Verletzung. Deshalb bin ich geblieben.“

Wenn der Mensch, den man liebt, einen zweiten liebt, kann man einen Weg finden, die eigenen Ängste zu reflektieren, die einem einflüstern, man werde weniger geliebt, wenn noch jemand geliebt wird. Ängste, die einen glauben machen, Liebe sei ein endliches Gut und man könne beim Verteilen zu kurz kommen.

D: „Gefühle sind auch das Ergebnis von Gedanken – besonders in moralischen Fragen. Ich schlafe mit einer Frau, jemand anderes auch: Das ist eine Abweichung von dem, was sich gehört, und deswegen tut es mir weh. Aber welche Vorstellung von Miteinander steckt dahinter, und stimme ich der überhaupt zu? Was soll diese Exklusivität? Die macht wirklich nirgends Sinn – außer man will gleichzeitig etwas unternehmen, das geht eben nicht.“

Was unter den dreien verteilt werden muss, das ist die Zeit.

H: „Es ist ein Organisieren und Abwägen – Weihnachten bei der Familie, und dann verbringt man die folgenden Tage mit dem einen und Silvester mit dem anderen. Zu Geburtstagsfeiern habe ich relativ bald beide eingeladen. Läuft nicht immer geschmeidig. Das wäre aber auch zu viel verlangt.“

J: „Wir haben eine Regel, die ich sehr schätze: Wenn wir zu dritt sind, ist jeder für sich, dann machen nicht zwei was zusammen, und der Dritte ist außen vor.“

D: „Wenn es sich organisieren lässt, schläft jeder für sich. Ich bin da vielleicht einen Moment früher ausgestiegen: Passt schon, schlaft ihr mal zusammen, ich schlaf da drüben. Denn was macht das für einen Unterschied?“

Das sind die Herausforderungen des Alltags – aber was ist in harten Zeiten? Erst bricht Daniels bester Freund und Bandkollege bei einem Konzert zusammen und stirbt Monate später. Dann, vor einigen Jahren, hat Daniel eine Hirnblutung.

H: „Daniel und ich hatten sehr intensive Zeiten zusammen, da fühlte sich Jim schon außen vor. Er war gefordert, sein Ego klein zu klopfen – was ihm echt gelungen ist.“

J: „Es ist immer noch Arbeit.“

Auch wenn sie von Jahr zu Jahr leichter von der Hand geht.

J: „Ich habe natürlich viel Zeit mit meinen Kindern verbracht und im Job, ich hatte viele Verpflichtungen. Ich wusste, dann sieht sie Daniel. Früher war jede Nacht eine Katastrophe für mich.“

D: „Ich habe anfangs viele Songs geschrieben und für sie aufgenommen. Da konnte ich was feedbacken von meinen Erfahrungen. Ich habe im Haus gegenüber gewohnt und konnte sehen, ob jemand bei Hanna im Schlafzimmer war. Das war sinnlose Konfrontationstherapie.“

H: „Das Potenzial, dass die Dämonen hochkommen, ist maximal. Ich glaube, nirgends ist man vulnerabler als in der Liebe.“

J: „Ich habe mich damit über Wasser gehalten: Ich bin die Nummer eins, das Alphamännchen – und Daniel hintendran, als zweite Beziehung. Das war natürlich eine Illusion. Die Gleichwertigkeit zwischen Daniel und mir zu akzeptieren hat am längsten gedauert.“

Der Umgang und das Miteinander entwickeln sich stetig.

J: „Ich war jahrelang ganz strikt: Wenn sie bei Daniel ist, will ich keinen Kontakt.“

Dieses Jahr – dem sechzehnten zu dritt – ist diese Regel gebröckelt. Denn dass es einen Weiteren an Hannas Seite gibt, hat sich für Jim mit jedem Jahr weniger bedrohlich angefühlt. Inzwischen hat Jim auch Liebesbeziehungen mit anderen Frauen. Daniel nicht.

D: „Einfach zu viel zu tun. Man kümmert sich doch umeinander im Alltag, und dann hätte ich das alles zweimal. So muss das auch für Hanna sein: viel Verwaltung.“

J: „Daniel ist von Anfang an unverkrampfter umgegangen mit der Situation. Vielleicht bin ich auch dramatischer vom Charakter.“

Sieben Jahre hat es gedauert, bis Jim Hanna ins Leben seiner Kinder ließ.

J: „Es war nicht leicht für sie, jahrelang getrennt zu sein von diesem Teil meines Lebens. Ich glaube, dass ihr die Beziehung zu Daniel geholfen hat, sich das nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen.“

Jim wollte keine weiteren Kinder. Und auch Hanna und Daniel haben sich letztlich dagegen entschieden. Sonst, sagt Jim, hätte er sich getrennt.

Auch eine solche Konstellation hat Grenzen – des Ertragbaren, des Machbaren. Zusammenziehen zum Beispiel ist keine Option. Allerdings ist Hanna mittlerweile häufiger bei einem der beiden als in ihrer Hamburger Wohnung. Jim hat vor Jahren ein Haus in Mecklenburg gekauft, Daniel lebt in einem Haus in Niedersachsen, das er und Hanna mit einem gemeinsamen Freund gekauft haben.

J: „Sie haben zusammen ein Haus, sie teilen sich ein Auto. Damit kann ich bis heute nicht gut umgehen. Das ist so manifest, das sticht immer noch. Aber auch das wird vorbeigehen.“

H: „Das war eine Zäsur. Ich stecke da Geld rein und Arbeit. Andererseits hat auch Jim sein Haus gekauft, das sollen mal seine Kinder erben, und es könnte ein Alterssitz für deren Mutter sein, wenn sie das möchte.“

Darum gehe es, sagt Jim: ein soziales Netz, mit dem man auch abseits der romantischen Liebe glücklich ist.

D: „Was mir an uns guttut, ist, dass ich zwischendurch meine Ruhe habe, ganz automatisch. Wäre Jim nicht, müsste ich mich vielleicht selbst dran erinnern, mich mehr zu distanzieren.“

J: „Wenn du mehrere Menschen hast, kannst du viel mehr sein.“

Im Umfeld der drei wissen die meisten von ihrer Konstellation. Jims Mutter weiß zumindest von seinen Affären, aber nicht, dass Hanna einen weiteren Partner hat.

J: „Meine Kinder denken, ich bin mit Hanna zusammen und fertig. Das geht sie auch nichts an.“

H: „Ich habe meinem Vater erst 2017 erzählt, dass ich seit vielen Jahren mit zwei Männern liiert bin. Es hätte ihn weniger getroffen, wenn ich ihm gestanden hätte, dass ich jemanden getötet habe. Er hat das Gespräch sofort abgebrochen.“

Seither sparen Hanna und ihr Vater das Thema weitgehend aus. Seit der Hirnblutung ist Daniel für ihren Vater als Partner gesetzt, Jim ignoriert er.

H: „Kürzlich hat er gefragt, ob das unaussprechlich Grauenhafte noch stattfinde in meinem Leben. Da war ich kurz davor, ihn zum Teufel zu jagen.“

Die drei haben ihren Rhythmus gefunden. Jim geht sogar so weit, zu sagen, dass Hanna und er wohl nicht mehr zusammen wären, wenn es Daniel nicht gäbe.

J: „Er macht sein Ding und lässt Hanna ihres finden und machen. Die Beziehung zu mir ist, glaube ich, eine interaktivere, weil wir mehr miteinander sind.“

H: „Daniel und Jim sind an unterschiedlichen Stellen sehr klug, ich bekomme da eine ganze Palette an Lebensaspekten, die mich klüger und besonnener machen.“

J: „Du kannst in so einer Beziehung den Beweis sehen, dass die Liebe fehlt – oder dass die Liebe besonders stark ist. Es hat viel damit zu tun, was für ein Mensch du sein willst.“

H: „Wenn man über die Jahre so aneinander festhält, nicht aus Gewohnheit oder Verlustängsten, sondern weil man es ernst miteinander meint, dann kriegst du irre viel zurück. Das ist Liebe: die Angst zu überwinden und auch mal an die Hand genommen zu werden. Das im Doppelpack ... ist natürlich fett.“

Dieser Text ist im fluter Nr. 89 „Liebe“ erschienen.
Das ganze Heft findet ihr hier.

Titelbild: Renke Brandt

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.