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Ist doch nur Internet

Unfassbar, was manche posten. Leider fällt es der Polizei schwer, dagegen vorzugehen. Eine Recherche bei Behörden und Menschen, die sich gegen die Hetze engagieren

Hass im Internet

Die erste Welle kam im Frühjahr, ein Jahr nach Beginn der Pandemie. „Vollkoffer“, schrieb eine Frau und dazu vier kotzende Emojis. „Dummschwätzer“ eine andere. „Ich glaube, dir haben sie zu oft das Stäbchen ins Gehirn gerammt“, „Bist du krank oder so?“ und „Ab auf die Anklagebank, das fordern wir“. 

Das alles galt Dario Schramm. Im April 2021, als ihn diese Nachrichten erreichen, ist er Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, er setzt sich für die Inte­ressen von acht Millionen Schülern und Schülerinnen ein. Kurz zuvor hatte er eine Testpflicht an Schulen gefordert – und Hass geerntet. 

Die Kommentare sind bis heute öffentlich und damit auch die Namen der Absender. Wenig Pseudonyme, so scheint es, sondern die tatsächlichen Namen. Da ist Guido, der auf seinem Profilfoto mit seinem kleinen Sohn posiert, Manuela, die sich erst um die Kulturbranche sorgte und jetzt verkündet, ungeimpft zu bleiben, und Yasemin, die Armbänder aus Alpakawolle verkauft. Solche Menschen wünschen Dario Schramm, 21 Jahre alt, Schmerzen, Verletzungen und manche sogar den Tod. Er bekommt Morddrohungen per Privatnachricht oder E-Mail. „Alle Postfächer sind übergequollen“, sagt er. 

Wer sich öffentlich äußert, kennt Hatespeech

Wer sich öffentlich äußert, auf einem Podium, in der Zeitung oder im Internet, kennt diesen Hass. Die Kommunalpolitikerin kennt ihn genauso wie der Musiker, die Influencerin oder der Sportler. Hass auf Twitter, Hass auf Instagram, Hass auf Telegram, TikTok und Facebook. Und während Instagram enorm schnell ist, weibliche Brustwarzen zu identifizieren und zu sperren, bleibt Hass oft einfach stehen. Wer ist da eigentlich noch zuständig?

Es geht schon los mit der Benennung: Hass im Netz. Hatespeech. Das klingt harmlos. Es sind doch nur Worte im Internet. Dabei sind es ganz oft Straftaten: Beleidigung ist eine Straftat. Bedrohung ebenfalls. Und Volksverhetzung kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. 

Wer den Holocaust verharmlost oder gegen Ausländer hetzt oder den Tod aller Schulsprecher fordert, der muss damit rechnen, dass diese Äußerungen nicht die Dorfpolizei bearbeitet, sondern dass das beim Staatsschutz landet. 

Erst der Zuzug vieler Flüchtender im Jahr 2015, dann die Corona­pandemie – beides habe die Zahl der Beschimpfungen und Drohungen in die Höhe getrieben, sagt Thomas Georgi vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg.

Wie schnell aus verbalen Übergriffen physische Gewalt werden kann, zeigte der Mord an dem Politiker Walter Lübcke, der vor seinem Tod in Netzwerken Morddrohungen bekam. Trotzdem melden viele Menschen, die bedroht werden, es nicht mal den Behörden.

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Es kann jeden treffen. Besonders oft aber richtet sich Hate-Speech im Netz gegen Frauen

Wie Dario Schramm. Er hat nichts von dem, was an ihn adressiert war, angezeigt. „Da wird eh nichts draus, und der Aufwand ist nicht gerechtfertigt“, sagt er. „Das klingt schlimm, aber der Hass ist für mich fast selbstverständlich.“ So wie ihm geht es den meisten. Manche helfen sich selbst durch Wortfilter, sodass sie bestimmte Beleidigungen nicht mehr sehen, andere öffnen ihre Nachrichten einfach nicht mehr. Sie achten darauf, nichts zu posten, wodurch man ihren Wohnort erkennt, oder teilen Fotos vom Restaurantbesuch nur zeitversetzt. 

Was sie nicht machen, macht zum Beispiel Leonhardt Träumer. Er ist der Gründer von „Hassmelden“. Auf der Website kann jeder Postings oder Kommentare melden, die er oder sie für gesetzeswidrig hält, und das Team von „Hassmelden“ zeigt diese an, wenn es den Inhalt als strafbar bewertet. 

Über 500.000 Meldungen sind es mittlerweile. Gratuliert man da? „Eher nicht“, sagt Leonhardt Träumer, als er mit unterdrückter Nummer anruft. Das passiert oft in dieser Recherche: unterdrückte Nummern, nur der Vorname oder gleich ein Pseudonym – wie Leonhardt Träumer. Denn er möchte seinen richtigen Namen nicht bekanntgeben. „Wir haben das Gefühl, dass es nicht ganz ungefährlich ist, was wir machen“, sagt er. 

Jede dritte Meldung bringt „Hassmelden“ im Schnitt zur Anzeige und damit im Idealfall den Absender vor Gericht. „Wir machen das, weil es jemand machen muss“, sagt Träumer. „Aber es sollte nicht unsere Aufgabe sein.“ Das gesamte Team arbeitet ehrenamtlich, sie bekommen keine Gelder von öffentlichen Stellen. Sie wollen keine. Nur so könne man komplett unabhängig bleiben, so Träumer. Das heißt aber auch, dass ihre Kräfte endlich sind.

„Hassmelden“ gibt es jetzt seit drei Jahren. Länger als viele Sondereinheiten bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Ist der Hass in den Sozialen Medien wirklich schlimmer geworden, oder denkt man das nur? „Es ist das Henne-Ei-Problem: Gibt es mehr Hass, oder melden die Menschen einfach mehr?“, fragt Träumer. Eines fällt aber auch ihm auf: „Morddrohungen sind deutlich häufiger geworden als vor zwei, drei Jahren.“

Ein Versuch, Ordnung in die Sozialen Netzwerke zu bringen, war das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Seit 2017 müssen die Netzwerke rechtswidrige Inhalte löschen, wenn sie ihnen gemeldet werden. Was gelöscht wird, ist zwar weg, aber es ist eben auch: weg ohne jegliche Konsequenzen. Deswegen gilt seit Februar 2022 eine Änderung dieses Gesetzes: Die Netzwerke müssen potenziell rechtswidrige Posts nicht mehr nur löschen, sondern sind jetzt auch verpflichtet, alle Inhalte, die User bei ihnen als Verstoß gegen das NetzDG melden, zu prüfen und, wenn sie sie ebenfalls als strafbar einschätzen, ans Bundeskriminalamt weiterzuleiten – inklusive letzter bekannter IP-Adresse. 

Für diese Meldungen hat das BKA eine neue Sektion geschaffen: die ZMI, die „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“. Ansgar Tolle leitet diese Abteilung aus rund 200 Kriminalbeamten. Am Ende der ersten offiziellen Arbeitswoche telefonieren wir. TikTok klagt gegen die Änderung des NetzDG, Facebook, Google, YouTube und Twitter auch. „Ja, wir haben diese Woche keine Daten erhalten und werden das am Montag auch nicht“, sagt Tolle. Trotzdem arbeite die Abteilung: Sie prüft die Meldungen, die über Plattformen und Bürger eingehen, und ermittelt, wenn der Inhalt justiziabel ist, den Absender.

Ein Problem: Die Sozialen Netzwerke wollen selber beurteilen, was strafbar ist und was nicht

Denn eines der größten Probleme bei der Ermittlung ist, dass man in vielen Fällen nicht weiß, wer hinter dem Account steckt. Das Team um Tolle sucht also nach Informationen über die Identität, es gleicht Hinweise mit Personendatenbanken ab. „Sind wir erfolgreich, schicken wir den Fall zum zuständigen LKA“, erklärt er. 

Gelingt ihnen das nicht, kommt die Abteilung von Frank Heimann dazu. Er arbeitet im Bereich Staatsschutz des BKA. Sein Team ermittelte beim Attentat in Hanau – und dann beim Anschlag auf die Synagoge in Halle. Und wenn die Identität von Verfassern politisch motivierter Straftaten, zum Beispiel Volksverhetzung, nicht so leicht herauszufinden ist. „Der erste Schritt ist eine OSINT-Recherche“, sagt Heimann. OSINT steht für „Open Source Intelligence“. Das Team sucht also nach öffentlich zugänglichen Informationen. Vielleicht hat jemand ein Foto mit Autokennzeichen gepostet, vielleicht erkennt man etwas am Halsband des Hundes auf dem Foto. „Wir haben noch mehr, aber dazu kann ich aus taktischen Gründen nichts sagen“, so Heimann.

Schon ohne ein neues Gesetz gibt es theoretisch die Möglichkeit, Nutzerdaten bei den Sozialen Medien abzufragen. Welche E-Mail-Adresse ist hinterlegt? Welche Handynummer? Das Problem ist aber, dass die Netzwerke selber beurteilen wollen, was sie strafbar finden und was nicht. Hakenkreuze zu verbreiten ist in Deutschland eine Straftat, in den USA, wo beispielsweise Meta sitzt, nicht.

Das BKA spricht von mehreren Stunden reiner Arbeitszeit für einen Fall. Die Wartezeiten, bis irgendeine Stelle antwortet, sind da nicht mit eingerechnet. So können Monate vergehen, bis ein Fall an die Staatsanwaltschaft übergeben wird. Lohnt sich das Warten? Ein Blick in die Aufklärungsquoten der BKA-Statistik: 76 Prozent der Beleidigungen im Internet, 82 Prozent der Fälle von Volksverhetzung und 85 Prozent der Bedrohungen konnte die Polizei aufklären. Doch damit ist noch niemand verurteilt, denn oft verpufft die Arbeit der Beamten vor Gericht – etwa wenn Richter Hass und Hetze als erlaubte Meinungsäußerungen einstufen. Der LKA-Mann Georgi wünscht sich deshalb „eine Gerichtsbarkeit, die sich klar positioniert“. 

Oft verbergen sich hinter Hassposts ganz normale Bürger

Wenn die Posts zwar voller Hass, aber noch nicht strafbar sind, gibt es die sogenannte Gefährderansprache oder das Gefährderanschreiben. Das heißt: Polizisten sprechen die Verfasserinnen und Verfasser von Hateposts an – zu Hause oder schriftlich –, um ihnen zu sagen, dass jetzt auch mal gut ist und sonst Konsequenzen drohen.

Aber wer sind diese Menschen, die Drohungen verfassen, Politiker ins KZ schicken wollen oder eine Beleidigung nach der anderen ins Internet schreiben? Es sind: alle. Die junge Mutter, die im Internet völlig ausrastet und dann überrascht ist, wenn wirklich mal die Polizei bei ihr steht, der Rechtsradikale, der sehr genau weiß, was er dort schreibt. Auch unter Jugendlichen ermittelt die Polizei immer öfter. Hakenkreuze und Hitlerbilder, die per WhatsApp herumgeschickt werden, Beleidigung auf Instagram oder TikTok. Ist doch nur ein Witz, war doch nicht so gemeint, ist doch nur im Internet, hören die Beamten oft. Das soll keine Ausrede mehr sein.

Als Dario Schramm als Vertreter der Bundesschülerkonferenz forderte, die Schulen wieder zu öffnen, erreichte ihn wieder der geballte Hass. Diesmal seien es keine Coronaleugner und Impfgegner gewesen, sondern Eltern, die ihre Kinder mit Homeschooling vor dem Virus schützen wollten. „Leute, die mir vorgeworfen haben, ich brächte ihre Kinder um. Die sind genauso wie die Querdenker ausgeflippt“, erzählt er.

Je mehr Hass man im Internet liest, desto drängender möchte man die Leute fragen, ob sie darüber in irgendeiner Form nachdenken. Also schreibe ich sie einfach an. Eine halbe Stunde scrolle ich mich durch Facebook und melde mich bei denen, die mir auffallen. „Finden Sie dieses Verhalten angemessen?“, frage ich. Lange bleibt es still. Dann meldet sich doch noch jemand: ein Account mit Pseudonym, ein hellblaues Profilbild, auf dem „Für unsere Kinder“ steht, keine Information außer „männlich“. Immer wieder hatte ich ihn unter Dario Schramms Postings gesehen, „Arsch“, „Volldepp“. Warum beleidigt ein Vater einen Abiturienten im Internet? „Wenn die bescheuerten Schulsprecher hier Panik schieben, kann man diese Deppen sogar noch viel mehr als beleidigen“, schreibt er mir zurück. 

Wie er das meint, will er mir nicht sagen.

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