
Schule meines Lebens, Teil 3
Unsere Autorin fuhr mit dem Bayernticket ins Klassenbewusstsein
In der Grundschule war ich eine von vielen. Wir wohnten in derselben Plattenbausiedlung, unsere Eltern machten mehrere Jobs gleichzeitig oder gar keinen, die Adidas-Klamotten hatten vier Streifen, und Urlaub hieß 30 Stunden Auto bis zu Oma in die Türkei oder ins Kosovo. Dass meine Familie arm ist, habe ich erst am Gymnasium gemerkt.
Das war eine neue Welt. Ich saß in terrakottafarbenen Einfamilienhäusern an raumgroßen Eichen-Esstischen über Gruppenarbeiten. Fuhr zu Geburtstagsfeiern auf Reiterhöfe. Oder sollte über die jährliche Skifahrt abstimmen: eine Woche Garmisch? Oder doch lieber Allgäu?
Der Kontostand meiner Mutter nahm mir diese Entscheidung ab. Mit einem Gesicht, das aufmunternd sein sollte, drückte mir eine Lehrerin einen Zettel in die Hand: „Ersatzklassenfahrt“. Gymnasiumlektion zwei: Nur eins ist noch peinlicher, als keine Kohle zu haben – dafür bemitleidet zu werden.
48 Stunden, lieblose Ausflugsziele und eine Handvoll Teenager aller Klassenstufen. Alles, was uns verband, war, dass sich unsere Eltern nicht mal diesen Trostpreis leisten konnten (das übernahm der Elternbeirat), und die Gewissheit, dass unsere Freundinnen und Freunde auf Klassenfahrt gerade Erinnerungen schufen, die uns verwehrt blieben.
Eine besonders triste Fahrt stand in der achten Klasse bevor. Mit einem Physiklehrer und einem Zehntklässler saß ich in der Regionalbahn. Unser Ziel: der Nürnberger Tiergarten. Schwer zu sagen, wer von uns am wenigsten Bock auf den Trip hatte. Trotzdem klickte es schnell zwischen dem Zehntklässler und mir: Wir fanden Zoos verwerflich, hatten eine Schwäche für Linkin Park und bereuten, nicht einfach geschwänzt zu haben. Weil er schon Alkohol kaufen konnte, tranken wir Fusel und rauchten Kippen mit Maracujageschmack, bis es in unserem Jugendherbergszimmer wieder hell wurde. Am Morgen schleppten wir uns mit einem unerträglichen Kater durch den Zoo.
Seitdem sind wir Freunde. Wenn du mit jemandem eine ganze Nacht warmen Apfellikör aus der Flasche trinkst und dich bei der Herausforderung beobachtest, nicht ins Erdmännchengehege zu kotzen, ist das ein Bund fürs Leben.
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Illustration: Animationseries2000