Das Smarte im neuen Stadtteil findet man nebenbei, vier Etagen die Treppe hinunter, Malagastraße 3, am Innenhof vorbei, ein Chip öffnet die Tür, hinter dem Haus stehen keine Müllcontainer, sondern vier mannshohe Rohre, glänzendes Metall, farbige Klappen: Müllschlucker mit überraschend kleinen Luken. So etwas gibt es in spanischen Städten und in Japan, in Finnland gab es das bisher nicht: Jätkäsaari, bis vor kurzem ein Containerterminal, ist noch immer einer von Helsinkis Fährhäfen und jetzt auch eine der größten Baustellen Europas. 20 Prozent aller Wohnungen Helsinkis werden hier auf einen Schlag gebaut. Und jetzt gibt es hier ein System, bei dem der Müll unterirdisch abtransportiert und zentral vernichtet wird.
Ziemlich smart und ziemlich sozial?
Jätkäsaari ist eine Insel, kanalweit vor Helsinki gelegen. Wo bis vor ein paar Monaten das Meer noch zu sehen war, wachsen jetzt Rohbauten. Wenn das alles einmal fertig ist, reduziert die Siedlung den Serviceverkehr um 92 Prozent. Zum Beispiel dadurch, dass wegen der Stutzen bei den Häusern keine Müllwagen gebraucht werden.
Alters-Wohngemeinschaften, Patchwork-Ensembles, Mehrgenerationen-Domizile – Alternativen zum investorenlogischen Wohnschachtel-Prinzip
Längst stehen Wohnblocks, manche schon bewohnt, daneben wird noch gehämmert, Kräne heben Bauteile durch die Luft, große Gruben werden ausgehoben. Das Ganze ist ein Stadtplaner-Traum: Nach dem Umzug des Containerhafens blieb eine betonierte, fast plane Fläche, ein mal ein Kilometer, zur freien Gestaltung: Wohnblocks, Parkflächen, Verkehrswege, Hügel. Alles konnten die Planer nach Belieben einzeichnen. Finnische Baustandards gehören zu den höchsten in Europa, dazu kommen Vorschläge aus dem Kasten der smart cities. Wie lässt sich Verkehr planen, wie Energie sparen, gewinnen, verteilen? Das unterirdische Abfallsystem, das hier im Bau ist, ist nur eine der Ideen. Die Luken sollen möglichst klein sein, damit die Bewohner ihren Abfall bereits vorher zerkleinern.
Allerdings funktioniert der Begriff der smart city für Städte wie das Etikett Bio bei Lebensmitteln: Es gibt nicht den einen einheitlichen Standard. Viel dreht sich um technische Lösungen von Zusammenleben, Vernetzung, Nachhaltigkeit. Der Nahverkehr ist in smart cities zum Beispiel besser getaktet, weil Bewegungsdaten der Bürger erfasst werden. Oft schmuggeln dabei große Unternehmen eigene Ideen unter das Label, um Profite zu sichern, Daten zu erheben, Machtpositionen auszubauen. Google und Microsoft planen ihre eigenen smart cities in Kanada und den USA. Das Label führt, wie die Kritiker und Architekten Chistopher Emsden und Luis Feduchi in einem Aufsatz mit Blick auf solche Beispiele bemängeln, zu einem „Hightech-Rückfall in den Feudalismus“. Helsinki hält politisch dagegen: Die Planung bleibt in den Händen der Stadt. Auch wenn ein Großteil des Geldes von privaten Investoren stammt: Von den fünf Milliarden Euro, die das Viertel kosten soll, stammen „nur“ 700 Millionen aus öffentlichen Geldern.
Für die Stadt bedeutet smart vor allem die Mischung von sozialen Räumen. Im Viertel werden bald bis zu 30.000 Menschen leben, viele auch hier arbeiten. Kinder sollen zur Schule gehen können und dabei nur durch Parks und über Fußgängerbrücken laufen. Die Mieten zielen auf mittlere Einkommen, aber auch für Geringverdiener und Sozialhilfeempfänger gibt es Platz. Wohnheime für Studenten werden gebaut, ein Block für Ältere nebenan, sogar ein Altersheim für mittellose Musiker gibt es. Jätkäsaari soll ein Ort der Wohnformen jenseits klassischer Kleinfamilien sein: Alters-Wohngemeinschaften, Patchwork-Ensembles, Mehrgenerationen-Domizile. Alternativen zum investorenlogischen Wohnschachtel-Prinzip.
Die Stadt will vor allem dafür sorgen, dass das Nebeneinander sozialer Mieten und derer, die sich am Wohnungsmarkt von Helsinki orientieren, funktioniert. Das geht, weil 71 Prozent der Wohnungen der Stadt gehören: Nur 40 Prozent der Wohnungen im neuen Viertel kommen auf den freien Markt, den Rest vergibt sie selbst. Ein Viertel aller Wohnungen ist subventioniert.
Bloß nicht dieselben Fehler machen wie andere Städte
Matti Kaijansinkko ist der oberste Projektmanager des Viertels, er sitzt im Stadtplanungsamt, sechste Etage, mit Blick über die Stadt. „Wir haben mit Architekten und Planern viele Städte in Europa besucht“, erzählt Kaijansinkko. Der Trend, dass Menschen in den Zentren der Städte wohnen wollen, sei in Finnland noch sehr jung. „Ein so dichtes Stadtviertel zu bauen, bei dem wir vor allem das Auto an den Rand drängen, ist noch jünger“, erklärt der Projektmanager. Man kann das am noch provisorischen Asphalt erahnen: Die Fahrbahnen sind schmal, die Schienen für die Straßenbahn nehmen mehr Raum ein. Die Planung sorgt dafür, dass etwa 2,5 Millionen Autokilometer im Jahr gespart würden, allein weil jetzt Familien aus Vororten nach Jätkäsaari zögen. Mit dem Rad ist man schneller im Zentrum. Bei ihren Besuchen hätte sie überrascht, wie häufig städtische Verwaltungen die Planung aus der Hand gegeben hätten. Kaijansinkko ist zu höflich, um Beispiele zu nennen, aber natürlich kennt er auch Berlin.
Platz für Gemeinschaft heißt: zusammen waschen, singen und schwitzen
Durch Jätkäsaari zieht sich jetzt ein Park zwischen ungleichmäßigen Blocks quer durch die Inselsiedlung – als grüner Gürtel. Innenhöfe und Parks versuchen Sonnenlicht einzufangen, in den Höfen warten Spielgeräte auf Kinder, ringsum ragen Häuser sechs und mehr Etagen hinauf, wirken dicht, aber nie massig. Dunkle Ecken und tote Winkel wurden weggeplant: Einsehbarkeit, ohne den Geschmack von Überwachung.
„Bitte benutzt Farben! Das war eine der wenigen Anweisungen an die Architekten“, erklärt Kaijansinkko. In Jätkäsaari sollten Dinge ausprobiert werden, kein Haus gleicht dem nächsten, „aber die Gebäude sind der finnischen Tradition eng verbunden.“ Praktische Nüchternheit, Platz für Gemeinschaft: Die Häuser haben Waschkeller und Kulturräume. Und, natürlich, Saunen.
Titelbild: Nordic Thing / Alamy Stock Photo