Thema – Corona

Suchen Newsletter ABO Mediathek

So ist es, ich zu sein: Hochrisikopatientin

Tina* wird oft aufgefordert, ihren Mundschutz abzunehmen – mit dem genervten Hinweis, man müsse ja keinen mehr tragen. Als Organtransplantierte macht sie das wütend

Hochrisikopatientin

Schon bevor Corona losging, habe ich oft Maske getragen, weil ich Organtransplantierte bin. Ich habe eine seltene Nierenerkrankung, weshalb mir meine Mutter nach mehreren Jahren Dialyse eine Niere gespendet hat. Gerade in der ersten Zeit nach der Transplantation habe ich fast immer eine Maske getragen, aber irgendwann fing ich an, es weniger häufig zu tun, da ich so viele negative Reaktionen bekommen habe. Viele Leute dachten, ich hätte etwas Ansteckendes. Dass die Maske durch die Pandemie als Mittel zum Eigenschutz normal wurde, hat mich erleichtert.

Immunsuppressiva verhindern häufig, dass der Körper ausreichenden Impfschutz aufbaut. Als Corona ausbrach, sagten meine Ärzte, ich dürfe mich unter keinen Umständen anstecken. Das ist seit dem Wegfall der Schutzmaßnahmen sehr schwierig geworden, denn überall, wo ich hingehe, sind Menschen ohne Maske, die möglicherweise sogar ungeimpft sind. Bei mir auf der Arbeit wurde zum Beispiel gerade eine ungeimpfte Office-Managerin eingestellt. Als es noch Maßnahmen gab, habe ich mich sehr viel sicherer gefühlt. Ich komme jetzt mit Corona in Berührung, ohne dass ich dagegen viel unternehmen könnte.

„Wir wissen alle, dass wir keine Maske tragen müssen, danke! Ich brauche nicht von irgendeiner fremden Person gemaßregelt zu werden“

Immerhin habe ich im Gegensatz zum Anfang der Pandemie jetzt einen Impfschutz und nehme mir mehr Freiräume. Vor kurzem bin ich zum Beispiel das erste Mal wieder Bahn gefahren. Dafür habe ich mir ein Erste-Klasse-Ticket geholt und einen Zug am Abend gebucht, der nicht so ausgelastet war. Außerdem trage ich immer FFP3-Masken. Ich fange auch wieder an, mich mit engen Freunden zu treffen, die sich dafür testen lassen. Als das Virus ausbrach, habe ich mich von einem Tag auf den anderen komplett isoliert. Ich war von März bis November 2020 mit keiner einzigen anderen Person mehr in einem Raum.

Dass ich Teil einer Risikogruppe bin, auf die während der Pandemie besondere Rücksicht genommen werden sollte, hat mir wenig genützt. Ich war mit meinen Problemen quasi unsichtbar. Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass man sich als Betroffene um alles selbst kümmern muss. Bei der Impfung zum Beispiel dachte ich, dass ich schnell informiert würde, doch gab es bei den Gesundheitsämtern dafür überhaupt keine Kapazitäten und auch kein Prozedere: Sie hatten keine Information darüber, dass ich zu einer Risikogruppe gehöre. Es gab auch für meine Ärzt*innen keine standardisierte Möglichkeit, die Informationen zur Priorisierung weiterzugeben. Ich habe bei verschiedenen Ämtern mehrerer Bundesländer angerufen – alles ohne Erfolg. Es war für mich ein Kampf, an diesen Impfstoff zu kommen.

Mittlerweile werde ich häufig aufgefordert, meine Maske abzunehmen – mit dem Hinweis, man müsse ja keine mehr tragen. Das nervt mich so sehr. Wir wissen alle, dass wir keine Maske tragen müssen, danke! Ich brauche nicht von irgendeiner fremden Person gemaßregelt zu werden. Häufig habe ich in solchen Situationen das Gefühl, erklären zu müssen, dass ich eine Krankheit habe. Früher habe ich gerne über Organspende geredet, weil ich es wichtig finde, darüber aufzuklären. Aber jemandem ohne Maske berichten zu müssen, dass ich organtransplantiert bin, ist unangenehm.

„Die Nase ist für mich zum Symbol von Ignoranz und Boshaftigkeit geworden“

Richtig wütend aber machen mich Menschen, die ihre Maske unter der Nase tragen. Die Nase ist für mich zum Symbol von Ignoranz und Boshaftigkeit geworden. Am Anfang habe ich viele dieser Menschen noch angesprochen, aber nur Wut abbekommen.

Durch das Ende der Maßnahmen wird suggeriert, dass Corona vorbei sei. Aber das stimmt nicht. Das Virus wird sich im Herbst oder Winter womöglich in einer neuen Variante verbreiten und ist dann vielleicht noch gefährlicher für gefährdete Menschen wie mich. Wenn es so weit ist, wäre es toll, wenn es für Risikogruppen Sicherheitszonen gäbe, eine bestimmte Uhrzeit zum Beispiel, während der wir ohne Angst im Supermarkt oder in der Drogerie einkaufen könnten. Momentan versuche ich, so schnell wie möglich wieder aus Geschäften rauszukommen.

Ich will mein Leben so wenig wie möglich vom Verhalten anderer abhängig machen. Für Risikopatienten heißt es im Moment aber immer nur: verzichten, verzichten, verzichten, während alle anderen alles machen dürfen und damit den Raum einnehmen, den sie eh schon die ganze Zeit hatten. Ich bin trotzdem froh, dass ich überhaupt etwas machen kann. Bei meiner Nierenerkrankung konnte ich das nicht. Es ist einfach mit jedem Tag schlimmer geworden. Bei Corona habe ich praktische Möglichkeiten, mich zu schützen und die nutze ich.

* Name geändert

Illustration: Gregory Gilbert-Lodge

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.