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So ist es, ich zu sein: Apothekerin

Nora, 28, ist gern Apothekerin – auch wenn sie sich täglich mit gefälschten Impfpässen rumschlagen muss

Apothekerin

Ich habe seit jeher ein Helfersyndrom. Deswegen wollte ich nach dem Abi Medizin studieren, doch leider war mein NC zu schlecht. Stattdessen habe ich mich für Pharmazie entschieden und diesen Schritt bis heute nicht bereut. Nun bin ich seit vier Jahren Apothekerin in einer großen Apotheke in der Darmstädter Innenstadt. Als Apothekerin habe ich – ähnlich wie ein Arzt – direkten Kontakt zu Patienten, allerdings ohne dass ich ihnen körperlich näher komme. Und: Wir haben in der Regel mehr Zeit als die Ärzte, um die Patienten zu beraten. Ich sehe das als unsere wichtigste Aufgabe an: Das Gespräch sollte mehr sein als „Hier ist das Ibuprofen – tschüss!“. Ich versuche immer, auf eine charmante Art und Weise Informationen mitzugeben und auf jede Frage eine Lösung parat zu haben.

Seit der Corona-Pandemie hat sich das etwas verändert. Zu Beginn waren wir vor allem die zentrale Anlaufstelle für Masken und Desinfektionsmittel, später ging es darum, Teststationen aufzubauen. Teilweise war es recht chaotisch, und klar, man hatte Angst, sich selbst zu infizieren. Vor allem, bevor es die Impfung gab. Am Anfang hat mich das überfordert. Wir hatten Menschen mit positiven PCR-Tests, die zu uns in die Apotheke kamen, weil sie nicht wussten, was sie machen sollten. Viele waren sehr angespannt.

„Wenn Menschen aggressiv werden, lässt man sie lieber ziehen, als sich mit ihnen anzulegen“

Auch um die Impfung gab es Verwirrung und irrationale Debatten: Eine Kundin beschwerte sich darüber, wegen starker Impfreaktionen im Krankenhaus gelandet zu sein. Nach Prüfung ihrer Dokumente stellte sich aber heraus, dass es nicht die Impfung, sondern eine Covid-Infektion gewesen war, die sie ins Krankenhaus gebracht hatte. Als ich ihr das erklärte, war sie der Ansicht, ihr Impfzertifikat sei nichts mehr wert und hat mich aufgefordert, es zu zerreißen. Ich habe ihr dann gesagt, dass ich das nicht machen werde, da ist sie nur noch lauter geworden und wütend rausgestürmt. In solchen Situationen denkt man dann auch mal: „Oh Gott, wir schaffen das nie aus dieser Pandemie heraus.“

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Inzwischen stellen wir wöchentlich mehrere Tausend Impfzertifikate aus und sind einiges gewohnt. Jeden Tag versuchen es vermutlich ein bis zwei Personen mit einer Fälschung. Leider ist es sehr schwierig, die mit bloßem Auge zu erkennen. Ich checke immer den Perso und den Stempel, ob ich den Arzt oder das Impfzentrum kenne, ob im Impfpass schon andere Impfungen drin sind. Im Zweifel greift das Vieraugenprinzip. Aber es ist trotzdem einfach, die Dokumente zu fälschen. Deswegen ist es wichtig, darauf zu achten: Wer steht da vor mir? Wie ist die Person drauf? Ich versuche meistens, ein wenig mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, um einen Eindruck von ihnen zu kriegen. Ein Mann stand mal superaufgeregt vor mir und hat regelrecht gezittert. Als ich dann meinte, dass ich gerne mal beim Arzt anrufen würde, um die Impfung bestätigen zu lassen, meinte er nur: „Ach nee, dann gehe ich woandershin.“ Oder zwei junge Typen, bei denen man direkt gemerkt hat, dass die einen verarschen wollten, weil sie sich gegenseitig rumgeschubst haben. Als sie gecheckt haben, dass sie bei uns nicht weiterkommen, sind sie mit den Worten „Die nächste Apotheke wird’s schon machen“ abgezogen.

Rein rechtlich gesehen dürfen wir in solchen Fällen die Impfpässe einbehalten und die Polizei rufen. Aber man überlegt sich schon gut, ob man das macht, denn in erster Linie muss man an seine eigene Sicherheit und die des Teams denken. Wenn Menschen aggressiv werden, lässt man sie lieber ziehen, als sich mit ihnen anzulegen. Ich persönlich habe keine Angst. Aber klar: Bei uns gehen täglich bis zu 1.500 Leute ein und aus, da weiß man nie. Es gibt einige ältere Kollegen, die während der Pandemie aufgehört haben, weil ihnen alles zu viel geworden ist. Manche ältere Kollegen, die noch da sind, geben die Sache mit den Impfzertifikaten inzwischen lieber an jüngere ab.

„Ich glaube, wir machen da schon einen guten Job – trotzdem will ich gar nicht wissen, wie viele Fälschungen uns schon durch die Lappen gegangen sind“

Wenn wir bei einem Impfnachweis Zweifel haben, zum Beispiel weil ein Stempel oder eine Unterschrift fehlt, müssen wir einfach hart bleiben und höflich sagen: „Nein, ich kann Ihnen das jetzt nicht ausstellen“ und erklären, warum. Manche diskutieren dann, aber wenn die Menschen nichts zu verbergen haben, sind sie in der Regel einsichtig und kommen mit einem korrigierten Eintrag wieder. Ich glaube, wir machen da schon einen guten Job – trotzdem will ich gar nicht wissen, wie viele Fälschungen uns schon durch die Lappen gegangen sind. Anfangs war der Druck sehr hoch – wir waren die, die darüber entschieden haben, ob Menschen zum Beispiel in Restaurants dürfen und dort eventuell jemanden anstecken. Inzwischen blende ich das aus. Denn wir sind Apotheker und keine Detektive. Glücklicherweise können wir seit Dezember die Chargennummern auf den Aufklebern im Impfpass überprüfen, indem wir sie auf dem Zertifikatsserver des Robert-Koch-Instituts eingeben. So können wir einschätzen, ob die Nummer zu den in Deutschland verimpften Impfstoffen gehört und ob der Impfzeitraum passt. Das macht vieles einfacher.

Dass Apotheken ständig neue Zuständigkeiten bekommen – daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt und empfinde es als positive Herausforderung. Teilweise wird es allerdings schlecht kommuniziert. Da heißt es in den Medien, dass Apotheken ab morgen impfen können, und am nächsten Tag rufen Menschen bei uns an und wollen Termine vereinbaren. Dabei ist bei uns nicht von heute auf morgen alles dafür vorbereitet: Es braucht Schulungen und Räumlichkeiten. Oft fehlt der Realitätscheck von der Politik, aber auch vom Deutschen Apothekerverband, der uns ansonsten gut durch die Pandemie gebracht hat. Aber ich habe richtig Bock aufs Impfen und freue mich, wenn wir damit dazu beitragen können, diese Pandemie zu bekämpfen.

Titelbild: Renke Brandt

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.