
Social Media erst ab 16?
Australien hat Social Media für unter 16-Jährige verboten. In Deutschland zeigen erste Bundesländer Interesse an der Idee. Brauchen wir eine Altersbeschränkung für TikTok, Instagram und Co.? Unsere Autorinnen sind sich nicht ganz einig
Ja! Man lässt Kinder auch nicht in die Spielothek
findet Carlott Bru
Staatliche Vorschriften gegen Social-Media-Nutzung bei unter 16-Jährigen könnten Kinder und Jugendliche schützen, Eltern entlasten und uns Zeit verschaffen – um das Schulsystem noch besser auf den Medienwandel vorzubereiten. Bevor jetzt die Vorwürfe kommen, diese Perspektive sei rückwärtsgewandt: Ich bin selbst Gen Z und mit dem Handy in der Hand aufgewachsen – inzwischen verbringe ich sechs Stunden täglich online.
Ich bin also selbst exzessive Userin. Und das, was ich da jeden Tag sehe, gibt mir kein gutes Gefühl: 16-Jährige, die Businesstipps geben. Teenies, die Schmink- und Outfitvideos drehen. Jugendliche, die ihr Start-up bewerben. Fleißig, könnte man sagen. Besorgniserregend, würde ich sagen.
Denn als junger Mensch sollte man sich erst einmal selbst kennenlernen. Sich vergleichen tun Teenies sowieso – aber bitte nicht gleich mit dem Rest der Welt.
Die Bank gewinnt immer
Meta, Snap Inc. und ByteDance sind Konzerne mit einem cleveren Geschäftsmodell: Das Produkt, das sie verkaufen, wird von den Nutzern generiert: Content. Nur ein paar wenige verdienen daran mit. Trotzdem will Schätzungen zufolge rund ein Drittel der Jugendlichen Influencer oder Content Creator werden. Was wird aus der Wirtschaft, wenn sich alle nur noch selbst filmen? Den Digitalkonzernen kann es egal sein. Ka-ching. Die gewinnen immer. Ähnlich wie die Bank im Casino.
Und dann wäre da noch der Suchtfaktor, der einen nicht nur am Spielautomaten befallen kann: Ausgelöst von Likes, DMs und immer neuen Kurzvideos schütten unsere Gehirne Dopamin aus. Besonders gefährdet: 10- bis 19-Jährige, deren Gehirne sich noch entwickeln. Studien zeigen: Bildschirmzeit kann den präfrontalen Kortex beeinflussen. Der regelt Disziplin, Entscheidungsfindung und Impulsregulation. Und soziale Medien können die Amygdala beeinflussen. Die regelt: Emotionen und Angst. Die logische Konsequenz all derer mit ausgereiften Gehirnen ohne Schäden: Kinder weg vom Display.
Zu viel Doomscrollen macht krank
Das Gegenteil ist der Fall. Teenies daddeln mehr als alle anderen. Laut Weltgesundheitsorganisation stieg die problematische Social-Media-Nutzung in den vergangenen Jahren sogar. Die Folgen: erhöhtes Risiko für Depressionen, Essstörungen, Selbstzweifel und soziale Isolation.
Die Konzerne selbst tun sich schwer mit Reglementierungen zugunsten der Gesellschaft – wie man an ihrem Umgang mit Fake News und Hatespeech sieht. Ihnen geht es nur um Profit. Deshalb müssen wir handeln. Denn in eine Spielothek würden wir Teenies auch nicht lassen.
Nein! Social Media hilft vielen Jugendlichen dabei, selbstbewusster zu werden
sagt Valentin Dreher
Kinder sind häufig noch nicht in der Lage, die Risiken ihrer Onlineaktivitäten vollständig zu begreifen. Deshalb ist es absolut richtig, dass die großen sozialen Netzwerke User unter 13 Jahren von ihren Angeboten ausschließen wollen. Der Internetkonzern Meta, der Instagram und Facebook betreibt, sucht mithilfe künstlicher Intelligenz nach sehr jungen Nutzer:innen und entwickelt gerade Optionen für sie, ihr Alter zu verifizieren.
Auch wenn sich Altersbeschränkungen umgehen lassen – mit dem Eintritt der Pubertät muss diese Bevormundung enden. In dieser Phase entdecken Jugendliche sich selbst – und haben plötzlich Fragen zu ihrer Identität, die sie schwer allein beantworten können.
Social Media kann ein Ort für alle sein, die „anders“ sind
Das betrifft insbesondere jene, die merken, dass sie „anders“ sind als die meisten in ihrem Freundeskreis und ihrer Klasse. Queere Jugendliche treffen online auf Gleichaltrige mit ähnlichen Erfahrungen, sie unterstützen sich gegenseitig beim Coming-out und verarbeiten gemeinsam Ablehnung aus dem analogen Umfeld. Australische Mediziner fanden heraus, dass die Nutzung sozialer Netzwerke queere Jugendliche weniger anfällig für psychische Krankheiten machen kann.
Aber auch für People of Color oder Jugendliche mit Migrationserfahrung kann es wichtig sein, sich als Teil einer Community zu fühlen, die an ihrem Wohnort womöglich sehr klein ist. Ihnen den Zugang zu sozialen Netzwerken zu verbieten, könnte die Ausbildung einer selbstbewussten Identität erschweren.
Und überhaupt: Auch Jugendliche unter 16 Jahren haben laut Grundgesetz und UN-Kinderrechtskonvention das Recht, ihre Meinung zu verbreiten. Nur wie sollen sie das tun, wenn sie nicht wählen und bald womöglich auch nicht mehr auf sozialen Netzwerken posten dürfen? Junge soziale Bewegungen wie Fridays for Future wären wohl kaum möglich gewesen, wenn sich Aktivist:innen nicht über Instagram und Co. vernetzt hätten. Nur dadurch gingen deutschlandweit Hunderttausende Menschen gleichzeitig auf die Straße.
Vernetzten statt Rumscrollen: Auf die Nutzung kommt es an
Vielleicht liegt genau darin, im Austausch mit Gleichgesinnten, der Unterschied zwischen gesunder und ungesunder Social-Media-Nutzung: US-amerikanische Forscher fanden vor kurzem heraus, dass jene Nutzer:innen unglücklicher sind, die soziale Netzwerke nur passiv nutzen. Diejenigen also, die sich andauernd durch das anscheinend perfekte Leben von Influencern scrollen. Wer hingegen aktiv teilnimmt, seine Stimme hörbar macht und sich mit anderen vernetzt, den können soziale Medien zu einem glücklicheren und selbstbewussteren Menschen machen.
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Collage: Renke Brandt