In einem Instagram-Video schildert Alex Nolte seinen Kampf mit dem eigenen Körper. „Ich war eigentlich immer glücklich und zufrieden“, sagt Nolte, während mehrere Kinderfotos von ihm eingeblendet werden, „bis ich Hautprobleme bekam “. Man sieht ein Selfie von ihm im Alter von 18 Jahren, vor allem seine Stirn ist von Pickeln und Rötungen übersät. „Dadurch änderte sich für mich alles und gefühlt wurde ich nur noch auf meine Haut reduziert“, spricht er in die Kamera. In den Kommentaren unter dem Reel danken ihm die Nutzerinnen und Nutzer für seine Offenheit. „Es ist für viele Nicht-Betroffene schwer vorstellbar, wie belastend das für einen sein kann“, heißt es da. Und, an Alex Nolte gerichtet: „Danke, dass du deine Geschichte mit uns teilst.“
Mit dem Teilen von Akne-Inhalten hat der heute 24-jährige Nolte 2019 begonnen. In den vergangenen Jahren sind auf Instagram und TikTok unzählige Accounts entstanden, die sich mit Haut, Hautpflege und Ernährung beschäftigen. Skincare-Routinen sind in den sozialen Medien zum Inbegriff von Selbstliebe und Me-Time geworden. Doch daneben hat sich eine Blase gebildet, in der es um mehr geht als Lifestyle und Beauty-Produkte: Unter Hashtags wie #acnejourney oder #acnepositivity teilen Betroffene ihre Erfahrungen mit der Hautkrankheit. Heilungsprozesse werden gezeigt, die Für und Wider diverser Medikamente abgewogen und sich vor allem gegenseitig Mut zugesprochen.
Dies habe auch Alex Nolte erfahren, erzählt er, als er im Februar 2019 das erste Mal in einer Facebook-Gruppe ein Bild von seiner Haut gepostet habe. „Zu der Zeit war ich psychisch an einem absoluten Tiefpunkt“, erzählt Nolte. „Ich war mega frustriert und verzweifelt, weil ich schon alle möglichen Ansätze gegen meine Akne ausprobiert hatte.“ Immer wieder habe er Sprüche von seiner Familie gehört, wie sehr er „blühe“ oder dass seine Haut ja noch schlimmer geworden sei. Irgendwann fasst er den Entschluss, das Thema nochmal anders anzugehen, ganzheitlicher. Sein erster Schritt: In ebenjener Facebook-Gruppe Menschen um Rat zu fragen, die selbst betroffen sind. „Daraufhin habe ich unglaublich viel Zuspruch bekommen“, sagt Nolte. „Die Leute machten mir erstmal Komplimente und schrieben, dass ich trotzdem wunderschön sei.“
Alex Nolte wird zum Akne-Influencer
Für Nolte ein Wendepunkt – und Inspiration, seine eigene Akne-Community aufzubauen. Er beginnt, sich in alle möglichen Studien zu Haut, Akne und Ernährung einzulesen und seine Erkenntnisse zu teilen – zunächst in einer eigenen Facebook-Gruppe, ab September 2019 schließlich auf seinem Insta-Kanal. Dieser sei, gerade in den ersten Monaten, schnell gewachsen. Zunehmend zeigt Nolte sich auch selbst in seinen Posts, auch wenn das erstmal nicht sein Plan gewesen sei. So wird Nolte einer der ersten Akne-Influencer im deutschsprachigen Raum; rund 14.000 Follower zählt sein Kanal heute.
„Diese Wege abseits des klassischen Gesundheitssystems waren immer schon da und es hat sie auch immer gebraucht“, sagt Doreen Reifegerste. Sie ist Professorin an der Universität Bielefeld und beschäftigt sich mit Gesundheitskommunikation und digitalen Medien. Selbsthilfegruppen etwa habe es auch vor dem Internet schon gegeben – und Social Media sei durch den Austausch und die Kommentarfunktionen eine Art Online-Selbsthilfegruppe. „Medizinerinnen und Mediziner verkörpern auch eine Art Autorität – und mit der möchte ich vielleicht nicht alle intimen Details teilen. Daher wende ich mich in den Foren eher an Gleichgesinnte.“ Allerdings bestehe in solch einem unregulierten Umfeld die Gefahr, dass sich Falschinformationen verbreiteten oder sich Pharma-Werbung untermische. „Das wird vor allem dann problematisch, wenn das in den Gesprächen mit den Medizinerinnen und Medizinern keinen Platz hat“, sagt Reifegerste. „Also wenn die Betroffenen sich vor ihrem Arzt oder ihrer Ärztin nicht zu sagen trauen: Ich nehme jetzt dieses Mittel, weil mir das im Internet empfohlen wurde.“
In einer Studie, die 2021 im Journal of Cosmetic Dermatology veröffentlicht wurde, gaben rund 92 Prozent der befragten Akne-Patientinnen und -Patienten an, sich regelmäßig oder manchmal in den sozialen Medien über Akne zu informieren. 76 Prozent gaben an, dass sie das, was sie im Internet sahen, nicht mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin teilen würden. 2021 attestierte eine Forschungsgruppe aus Ohio 100 untersuchten TikTok-Videos im Durchschnitt gravierende Mängel. Aufgrund der geringen inhaltlichen Qualität, so schlussfolgerten sie, sollten Dermatologinnen und Dermatologen die Aufklärung über Akne bei dieser Patientengruppe stärker priorisieren.
Allerdings fühlen sich gerade viele junge Akne-Betroffene von ihren Hautärztinnen und -ärzten nicht ausreichend gesehen oder ernstgenommen, wie Alex Nolte schildert. Das liegt laut Gesundheitsexpertin Reifegerste etwa am Altersunterschied zwischen Arzt und Patient sowie der mangelnden Zeit im Alltag der Medizinerinnen. Auch deswegen gehen Akne-Betroffene ins Internet und suchen dort nach Hilfe. „Aber gerade auf TikTok gilt gefühlt jede Woche was anderes als neue Geheimwaffe gegen unreine Haut“, sagt Nolte. So gab es 2024 etwa eine Welle an Videos, in denen die Creator zeigten, wie sie am Tag eine ganze Knoblauchzehe aßen oder sich Knoblauchscheiben aufs Gesicht legten, weil das angeblich gegen Pickel und Mitesser helfen sollte. Auch wenn Knoblauch antientzündlich wirken kann – ein Zusammenhang mit reiner Haut ist nicht bewiesen.
Zum Thema Akne gibt es im Internet eine regelrechte Flut an Informationen
„Viele Creator lassen sich von solchen Hypes mitreißen, weil der TikTok-Algorithmus das mit mehr Aufmerksamkeit belohnt“, beobachtet Nolte. Auch er ist in der Vergangenheit schon bezahlte Kooperationen mit Kosmetikfirmen eingegangen oder wirbt in seinen Videos für seine eigenen Produkte. So profitiert Nolte selbst auch finanziell von seiner Krankheit. Um in dem ganzen digitalen Strom nicht unterzugehen und die Userinnen und User auf eigene Inhalte aufmerksam zu machen, müsse er selbst auch manchmal reißerisch sein. „Warum nichts gegen deine Akne hilft“ heißt eins seiner Videos, ein anderes: „Milchprodukte haben meine Haut ruiniert.“
Unseriöse Trends oder Pharma-Versprechen fallen bei jungen Akne-Betroffenen schnell auf fruchtbaren Boden. „Die Verzweiflung ist groß und ich klammere mich an jeden Strohhalm“, sagt Reifegerste. „Alle, die dann mit irgendwelchen Heilsversprechen um die Ecke kommen, haben es einfach.“ Darüber hinaus könne die Omnipräsenz des Themas Skincare in sozialen Medien auch Schuldgefühle bei denjenigen auslösen, die mit unreiner Haut zu kämpfen haben. „Es wird schnell suggeriert: Wer sich nicht richtig ernährt oder nicht die richtigen Produkte nutzt, ist selbst schuld.“
Akne kann viele unterschiedliche Auslöser haben, oftmals ist sie hormonell oder genetisch bedingt. Sie beginnt meist in der Pubertät und klingt danach vielfach wieder ab. Bei 10 bis 40 Prozent der Betroffenen bestehe die Akne, laut dem Universitätsspital Zürich, allerdings auch über das 25. Lebensjahr hinaus; bei Jungs ist der Verlauf tendenziell schwerer als bei Mädchen. Insgesamt sind 70 bis 95 Prozent der Jugendlichen betroffen. Bei 15 bis 30 Prozent ist die Akne so stark ausgeprägt, dass sie medizinischer Behandlung bedarf. Dass Menschen mit Akne noch immer stark stigmatisiert werden, thematisiert eine Studie aus 2023: US-Forscherinnen und -Forscher legten den Teilnehmenden Fotos von Menschen mit und ohne Akne vor. Die digital bearbeiteten Gesichter mit Akne schnitten in vielerlei Hinsicht schlechter ab als die ohne Akne, beispielsweise wollten die Probandinnen und Probanden seltener mit ihnen befreundet sein oder schätzten sie als weniger hygienisch, intelligent und vertrauenswürdig ein.
„Ich bekomme immer noch Nachrichten von Menschen, die soziale Ablehnung erfahren“, sagt Alex Nolte. „Es ist noch ein weiter Weg.“ Ein offenerer Umgang mit der Hautkrankheit auf Social Media könne ein Stück weit zur Entstigmatisierung beitragen, meint der Influencer.
Seine eigene Akne hat Nolte inzwischen gut im Griff, so erzählt er es. Anderen Betroffenen rät er angesichts der Informationsflut zu dem Thema skeptisch zu bleiben – sowohl gegenüber Ärztinnen und Ärzten als auch Influencern: „Man sollte niemandem einfach blind vertrauen.“
Fotos: Peter DeVito @peterdevito, Models: Lauren @blah_blah_jpg, Barcelona @nazhayabarcelona, Fabian @thentheirsme