Thema – Klimawandel

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Der Sonne entgegen

Um in Deutschland Solarpanele aufs eigene Dach zu bringen, fehlen Handwerker. In Bremen installieren sie die Photovoltaikanlagen deshalb einfach selbst

Bremer Solidarstrom

Ein Sonntagvormittag, kurz nach halb zwölf in Bremen-Aumund. Auf dem Dach eines Einfamilienhauses geben sich mehrere Menschen begeistert High Fives. Eine junge Frau legt in ihren mit Stahlkappen verstärkten Sicherheitsschuhen sogar ein kleines Tänzchen auf den Dachziegeln hin. Die Feiergemeinde hat soeben ein eigenes kleines Stück Energiewende vollbracht: 27 Photovoltaikmodule glitzern dunkelbläulich in der Sonne.

Obwohl sich Deutschland unabhängig machen will von fossilen Energieträgern wie russischem Erdgas und Öl von der Arabischen Halbinsel, geht der Ausbau der erneuerbaren Energien nur langsam voran. Wer derzeit eine Solaranlage installieren möchte, benötigt neben Geld vor allem eines: Geduld. Zum einen, weil bestimmte Bauteile, die in China produziert werden, nur in kleinen Mengen nach Europa gelangen, weil die weltweiten Lieferketten gestört sind. Zum anderen, weil es selbst mit allen benötigten Materialien an Handwerkerinnen und Handwerkern fehlt.

Der Rentnerin Inge Frank gehört das Haus in der Bremer Vorstadtsiedlung, auf dem nun die akkurat ausgerichteten Panels die Südseite des Daches einnehmen. „Eigentlich hatte ich schon seit dem Kauf des Hauses vor acht Jahren die Idee, eine Solaranlage zu installieren“, sagt sie. Diesen Sommer schaltete sich Inge Franks Tochter Maren ein: „Du“, sagte die 35-Jährige zu ihrer Mutter, „ich habe da von einem interessanten Projekt gehört.“ Mit dem Projekt meinte sie den Verein „Bremer Solidarstrom“. Dessen Konzept ist simpel: Wie wäre es, wenn diejenigen, die sich eine Solaranlage aufs Dach bauen wollen, sie unter Anleitung von erfahrenen Vereinsmitgliedern einfach selbst installieren? Handwerker braucht es dann nur noch für das Aufstellen des Gerüsts und den Anschluss der Anlage ans Stromnetz.

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Wer will fleißige Handwerker sehen? Der muss wohl nach Bremen gehen

Dem Bremer Solidarstrom ging es einst vor allem um die Förderung von Ökostrom. Aber als die Mitglieder vor einigen Jahren auch selbst Solaranlagen planen und in Auftrag geben wollten, fanden sie heraus, dass viele Solarbetriebe vergleichsweise kleine Anlagen wie die auf Privathäusern nicht bauen wollten, sagt Henrik Steinert, 31, seit acht Jahren Vereinsmitglied. „Also haben wir uns gesagt: Das geht so nicht. Lasst uns da mal selber mit rangehen!“ Inspiration fand sich in der Schweiz. „Dort ist der Selbstbau schon seit vielen Jahren verbreitet“, sagt Christian Gutsche, 36, der auch beim Bremer Solidarstrom aktiv ist. In der Schweiz baute er an zwei Anlagen mit, holte Rat und Hilfe von Installateuren auch in Bremen. Im Sommer 2021 installierten die Vereinsmitglieder zum ersten Mal selbst eine Solaranlage in Deutschland.

Seither bringt das Team von Solidarstrom fast alle sechs Wochen eine Anlage an – zuletzt bei Inge Frank. Die stieg zwar nicht mehr selbst mit aufs Dach, dafür waren am Samstag, an dem die Arbeiten begannen, auch die Freunde von Tochter Maren zum Helfen dabei. Der Wetterbericht hatte 30 Grad angekündigt, vom Himmel brannte die Sonne. Auf dem Dach tropfte der Schweiß und hinterließ dunkle Flecken auf den Ziegeln, die innerhalb von Sekunden verdunsteten. Mit Knieschonern machten sich die Helfenden in Teams von zwei bis drei Personen an die Arbeit.

Können private Solaranlagen die Energiewende spürbar voranbringen?

Zunächst lösten sie markierte Ziegel aus dem Dach, in die sie kleine Aussparungen frästen. Währenddessen befestigten die anderen metallene Haken mit großen Schrauben in der unter den Ziegeln liegenden Dachkonstruktion. „Passt der Haken hier?“, fragte eine Helferin. „Ich glaube, er müsste ein Stückchen weiter nach oben“, sagte ihr Teampartner. Fast 70 Haken setzten die Teams am Samstag. Anschließend befestigten sie daran mehrere Meter lange Metallstangen, in die die schon bereitliegenden Solarmodule am folgenden Tag einfach eingeklickt wurden. Dieser letzte Arbeitsschritt war innerhalb weniger Stunden erledigt.

Für die Handwerkskammer in Bremen ist es grundsätzlich eine gute Nachricht, wenn sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger für den Bau einer Photovoltaik-Anlagen (PV) entscheiden, sagt deren Sprecher Oliver Brandt. „Allerdings ist die Installation von PV-Anlagen technisch komplex, was auch im Hinblick auf Haftungsfragen eine Rolle spielt. Fachliche Expertise und die rechtliche Befugnis für die Arbeiten sind deshalb das absolute Mindestmaß“, gibt er zu bedenken. Christian Gutsche vom Bremer Solidarstrom sieht das erfüllt. „Wir reduzieren das Unfallrisiko, indem wir die Arbeitsschutzrichtlinien einhalten“, sagt er. Besonders sicherheitsrelevante Arbeiten, wie der Bau des Gerüstes, hat ein Handwerksbetrieb verrichtet. Und sollte es dennoch zu Schäden am Haus oder an der Anlage kommen, springe eine Versicherung ein.

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POV: So sieht das Anbringen der Solarpanels für einen Vogel aus

Die bei Familie Frank installierte Anlage produziert im Schnitt 10.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Ein typischer Dreipersonenhaushalt verbraucht nur rund ein Drittel davon – und Inge Frank, die alleine wohnt, noch weniger. Der überschüssige Strom ihrer Anlage speist eine Batterie. Sobald die gefüllt ist, geht der Rest ins Netz. Ein wenig Geduld muss Inge Frank dafür mitbringen. Obwohl die Anlage fertig montiert ist und alle nötigen Kabel verlegt sind, ist sie noch nicht ans Netz angeschlossen. Noch fehlen wegen der Lieferengpässe zwei wichtige Bauteile: die Batterie und der Wechselrichter, der den Gleichstrom der Panels in Wechselstrom umwandelt und ins Stromnetz einspeist.

Selbstbau und Energiegenossenschaften

Mit ihrem pragmatischen Ansatz ähnelt die Selbstbau-Initiative den Energiegenossenschaften. Auch in Genossenschaften wollen Bürgerinnen und Bürger die Energiewende voranbringen. Doch während Selbstbauinitiativen selbst Hand anlegen und beispielsweise Solarmodule aufs Dach bringen, kümmern sich Energiegenossenschaften normalerweise vor allem ums Finanzielle. Ihre Mitglieder legen Geld zusammen, um gemeinschaftlich Solaranlagen oder sogar Windkraftwerke zu betreiben, die Einzelne nicht finanzieren könnten, weil sie zu teuer sind. Je nach investierter Summe gibt es dann jährliche Auszahlungen.

Könnten Solaranlagen wie die auf dem Dach von Inge Frank die Energiewende in Deutschland insgesamt spürbar voranbringen? Fachleute sehen ein erhebliches Potenzial, können es aber nur schwer exakt beziffern. Dazu müssten die genaue Ausrichtung aller Dächer, ihre Neigung und die Traglast ebenso berücksichtigt werden wie andere Häuser oder Bäume, die unerwünschte Schatten werfen können. Die Beratungsgesellschaft Energy Brainpool schätzt, dass auf deutschen Wohngebäuden bis zum Jahr 2030 im Idealfall eine Leistung von bis zu 79 Gigawatt installiert werden könnte – rund 15-mal so viel wie bislang. Zum Vergleich: Das größte deutsche Atomkraftwerk Isar 2 bei München verfügt über eine Leistung von rund 1,5 Gigawatt. Allerdings ließen sich die Atom- sowie Kohle- und Gaskraftwerke nicht einfach durch Photovoltaikanlagen auf vielen Dächern ersetzen. Die Solarmodule liefern schließlich nur Strom, wenn die Sonne scheint. Noch gibt es keine Speicher, die groß genug sind, um den an sonnigen Tagen erzeugten Strom für den Winter aufnehmen zu können.

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Wer arbeitet, kann auch Pause machen

Christian Gutsche vom Bremer Solidarstrom treibt eher ein anderes Problem um: Bislang können sich im Prinzip nur die eine Solaranlage aufs Dach bauen, die im eigenen Haus wohnen. Für Mieterinnen und Mieter in großen Mehrfamilienhäusern ist es deutlich komplizierter, weil zahlreiche komplizierte Vorschriften abschrecken, die Anlagen zu installieren. „Hier müssten die Regelungen deutlich gelockert werden“, fordert er.

In der Bremer Vorstadt ist man trotzdem stolz: „Ich war überrascht, wie einfach die Installation tatsächlich war. Das ist wirklich simpel, fast idiotensicher“, sagt Karo, eine von Marens Freundinnen. „Wenn du dann abends müde bist und siehst, was du da gemacht hast, ist das schon ein geiles Gefühl.“

Das Gefühl, das Karo beschreibt, kennt Christian Gutsche schon. Er hofft, dass es auf mittlere Sicht dazu beiträgt, den Fachkräftemangel zu beseitigen. Manchmal schauen Kinder und Jugendliche bei den Bauarbeiten zu. „Vielleicht sagen sich ja einige von denen: ‚Das macht Spaß, das will ich auch beruflich machen‘ und lassen sich zum Dachdecker oder Elektriker ausbilden.“ Genug Arbeit gäbe es jedenfalls um Inge Franks Haus herum: Hier brüten auf den Dächern nur Ziegel in der Sonne. Noch glitzert es sonst nirgends.

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