Seit kurzem wohnt Fabrice Pokossy wieder bei ihren Eltern. Sie teilt sich vorübergehend ein Zimmer mit ihrer Nichte. Der Boden des Raumes ist übersät mit Plastiktüten, die bis zum Rand mit Stoffen und Kleidung vollgestopft sind. Auf dem Flur hat die 35-jährige Stylistin notdürftig ihre Nähmaschine und Modellpuppen aufgestellt. Ihre Tochter ist gerade sechs Monate alt, der Vater lebt in einer anderen Stadt und ist nur selten in Douala, der – neben Jaunde – größten Stadt Kameruns. „Ich habe gerade kein Geld, um jemanden zur Betreuung der Kleinen zu bezahlen“, erklärt die zierliche Frau und lächelt müde. „Hier kann mich meine Mutter mit dem Baby unterstützen.“
Unter ihrem Modelabel Fabhers’s Design entwirft und näht Fabrice Abendkleider, Hosenanzüge oder traditionelle Kabas. Dieses luftige weite Kleid, das von vielen Frauen im Alltag getragen wird, ist meistens aus dem sogenannten Waxstoff genäht – ein großflächig gemusterter, farbenfroher Stoff. Auch der Stoff zum Internationalen Frauentag, noch liegt er sorgsam zusammengefaltet auf Fabrice’ Nähtisch, ist aus dem buntem Waxstoff. Er ist über und über mit Slogans und einem Bild bedruckt: Eine Frau hebt den Blick und die Arme zum Himmel, in ihren Händen eine Friedenstaube. Einer der Slogans lautet: „Empower unsere Frauen, für eine starke Nation“.
„Früher konnte ich mich vor Aufträgen um diese Jahreszeit gar nicht retten“
Der Internationale Frauentag am 8. März wird in vielen Städten Kameruns mit Paraden, Konzerten und in Diskotheken gefeiert. In Frauengruppen, NGOs und Sportvereinen werden Debatten und Workshops organisiert. Und jedes Jahr wählt das Ministerium zur Förderung der Frau und der Familie ein Design, das dann vom CICAM, dem größten Stoffproduzenten des Landes, in rund zwei Millionen Meter Stoff verwandelt wird. Fabrice und ihre Kolleg*innen produzieren daraus Tausende Kleidungsstücke. Auf den Märkten und in den Schaufenstern der zahlreichen Nähateliers kann man die diversen Designs bewundern: Sie reichen vom eng anliegenden Minikleid über aufwendig verzierte Zweiteiler bis hin zur luftigen Kaba. Doch es werden, so erzählt Fabrice, von Jahr zu Jahr weniger, die sich ein Kostüm zum 8. März schneidern lassen. „Früher konnte ich mich vor Aufträgen um diese Jahreszeit gar nicht retten.“
Über den feministischen Wert des Stoffes, den Fabrice Pokossy hier gerade verarbeitet, lässt sich streiten. Eintönigkeit kann man ihm aber nicht vorwerfen
Die schlechte Auftragslage im Vergleich zu den Vorjahren bestätigen auch andere Näherinnen. Ein Grund sei der öffentlich initiierte Boykott des Stoffes durch die Gruppe „Stand Up For Cameroon“, ein Zusammenschluss aus NGOS, Vereinen und Oppositionsparteien. Am 14. Februar, so sagt die Gruppe, habe in Ngarbuh im Nordwesten des Landes ein Massaker stattgefunden: Das kamerunische Militär habe mindestens 21 Zivilist*innen ermordet – darunter mehr als ein Dutzend Kinder und eine schwangere Frau. Human Rights Watch und andere internationale humanitäre Organisationen bestätigten dies, nachdem sie unabhängige Befragungen von Zeug*innen durchgeführt und Satellitenbilder ausgewertet hatten. Die kamerunische Regierung wiederum dementiert die Zahlen. Sie spricht von einem Unfall, der nur fünf Menschen das Leben gekostet haben soll.
„Wie soll ich mit ansehen, wie die Regierung unsere Schwestern in Ngarbuh umbringt – und dann in einem von der Regierung ausgewählten Stoff durch die Straßen flanieren?“
Unbestritten ist: In den englischsprachigen Gebieten im Süd- und Nordwesten des Landes bekämpfen sich seit mehr als drei Jahren Regierungstruppen und Separatisten, die die Region in die Unabhängigkeit führen wollen. Ein Konflikt, der seine Ursprünge in der Kolonialzeit hat: Einst deutsches Kolonialgebiet, wurde das Land nach dem Ersten Weltkrieg in ein größeres französisches und ein kleineres britisches Mandatsgebiet geteilt und später zusammengeführt. Heute ist Kamerun offiziell bilingual, die englischsprachige Minderheit (ca. 20 Prozent der Gesamtbevölkerung) ist jedoch in allen Bereichen des öffentlichen Lebens marginalisiert. Nach zunächst friedlichen Protesten haben sich die Spannungen zu einem bewaffneten Konflikt entwickelt, der seit 2016 rund 700.000 Vertriebene und 3.000 Tote gefordert hat.
„Stand Up For Cameroon“ ruft dazu auf, am 8. März Schwarz zu tragen. Als Zeichen der Trauer und des Respekts für die getöteten Menschen in Ngarbuh. Unter den Hashtags #8MarsEnNoir und #8MarchInBlack deklarieren viele Menschen ihre Solidarität. Vier prominente Gesichter der kamerunischen Zivilgesellschaft haben sich öffentlichkeitswirksam als „Mütter der Nation“ zusammengeschlossen und unterstützen die Kampagne: die Politikerin Kah Walla sowie die Anwältinnen Charlotte Tchakounte, Michèle Ndoki und Alice Nkom.
Vor allem in Westafrika sind Waxprints allgegenwärtig. Mit einer Wachsbeschichtung hat der Name übrigens nichts zu tun, sondern mit der ursprünglichen Produktionstechnik: dem Batikdruck
„Wie soll ich mit ansehen, wie die Regierung unsere Schwestern in Ngarbuh umbringt – und dann uniformiert, in einem von der Regierung ausgewählten Stoff durch die Straßen flanieren?“, fragt die Rechtsanwältin Alice Nkom. Die 75-Jährige hat ihr Büro im Zentrum Doualas und ist international für ihren Einsatz in der kamerunischen LGTBQI-Szene bekannt. Sie ist außerdem die erste schwarze Frau, die in Kamerun eine Zulassung als Anwältin bekommen hat. Das war 1969.
Dem Boykott des Stoffes hat sich Nkom wegen der Auseinandersetzungen im Nord- und Südwesten Kameruns angeschlossen. Aber auch, weil sich die Symbolik des Stoffes verändert habe: „Früher war der Stoff ein Zeichen der Gleichberechtigung. Ein Stoff, der alle Frauen zusammenbringt – die Verkäuferin auf dem Markt, die Hausfrau und die Anwältin. Am 8. März sind wir Frauen zu Debatten gegangen und haben uns gegenseitig auf der Straße erkannt.“ Mittlerweile habe der Stoff als Accessoire alle Debatten in den Hintergrund gestellt: „Heute denken viele Frauen, dass der 8. März nur noch der Kauf eines Kleides ist. Jede Frau will das schönere und teurere haben“, sagt sie kopfschüttelnd. Es müsse jedem klar sein, dass der amtierende Präsident Paul Biya absolut kein Interesse daran habe, Frauen ernsthaft zu fördern: „Die Frauen sollen Parade laufen, schön aussehen und artig winken, während sich die Männer die Machtpositionen zuschieben.“
„Viele Frauen schließen nach dem Studium ihren ersten Arbeitsvertrag ab, ohne zu wissen, was da überhaupt drinstehen darf“
Stella Ongodo, Marcelle Nguievo und Estelle Mabonde, rund 50 Jahre jünger als Alice Nkom und am Anfang ihrer Karriere, wollen genau das ändern. Frauen sollen nicht mehr länger durch stereotype Zuschreibungen davon abgehalten werden, ihre Traumjobs zu bekommen. Sie haben gemeinsam mit 30 weiteren Jurastudentinnen den Universitätsclub „Femmes de droits“ gegründet. Sie treffen sich auf dem weitläufigen, begrünten Universitätscampus, im Schatten der bunten Mensa-Sonnenschirme.
„Wir wollen etwas von dem weitergeben, was wir lernen. Viele Frauen schließen zum Beispiel nach dem Studium ihren ersten Arbeitsvertrag ab, ohne zu wissen, was da überhaupt drinstehen darf“, erklärt die 25-jährige Estelle, sie ist die Präsidentin des Clubs. Ganzjährig organisiert er Bildungsworkshops – einen natürlich auch am 8. März – und Prozessbesuche. „Das Zivilgesetz hat sich vor ein paar Jahren geändert, seitdem sind viele Diskriminierungen gegen Frauen beseitigt worden. Das Problem ist aber, dass nicht alle Richter das konsequent umsetzen“, sagt die 23-jährige Stella. „Dann kommt es zum Beispiel vor, dass – obwohl im Scheidungsfall Frauen und Männer heute die gleichen Ansprüche haben –, der Richter zugunsten des Mannes entscheidet.“
Nehmen den Kampf gegen Diskriminierung selbst in die Hand: die drei Jurastudentinnen Stella Ongodo, Marcelle Nguievo und Estelle Mabonde
Den drei Studentinnen geht es darum, junge Frauen und Männer für Geschlechterrollen zu sensibilisieren. Denn auch wenn Frauen heute in Kamerun in allen Berufsgruppen präsenter sind, ist die Familie meist stark patriarchal organisiert: Frauen verrichten im Durchschnitt 8,2 Stunden mehr unbezahlte Hausarbeit pro Woche als Männer. Kochen, sauber machen, Sorge tragen für Kinder, alte oder kranke Menschen? Immer noch Frauensache.
Die Diskussion um den Stoff zum 8. März interessiert die Student*innen auf dem Campus aber eher wenig: „Natürlich finde ich es auch schlimm, was in Ngarbuh passiert ist. Aber was der 8. März damit zu tun hat, verstehe ich nicht. Es geht doch gerade darum, Ungleichheiten zu thematisieren. Warum boykottiert man den Tag dann?“, fragt die erst 21-jährige Marcelle. Nein, der Tag müsse gefeiert werden, ob mit oder ohne Kleid. „Ich habe aus finanziellen Gründen bislang keines“, ergänzt ihre Clubkollegin Stella und lacht, „wenn mir aber jemand eins schenken will, ich nehme es gerne an.“
Auch die Stylistin Fabrice kann den Boykott am Stoff und der Feier nicht so richtig nachvollziehen. Sie finde es gut, dass Frauen einmal im Jahr die Bars dominieren und überall mit dem Stoff zu sehen sind. Das Ganze sei ja in erster Linie einfach nur ein Symbol für den Wert, den Frauen in der Gesellschaft haben. Sie selbst wird den 8. März mit Freundinnen verbringen – und hofft natürlich, dass bis dahin noch ein paar Aufträge reinkommen.