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„Superblocks“ sollen für weniger Autos und mehr Miteinander sorgen. Im Leipziger Osten fühlen sich manche davon überfahren

Superblocks

Ein paar bunte Kreise auf dem Asphalt, Sitzbänke, Blumenkübel und zehn Pfosten: Mehr braucht es nicht, um im Leipziger Osten die Gemüter zu erhitzen. Für die einen ist die Installation hier ein „Mosaikstein der Verkehrswende“, für die anderen ein tägliches Ärgernis.

Seit gut einem Jahr wird auf einem Abschnitt der Hildegardstraße ein sogenannter Superblock getestet. Ein Verkehrsversuch, der so super erst mal gar nicht aussieht: zehn Poller, die Autos am Durchfahren hindern sollen, dahinter ein verkehrsberuhigter Bereich. „Uns ging es vor allem darum, die Straße sicherer zu machen“, sagt Ariane Jedlitschka, Anwohnerin und eine der Initiatorinnen des Pilotprojekts. Und: „Wir wollen zeigen, dass es neue Wege gibt, Verkehr zu gestalten.“ Dafür will sie nicht auf „den Staat“ warten, sondern mit der Nachbarschaft anpacken.

Das stellte sich Jedlitschka einfach vor: ein Zebrastreifen, um die Straße sicher zu überqueren. Die Nachbarschaft beschäftigt sich mit der Straßenverkehrsordnung und stellt fest: nicht so einfach. Auf Nebenstraßen und in Ampelnähe werden normalerweise keine Zebrastreifen eingerichtet, „empfohlen“ sind sie sogar nur dort, wo stündlich 100 bis 150 Fußgänger auf 300 bis 600 Autos treffen. Zu viel für die Hildegardstraße. „Es ist kompliziert, mehr Sicherheit im Straßenverkehr herzustellen“, sagt Jedlitschka. Die Idee zum Superblocks Leipzig e. V. wächst.

Die Idee stammt aus Barcelona

Bekannt wurde das Konzept in Barcelona durch die „Superilles“. Mitte der 2010er-Jahre sah sich die Stadtverwaltung gezwungen, etwas gegen die hohe Luft- und Lärmbelastung in der Stadt zu tun, und organisierte den Autoverkehr in Wohnvierteln neu. Die Idee: Vier bis neun Häuserblocks werden für eine „Superilla“ zusammengefasst. Innerhalb des Blocks wird der Verkehr durch Tempolimits, Diagonalsperren, Poller, Hochbeete, Parkbänke oder Einbahnstraßen beruhigt, Fußgänger und Radfahrer haben Vorrang. Die Hauptstraßen um den Superblock herum können wie bisher befahren werden.

„Solche Konzepte sind wichtig, um Städte resilienter und lebenswerter zu machen“, sagt Annegret Haase. Die Stadtsoziologin hat das Leipziger Pilotprojekt wissenschaftlich begleitet. Der Superblock helfe bei der Anpassung an den Klimawandel, sagt sie. Die Begrünung sorgt für mehr Schatten und dafür, dass sich die Hitze im Sommer weniger staut. Dazu trage das Konzept zu sozial gerechterem Verkehr bei. „Kinder, Ältere mit Rollator oder Frauen mit Kinderwagen – die bleiben bei der Stadtplanung sonst oft auf der Strecke“, sagt Haase. „Wir schließen Straßen, um sie zu öffnen.“

Nach Barcelonas Vorbild haben sich etliche Initiativen gegründet: In Wien wurde das Konzept unter dem Namen Supergrätzl umgesetzt, in Darmstadt gibt es Heinerblocks, Berlin will 70 Kiezblocks schaffen. Jede Stadt setzt das Konzept anders um.

Am Leipziger Superblock kommt durch die Julihitze Friedemann Goerl angeradelt. Er ist der Fußverkehrsverantwortliche der Stadt, eine bundesweit einmalige Stelle. Goerl sagt: „Der Raum ist schon etwas Besonderes mit den Sitzmöbeln und der Bemalung auf dem sonst tristen Asphalt. Er hat eine Verwandlung durchgemacht, mehr Qualität für Aufenthalt und Spiel.“

Superblocks zwingen die Autos zu Umwegen

Auf einer der Bänke trinken zwei junge Frauen Kaffee, in und vor den Restaurants an der Kreuzung zur Eisenbahnstraße ist zur Mittagszeit viel los. „Wir haben hier seit über einem Jahr den ersten Modalfilter. Also eine Reihe von Pollern, quer über die Straße gezogen“, sagt Goerl. „Das wirft den Verkehr in Schleifen. Man kann alles erreichen, aber nicht mehr einfach durchs Quartier hindurchfahren.“

Superblocks sind nicht autofrei. Die Anwohnerschaft soll mobil, das Viertel zugänglich bleiben. Aber Verkehrsforscher beobachten, dass der Verkehr nicht nur verlagert wird, wenn Pkw langsamer und schleifenförmig durch städtische Wohngebiete fahren dürfen: Viele steigen mit der Zeit auf andere Verkehrsmittel um. Heißt: Es wird weniger Auto gefahren.

Hier in Leipzig fahren trotz Schritttempo immer noch viele Autos. Und auf den rund 60 Metern Superblock parken gleich mehrere. „Theoretisch verboten“, sagt Friedemann Goerl. „Das Parkverbot ist ein großes Problem“, sagt Hasan Ciftci.

Ciftci wohnt im Superblock und arbeitet hier in einem Restaurant. „Unsere Anlieferer bekommen jetzt dauernd Strafzettel, wenn sie hier halten“, sagt er. Und abends sei es oft lange laut: Die Leute treffen sich im verkehrsberuhigten Bereich, besonders die, die trinken und Drogen nehmen, betont Ciftci. Er wünscht sich, dass der Superblock gestoppt wird. Gegen das Projekt wurde eine Petition gestartet – und eine für seine Umsetzung, die mehr Unterschriften erhielt.

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Superblocks (Foto: Ariane Jedlitschka)
Komplett autofreie Straßen sind auch in Superblocks die Ausnahme (Foto: Ariane Jedlitschka)

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Superblocks (Foto: Leon Joshua Dreischulte)
Für manche sind Superblocks eine urbane Utopie. Für andere ein echtes Ärgernis (Foto: Leon Joshua Dreischulte)
 

Um den Konflikt zu verstehen, hilft ein Blick auf die Stadtkarte: Der Superblock grenzt an die Eisenbahnstraße, eine der Hauptverkehrsachsen Leipzigs. Wenn es sich dort staut, kürzen viele Autofahrer über die Querstraßen ab – von denen einige im Superblock liegen.

Früher betitelten grelle Reportagen die Eisenbahnstraße als „gefährlichste Straße Deutschlands“. Sie stand für Drogen und Schlägereien. Heute ist Volkmarsdorf, der Stadtteil, in dem der Superblock liegt, eher eine Wohngegend mit belebten Bürgersteigen, kleineren Geschäften, Restaurants, Bars und Spätis. Die Mieten sind günstig, das Durchschnittsalter mit am niedrigsten. Und in Volkmarsdorf sind am wenigsten Pkw pro Einwohner zugelassen. Einigen vermittele das Straßenbild einen falschen Eindruck von den Bedürfnissen im Viertel, sagen Kritiker des Superblocks: Es gebe hier genauso die, die den Block nicht als Aufwertung erleben, weil sie ihre Autos brauchen, um zur Arbeit zu kommen oder den Einkauf zu erledigen.

„Teile der migrantischen Community, die auch sonst in der Stadt kein Mitspracherecht haben, fühlen sich nicht mitgenommen“

„Viele befürchten auch, dass die Mieten steigen, wenn die Lebensqualität hier steigt“, sagt Francesca Russo. Sie ist Vorsitzende im Leipziger Migrantinnen- und Migrantenbeirat. Der hat den Superblock in einem Votum mehrheitlich abgelehnt. „Teile der migrantischen Community, die auch sonst in der Stadt kein Mitspracherecht haben, fühlen sich nicht mitgenommen“, sagt Russo. In Volkmarsdorf ist der Migrationsanteil besonders hoch. Russo persönlich glaubt, dass der Superblock das Viertel weiterbringt, hat aber auch gegen ihn gestimmt.

Was der Beirat entscheidet, ist für den Stadtrat nicht bindend. Ende April beschloss der: Das Projekt wird nicht gestoppt, sondern erweitert. Zwei weitere Diagonalsperren sollen errichtet werden, 40 Meter Straße vor einer Schule, die komplett für den Durchgangsverkehr gesperrt werden. „Beteiligungsprozesse können nie alle zufriedenstellen“, sagt Friedemann Goerl. Die Bedenken der Anwohner würden aber gehört: Die Stadt will feste Ladezonen für Lieferfahrzeuge und Pflegedienste einrichten.

Dieser Text ist im fluter Nr. 92 „Verkehr“ erschienen

Wie viel der Superblock zum Klimaschutz beiträgt, lässt sich noch nicht sagen. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig wertet dazu gerade Messdaten aus. Für Forscherin Haase ist aber klar, dass solche Maßnahmen allenfalls ein „Mosaikstein“ sind und in ein größeres Konzept für nachhaltige Stadtentwicklung eingebunden werden müssen. Das gibt es in Leipzig, die Stadt arbeitet an der Umsetzung. In Barcelona trägt das Konzept bereits: Dort wurden weniger Schadstoffe wie Feinstaub oder Stickstoffdioxid in der Luft gemessen, es gibt weniger Lärm und in den „Superilles“ kaum noch Unfälle, dafür hat sich dort sogar mehr Gastronomie und Einzelhandel angesiedelt.

In Leipzig hätte Initiatorin Ariane Jedlitschka nie gedacht, dass es solchen Widerstand geben würde gegen weniger Autoverkehr vor der Haustür. Jedlitschka wirkt erschöpft, ist aber zufrieden: Es sei jetzt „viel ruhiger und sicherer“ auf den umkämpftesten 60 Metern der Stadt.

Titelbild: Leon Joshua Dreischulte

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