Zwei Menschen blicken von einem Berg auf Aleppo

„Ich fühle mich meinem Land zum ersten Mal verbunden“

Die syrische Stadt Aleppo war im Krieg hart umkämpft und ist noch immer zerstört. Hier erzählen zwei junge Menschen, worauf sie nach dem Sturz von Dikator Assad hoffen

Protokolle: Andrea Backhaus
25. April 2025

Anfang Dezember 2024 stürzten Oppositionskräfte unter Führung der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) den syrischen Diktator Baschar al-Assad. Die HTS war ein Bündnis verschiedener Milizen. Sie distanzierte sich in jüngerer Zeit von ihren Ursprüngen in der Terrorgruppe Al Kaida und gab Ende Januar 2025 ihre Auflösung bekannt. Ihr Anführer Ahmed al-Sharaa (als er noch für Al Kaida kämpfte, bekannt als: Abu Muhammad al-Dschulani) wurde übergangsweise zum syrischen Präsidenten ernannt und gibt sich nun pragmatisch. In seinem neuen Regierungskabinett sind neben ehemaligen HTS-Funktionären auch Minderheiten und Personen aus der Zivilgesellschaft vertreten. Wahlen und eine neue Verfassung stellt al-Sharaa innerhalb der nächsten vier Jahre in Aussicht.

Aleppo, einst das wirtschaftliche Zentrum Syriens, leidet unter den Folgen des 13-jährigen Kriegs. Lange kontrollierten oppositionelle Kräfte, darunter auch Extremisten, Teile von Aleppo, bis die Truppen von Baschar al-Assad sie 2016 nach monatelanger Belagerung und heftigen Bombardierungen vertrieben. Noch immer liegen viele Häuser in Trümmern. Die Infrastruktur ist marode, viele Familien haben Angehörige verloren. 

„Ich hoffe, wir können eines Tages eine neue Regierung wählen, die das ganze Volk vertritt“

In den Tagen, als Assad gestürzt wurde, hatte ich Angst. Ich bin mit der Propaganda des Regimes groß geworden, und dort hieß es, die Rebellen seien Terroristen, die uns unsere Freiheit nehmen wollten. Bisher ist das nicht eingetreten, deswegen bin ich inzwischen zuversichtlicher. 

Viele meiner früheren Mitschüler:innen kamen aus regimekritischen Familien und mussten unauffällig bleiben. In meiner Familie wurde hingegen nie viel über Politik gesprochen. Zu Hause drehten sich die Gespräche um Alltägliches, wir waren in einer Blase. Mittlerweile beschäftige ich mich mehr mit meinem Land. Ich habe einiges über den Krieg gelesen und Beiträge von Syrern auf YouTube und Instagram angeschaut. Ich weiß jetzt: Assad hat den Menschen schlimme Dinge angetan.

Den Übergangspräsidenten, Ahmed al-Sharaa, feiern viele Syrer:innen als Helden, der das Land von der Unterdrückung befreit hat. Andere sehen ihn und seine Milizen kritisch, da die Islamisten im Krieg ebenfalls Zivilisten Leid angetan haben. Viele treibt um, dass al-Sharaa das Amt des Präsidenten einfach übernommen hat. Ich hoffe, wir können eines Tages eine neue Regierung wählen, die das ganze Volk vertritt. Die Minderheiten wie die Christen, Drusen, Ismailiten, Armenier und Kurden schützt. Viele Alawiten fürchteten anfangs Racheakte, weil einige von ihnen das Assad-Regime unterstützt haben. 

Ihre Angst war berechtigt, wie die Massaker an alawitischen Zivilisten an der Küste Anfang März zeigten. Sie hatten nichts mit Assad zu tun. Diese Spaltung sollten wir überwinden. Neben der Uni arbeite ich für das Kulturzentrum Warsha. Als junge, kreative Leute, Muslime und Christen, wollen wir die jungen Bewohner Aleppos zusammenbringen und ihnen zeigen, wie vielfältig unsere Gesellschaft ist. Wir organisieren Filmabende und Stadttouren, besuchen historische Stätten, Kirchen und Moscheen, diskutieren über Demokratie und Islamismus, aber auch über unsere Erlebnisse im Krieg. Dadurch lerne ich viele andere Sichtweisen kennen. Zum ersten Mal fühle ich mich mit meinem Land verbunden.“

Douaa Abo Rasheed, 19 Jahre alt, studiert Pharmazie an der Universität in Aleppo

Portrait von Douaa Abo Rasheed
Zerstörte Häuser in Aleppo
„Ich liebe mein Land, aber ich bin erschöpft davon, immer in Angst zu leben“
Portrait Hisham Hariri

Syrien ohne Assad: Das ist immer noch wie ein Traum. Wenn al-Sharaa hält, was er verspricht, kann ich nicht mehr zum Militärdienst gezwungen werden, und wir müssen nicht mehr fürchten, vom Regime verhaftet zu werden. Auch wenn der Machtwechsel friedlich verlief, herrschte in Aleppo Panik. Niemand wusste, was die Rebellen vorhatten, viele horteten Lebensmittel, es gab kaum Reis und Mehl zu kaufen. 

Inzwischen hat sich das beruhigt, auch wenn die Sicherheitslage angespannt bleibt. Wir hören immer wieder von Entführungen und Überfällen. Die neue Administration hat zu wenig Personal, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Alle warten auf die nächsten Schritte der Übergangsregierung. Wir wollen Frieden und gleiche Rechte für alle. Ich bin in einer Diktatur aufgewachsen, in der wir nicht frei wählen und uns nicht frei äußern konnten. Das muss sich nun ändern.

Einen Teil meiner Kindheit und meine ganze Jugend habe ich im Krieg verbracht. Es ist, als wurde mir mein Leben gestohlen. Meine beiden Brüder habe ich seit zwölf Jahren nicht gesehen. Der eine ist in die Türkei, der andere nach Deutschland geflohen, um nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden. Sie haben ihre Heimat und Familie zurückgelassen, das ist nicht einfach. 

Zu bleiben, ist aber auch schwierig, selbst jetzt. Die Assads haben das Land mehr als 50 Jahre beherrscht. Es braucht Zeit, um Syrien neu aufzubauen. Überall sieht man Häuserruinen, wir haben nur zwei Stunden Strom am Tag. Die Wirtschaft liegt am Boden. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren. Auch jetzt wollen viele Unternehmen nicht einstellen, weil sie nicht wissen, wohin das Land steuert, es gibt kaum Jobs, und die Bezahlung ist schlecht. Eine Familie zu gründen, ist so kaum möglich. 

Ich liebe mein Land, aber ich bin erschöpft davon, immer in Angst zu leben. Ich möchte ein normales Leben führen. Deswegen werde ich mich um ein Visum für Deutschland bemühen. Meine Verlobte arbeitet als Ärztin in Essen, und ich möchte dort mit ihr eine Zukunft aufbauen. Wenn es in Syrien langfristig stabil und friedlich bleibt, können wir über eine Rückkehr nachdenken.

Hisham Hariri, 27 Jahre alt, Fotograf und Videograf

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Fotos: Andrea Backhaus, Porträts: privat