Die Zukunft war ein Würfel, silbergrau, kaum höher als ein Schuhkarton. „Ihre Schreibmaschinen können Sie vergessen“, sagte der Haustechniker, als er die Zukunft auf meinem Schreibtisch in der „Stern“-Redaktion abstellte. „Viel Spaß mit dem Kollegen Mac.“
Rund 40 Jahre ist das her. Und der neue Kollege? Entpuppte sich als Wunderwürfel. Übergangslos bescherte er der Redaktion ein friedlicheres Schaffen: kein nerviges Gerassel mehr, wenn wir in die Tasten hackten, kein Fluchen, wenn sich wieder jemand vertippt hatte, kein Gefummel beim Einspannen von Kohle- und Durchschlagpapier. Der neue Kollege diente lautlos, er tilgte Fehlgriffe umgehend und konnte beliebig viele Kopien ausspucken. Kurz: Der Abschied von meiner Olympia-Schreibmaschine fiel leicht.
„Was täte ich ohne meine Enkelin, wenn ich in der Videokonferenz zu sehen bin oder zu hören – aber eben nicht beides gleichzeitig?“
Trotzdem, ein wenig mulmig war mir schon: Der Computer wurde von Jahr zu Jahr kleiner, dabei auf magische Weise mächtiger und gefräßiger. Mit jeder Version wuchs sein Speicher, er räumte Bibliotheken aus. Mein „Brockhaus“-Lexikon, 24 Bände von A bis Z, ziegelsteindick und teuer wie ein Gebrauchtwagen, fiel Wikipedia zum Opfer. Schweren Herzens verabschiedete ich mich von unzähligen Reiseführern und Atlanten, von aberhundert Schallplatten, die in Streaminganbietern aufgingen – und dann kam das Smartphone, um noch einen draufzusetzen.
Schöne neue Digitalwelt! Heute bin ich 87. Und schaue meiner 65 Jahre jüngeren Enkelin Elisa bewundernd (und ein wenig neidisch) über die Schulter, wenn ihre Daumen über ihr Smartphone tanzen und eine Flut aus Grüßen und Icons, Klatsch und Sprüchen auf ihren Freundeskreis prasselt. Kein Vergleich zu meinem tapsigen Zeigefingersuchsystem.
Was täte ich ohne Elisa, wenn sich ein Passwort, das gestern noch galt, mal wieder als unsicher oder gar falsch ausgibt? Wenn ich in der Videokonferenz zu sehen bin oder zu hören – aber eben nicht beides gleichzeitig? Wenn sie einen Text, auf den die Redaktion seit gestern wartet, aus den Tiefen meines Laptops birgt? Es sind diese unergründlichen Vorgänge, die ein Fossil wie mich überfordern.
Ich glaube, da spielt Angst mit. Angst, die einen eh leichter packt, wenn man wie ich auf die neunzig zugeht. Schon die vielen rätselhaften Kürzel auf der Tastatur stellen mich vor Probleme. Was zum Teufel hat „fn“ zu bedeuten? Was „command“? Viel schlimmer noch: was alles passieren kann, wenn ich sie versehentlich mit anderen Befehlen kombiniere. Ruck, zuck ist ein Text entstellt oder ganz gelöscht. Dann schleicht sich wieder das Schwächegefühl ein, weil der alte Kopf all die Möglichkeiten nicht begreifen mag. Und weil um Hilfe bitten nicht leicht ist. Wir Älteren denken leider oft, wir wären die Einzigen, die Probleme mit Technik haben. Dabei ist das Internet doch voller Foren, in denen sich Menschen gegenseitig helfen. Bis sich das unter uns Fossilien herumgesprochen hat, muss die Regierung wohl noch ein paar Digitalpakte verabschieden.
In einer Gesellschaft, die älter wird, ist es doch ein schönes Zeichen, dass Millionen springen, um uns digital nachzurüsten. Auch wenn es womöglich preiswerter wäre, einfach die Vorzüge der Technik herauszustellen: Gerade für uns Ältere sind die Geräte nicht nur Daddeleien, sondern Instrumente, um an der Gesellschaft teilzuhaben. Wenn Augen und Beine schwächer werden, hilft es, für eine Überweisung nicht mehr den Bus zur Sparkasse nehmen zu müssen. Viele von uns leben allein, spontane Fotos der übers Land verstreuten Kinder, Enkel und Freunde oder ein Videotelefonat jeden zweiten Sonntag lindern die Einsamkeit – vorausgesetzt, man überwindet die eigenen Unsicherheiten und lernt, das Internet zu nutzen.
„Ich habe Generationen an Technik kommen sehen – und vor allem wieder gehen“
Ich glaube jedenfalls, dass wir dafür gerüstet sind. Ich komme aus einer Zeit, in der man Uhren jedes Mal vorm Zubettgehen aufziehen musste, in der Ferngespräche das sogenannte „Fräulein vom Amt“ vermittelte. (Und ein Heidengeld kosteten: Für das stundenlange Gespräch, das ich einst von Hamburg aus mit meiner Liebsten in München führte, hätte ich genauso gut die Bahn zu ihr nehmen können.) Ich habe Generationen an Technik kommen sehen – und vor allem wieder gehen.
Wer solche Wandlungen erlebt, gewinnt Gelassenheit. Ich schaue mir vieles an, muss aber nicht mehr überall dabei sein. Zumal wir den jungen Leuten digitale Räume lassen sollten, in denen sie unter sich sind.
Dafür dürfen meine Enkel gern aushalten, wenn der Opa zur Märchenstunde ansetzt. Zum Beispiel, wie ich mir die Nase am Schaufenster des Radioladens um die Ecke platt gedrückt habe, als dahinter die erste Fernsehsendung meines Lebens lief. Oder wie ich mir als Zwölfjähriger ein Radio gebastelt habe: ein sogenannter Detektor mit einem 20 Meter langen Draht, den ich zwischen Balkon und Apfelbaum gespannt hatte. Stocherte man mit dem spitzen Drahtende über einen winzigen Kristall, krächzte der „Nordwestdeutsche Rundfunk“ im Kopfhörer.
Dieser Text ist im fluter Nr. 90 „Barrieren“ erschienen
Auch mein erster Fotoapparat kam aus dieser analogen Steinzeit. Den Film einzufädeln war knifflig, Blende und Belichtungszeit stellte man nach Gefühl und Augenmaß ein, um dann zum Aufwendigsten zu schreiten: den Film in der Dunkelkammer zu entwickeln. Wenn aber aus dem Nichts des Entwicklerbads das Bild eines Menschen oder einer Landschaft geboren wurde, war das wie ein Wunder. Nimmt mir mein dreiäugiges Smartphone diese seligen Momente? Oder beschenkt es mich mit Spontaneität und Perfektion?
Die Antwort kann vielleicht mein Laptop geben. Vor Kurzem hat Enkelin Elisa ChatGPT mit ein paar Daten gefüttert: Sie ließ den Bot einen Liebesbrief an mich schreiben. Es wurde das Porträt des alten weisen Mannes, der ich gern wäre.
Foto: Julia Sang Nguyen