Ob in Dortmund künftig noch Geld für Jugendzentren da ist, ob die Stadt Duisburg sich noch das Traumzeit-Festival leisten kann oder Köln bei Sportanlagen sparen muss, das hängt auch mit dem Hambacher Forst zusammen. Genauer gesagt mit den Folgen einer Gerichtsentscheidung: Denn kaum hatte das Oberverwaltungsgericht Münster in einem Rechtsstreit zwischen dem Umweltverband BUND und dem Energieunternehmen RWE Anfang Oktober einen vorläufigen Rodungsstopp für den Hambacher Forst beschlossen, schlug das in Essen beheimatete Unternehmen Alarm:
Was bisher im Hambacher Forst geschah und wie es 2019 weitergeht: ein Protokoll
Könnte im Braunkohletagebau Hambach nicht wie geplant Braunkohle abgebaut werden, würden jährlich Umsätze im niedrigen dreistelligen Millionenbereich wegbrechen. Auch Arbeitsplätze seien in Gefahr. Die Börse reagierte schnell auf den Gerichtsentscheid zugunsten der Braunkohlegegner: Die RWE-Aktie verlor sieben Prozent. Und davon sind auch viele Städte betroffen, die RWE-Aktien besitzen.
Der seit Jahren bestehende und in den vergangenen Monaten verschärfte Streit zwischen dem Unternehmen und den Gegnern des Braunkohleabbaus betrifft nicht nur Demonstranten, Baumbesetzer, Bergleute und das Unternehmen RWE selbst.
Er hat auch Auswirkungen auf die über 100 Kommunen, Zweckverbände und kommunalen Unternehmen, die gemeinsam einen Anteil von ungefähr 23 Prozent an dem Energieversorger halten.
Abschied von sicheren Gewinnen
Nach seiner Gründung Ende des 19. Jahrhunderts beteiligten sich die Kommunen an dem Unternehmen und bauten gemeinsam mit ihm ihre Energieversorgung aus. Lange war das ein sicheres Geschäft: Bis 1998 teilten sich wenige Unternehmen, darunter RWE, den Strommarkt in Deutschland auf. In ihrem Gebiet hatten sie ein Monopol – sie waren der einzige Stromanbieter. Wer Strom bezog, kam an ihnen nicht vorbei. Teile der sicheren Gewinne flossen in die Kassen der Städte, die an RWE beteiligt waren.
Mit der Energiewende fiel der Aktienpreis von 98 auf zeitweise 11 Euro
Das ist lange her. In den ersten zehn Jahren nach Öffnung des Strommarktes 1998 war RWE ein sehr erfolgreiches Unternehmen und investierte viel im Ausland. Die Aktien wurden immer wertvoller: 1998 kostete eine RWE-Aktie um die 50 Euro, 2007 waren es dann schon bis zu 98 Euro. Doch weil sich der Energiemarkt durch die vom Staat geförderten erneuerbaren Energien veränderte und RWE vor allem auf Kohle- und Atomstrom gesetzt hatte und die Investitionen im Ausland nicht erfolgreich waren, verloren die Aktien schnell an Wert: 2016 kostete eine RWE-Aktie nur noch etwas über elf Euro. Zurzeit sind es, trotz des Urteils zum Hambacher Forst, etwa 18 Euro.
Viele Städte machen sich Sorgen um ihre RWE-Beteiligungen. Sie fürchten, dass das Unternehmen weiter an Wert verliert und in Zukunft vielleicht keine oder nur eine geringe Dividende zahlt. Das Geld würde den meisten klammen Städten dann fehlen: für den Bau von Schulen, für Kulturausgaben oder die Sanierung alter Häuser.
Und mit diesem Geld rechnen vor allem die armen Städte im Ruhrgebiet fest, die am engsten mit RWE verbunden sind: Das Unternehmen hat seinen Sitz in Essen, Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) und die ehemalige Oberbürgermeisterin von Mülheim, Dagmar Mühlenfeld (SPD), sitzen sogar im Aufsichtsrat des Unternehmens.
Für das Ruhrgebiet bedeutet die Energiewende auch steigende Arbeitslosigkeit
Der Verband der kommunalen RWE-Aktionäre (VKA) antwortete auf Nachfrage von fluter.de, dass man nicht sofort mit Auswirkungen rechne: „Wir gehen davon aus, dass die Dividendenprognose für das Jahr 2018 von RWE gehalten wird. Mittelfristig müssen wir jedoch sowohl die Dividenden- wie auch die Kursprognosen aufmerksam beobachten.“ Städte, die im unmittelbaren Umfeld des Braunkohlereviers liegen, könnten durch die möglicherweise sinkenden Gewerbesteuereinnahmen und die eventuell steigende Arbeitslosigkeit, die ein wirtschaftlicher Abstieg von RWE auch nach sich ziehen könnte, sehr viel stärker betroffen sein als durch die Kursentwicklung der Aktien.
Durch den Wertverlust dürfen die Kommunen weniger Schulden machen
Einige Städte spielen schon länger mit dem Gedanken, ihre RWE-Aktien zu verkaufen – und manche haben dem auch schon Taten folgen lassen. In Bochum beschloss der Rat der Stadt 2016, ein erstes Paket mit rund 2,2 Millionen Aktien zu verkaufen und ein Jahr später noch mal ein ebenso großes Paket. Derzeit gebe es keine konkreten Verkaufspläne für die restlichen RWE-Aktien, teilte die Bochumer Stadtverwaltung auf Anfrage von fluter.de mit, aber man werde die Entwicklung bei RWE genau beobachten.
Aber auch wenn die Städte die Aktien nicht verkaufen, werden sie deren Wertverlust spüren: Die Aktien stehen nämlich in ihren Haushalten als Eigentum – mit dem Preis, denn sie beim Kauf hatten. Werden die Aktien teurer, ist das gut für die Kommunen. Verlieren die Aktien von RWE aber an Wert, sinkt damit auch der Wert ihres Eigentums. Und je weniger Eigentum eine Stadt hat, umso weniger Kredite darf sie aufnehmen – um sich nicht zu hoch zu verschulden.
Manuel Frondel, der Energieexperte des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, hält schon lange nichts mehr davon, dass Städte an RWE beteiligt und damit vom Wohl und Wehe des Konzerns abhängig sind. „Die dahinterstehende Annahme, die Energieversorgung sei ein risikoloses Geschäft, hat sich spätestens mit der Energiewende 2011 als falsch erwiesen.“ Durch den Rodungsstopp würden auch die Haushalte der Kommunen in Mitleidenschaft gezogen werden, vor allem durch einen niedrigeren Aktienkurs von RWE.
Titelbild: Bert Bostelmann/laif