Thema – Gender

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„Weihnachten ist für viele Frauen eine Zeit des Aushaltens“

Besinnlich und familiär – soweit das Idealbild von Weihnachten. Aber wie feiern, wenn man zuhause nicht sicher ist? Wir haben Jessica Christoph gefragt, Leiterin eines Frauenhauses in Brandenburg

Frauenhaus Illustration

Du bist betroffen?

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter 116 016 rund um die Uhr erreichbar – kostenlos, anonym und in 18 Sprachen. Weitere Infos unter www.hilfetelefon.de

Die App von „Gewaltfrei in die Zukunft e. V.“ bietet ebenfalls Zugang zu Hilfe: www.gewaltfrei-in-die-zukunft.de

fluter.de: Frau Christoph, wie viele Frauen und Kinder betreuen Sie im Durchschnitt?

Jessica Christoph: Unser Frauenhaus in Fürstenwalde bietet insgesamt zwölf Plätze, die sowohl Frauen als auch Kinder einschließen. In diesem Jahr haben wir bisher 16 Frauen und 17 Kinder aufgenommen, 89 Frauen mit 129 Kindern mussten wir aufgrund von Platzmangel weitervermitteln.

Was passiert mit denen, die nicht bleiben können?

Wir kontaktieren andere Frauenhäuser und wenden uns an die zuständigen Koordinierungsstellen der Bundesländer. Da hilft nur Rumtelefonieren, solange, bis jemand sagt: Sie kann zu uns kommen. Das kostet oft viel Durchhaltevermögen – für uns, aber vor allem für die Betroffenen. In Deutschland gibt es rund 400 Frauenhäuser mit etwa 6.800 Plätzen, rund 14.000 Schutzplätze fehlen. Daher müssen wir mit extrem begrenzten Ressourcen haushalten.

Sind besondere Rituale oder Aktivitäten zu Weihnachten dann überhaupt möglich? 

Wir bemühen uns sehr, den Frauen und Kindern eine schöne Weihnachtszeit zu ermöglichen, auch wenn das für uns Mitarbeiterinnen Überstunden bedeutet. Viele unserer Bewohnerinnen sind Anfang bis Mitte zwanzig, die absolute Mehrheit ist unter 35 Jahre alt. Dementsprechend sind die Kinder, die mit ihren Müttern in die Einrichtung ziehen, sehr jung. Gemeinsame familiäre Aktionen sind deshalb besonders wichtig: Plätzchen backen, Adventskränze basteln, Wunschzettel schreiben, das Haus dekorieren. Außerdem gibt es jedes Jahr eine Weihnachtsfeier, bei der alle zusammen Essen zubereiten, den Baum schmücken und eine Bescherung machen.

Da gibt es dann auch berührende Momente, zum Beispiel, wenn Frauen ihr Geschenk auspacken und anfangen zu weinen. Sie sind oft überwältigt von der Tatsache, dass es Menschen gibt, die ihnen etwas Gutes tun wollen – etwas, das sie in ihrer Vergangenheit selten erlebt haben. Je nach Zusammensetzung der Gruppe feiern wir aber auch andere Feste, wie etwa das Fastenbrechen im Ramadan.

„An Weihnachten haben die Betroffenen oft keine Möglichkeit, Hilfe zu holen, da sie ständig unter Beobachtung des Täters stehen“

Wie finanzieren Sie so eine Feier? 

Ohne Spenden wäre das nicht möglich. Wir sind darauf angewiesen, dass Unterstützerinnen und Unterstützer Geschenke vorbeibringen, die Stadt uns kostenlos einen Tannenbaum bereitstellt, ein Freiwilliger sich als Weihnachtsmann verkleidet und die Kinder überrascht. Da es keinen bundesweit einheitlichen Finanzrahmen für Frauenhäuser gibt, muss jede Einrichtung auf eigene Faust versuchen Hilfsgelder oder Ehrenamtliche zu bekommen.

Es ist erwiesen, dass an Weihnachten die Gewalt gegen Frauen zunimmt. Häufen sich während der Feiertage bei Ihnen die Hilferufe?

Tatsächlich gehen die Anrufe über die Feiertage eher zurück. Ja, Frauen sind zu dieser Zeit in größerer Gefahr: Man hockt aufeinander, die Erwartungshaltung ist groß, es wird viel Alkohol getrunken – das kann schnell eskalieren. Gleichzeitig haben die Betroffenen gerade dann keine Möglichkeit, Hilfe zu holen, da sie ständig unter Beobachtung des Täters stehen und selten ungestört telefonieren oder gar einen Koffer packen können. Weihnachten ist für viele Frauen zwangsläufig eine Zeit des Aushaltens. Nach den Feiertagen, Anfang Januar, sobald die Opfer wieder mehr Handlungsmöglichkeiten haben, geht es mit den Hilferufen richtig los. 

„Ausnahmen können und dürfen wir nicht machen, denn hier leben Frauen, deren Männer sich ihren Tod wünschen“

Nehmen wir mal an, eine Frau braucht Hilfe und bekommt bei Ihnen einen Platz. Wie sorgen Sie für ihre Sicherheit? 

Die Adresse unseres Frauenhauses ist geheim. Sobald eine Frau bei uns einzieht, treffen wir umfassende Sicherheitsvorkehrungen. Zunächst prüfen wir ihre Geräte auf Spyware und deaktivieren Standortdienste. Die Frauen dürfen ihren Aufenthaltsort niemandem mitteilen – weder Freunden und Freundinnen noch Familienmitgliedern. Videoanrufe oder Fotos, die Hinweise auf den Standort geben könnten, sind untersagt, und auch Besuche sind nicht erlaubt. Das ist für viele Bewohnerinnen zu Beginn sehr hart, vor allem in der Weihnachtszeit. Da ist man in so einer herausfordernden Situation, und die Mutter, Schwester oder beste Freundin darf nicht in die Einrichtung kommen. Doch Ausnahmen können und dürfen wir nicht machen, denn hier leben Frauen, deren Männer sich ihren Tod wünschen.

Bevor eine Frau zu Ihnen kommt, hat sie in der Regel schon einen langen Leidensweg hinter sich. Wie kann ich als Freundin, Kollegin oder Nachbarin erkennen, dass eine Frau Hilfe braucht? 

Es gibt oft keine offensichtlichen Anzeichen für Gewalt, genauso wie es den ‚Klischeetäter‘ nicht gibt. Männer, die ihre Frauen misshandeln, wirken nach außen hin meist sozial integriert, freundlich und sympathisch. Wichtig ist, dass man ein offenes Ohr anbietet. Zu sagen: „Du kannst mir alles erzählen. Egal, wie verrückt es klingen mag, ich glaube dir.“ Das kann sehr viel bewirken. Geht man davon aus, dass eine Frau Gewalt erfährt, ist ein diskreter Hinweis der beste Weg. Drücken Sie der Frau die Telefonnummer einer Beratungsstelle in die Hand, wenn Sie ihr das nächste Mal im Hausflur, im Büro oder beim Elternabend begegnen. Signalisieren Sie, dass Sie da sind – jedoch ohne die Frau zu bedrängen.

Unbeabsichtigt Druck auszuüben, ist also kontraproduktiv. 

Richtig. Frauen in Gewaltbeziehungen werden meist emotional manipuliert und zweifeln an sich selbst. Sie hören von Tätern, dass sie selbst schuld sind und ihnen niemand glauben wird. Und leider ist das oft tatsächlich so. Wir haben Frauen, die mit dem ganzen Freundeskreis brechen mussten, weil niemand ihnen glaubt, dass der vermeintlich liebende Partner sie jede Woche vergewaltigt und verprügelt. Viele Frauen bleiben lange in solchen Beziehungen, durchschnittlich sieben Jahre, bevor sie sich trennen. 

„Aktuell können wir nie sicher sein, dass es uns in zwei Jahren noch gibt“

Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der Politik? 

In erster Linie wünsche ich mir, dass die Istanbul-Konvention auf allen Ebenen konsequent umgesetzt wird. Frauenhäuser und Beratungsstellen dürfen keine freiwillige Leistung mehr sein. Deutschland braucht ein einheitliches Gewalthilfegesetz, das Frauen einen Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus gibt. Dann wären Bund und Länder verpflichtet, die immense Lücke an verfügbaren Schutzplätzen zu schließen. Es muss sichergestellt werden, dass wir unsere Arbeit langfristig finanzieren können, ohne bei jedem neuen Bewilligungsantrag um Gehälter oder Betriebskosten bangen zu müssen. Aktuell können wir nie sicher sein, dass es uns in zwei Jahren noch gibt.

Der stetige Kampf, Ihre Arbeit machen zu dürfen, muss ermüdend sein. Was motiviert Sie, trotzdem weiterzumachen?

Die Frauen kommen in ihrer schwersten Zeit zu uns, und in der Regel geht es ab da bergauf. Unsere Arbeit endet oft mit einem Happy End: Frauen verlassen die Einrichtung und beginnen ein gewaltfreies Leben. In den letzten Jahren ist die Zahl unserer Frauen, die nach dem Aufenthalt in die Gewaltsituation zurückkehren, deutlich gesunken. Es gibt sie noch, und wir verurteilen sie nicht, aber es werden weniger. Diese Erfolgsgeschichten zeigen, dass unsere Arbeit einen echten Unterschied macht.

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