Wo kommen diese Roller auf einmal alle her?
Vor rund zwei Jahren tauchten die ersten E-Scooter in Santa Monica, Kalifornien, auf, gefolgt von San Francisco und weiteren US-Metropolen. Einige US-Start-ups expandierten in europäische Städte wie Paris, Brüssel oder Wien. Inzwischen gibt es die Roller auf allen Kontinenten. Am 17. Mai stimmte der Bundesrat der Regierungsverordnung zur Zulassung von E-Scootern im deutschen Straßenverkehr zu (unter der Bedingung, dass diese erst ab 14 Jahren und nicht auf Gehwegen genutzt werden dürfen). Seit dem 15. Juni darf man offiziell losrollen – mit einem zugelassenen und versicherten Privatroller oder Leihscootern, die inzwischen in 29 deutschen Städten verfügbar sind. Allein in Berlin sind es rund 9.000. Bald sollen es sogar knapp 60 Städte sein. Wie viele bundesweit unterwegs sind, lässt sich nicht verlässlich sagen – nicht alle Anbieter veröffentlichen ihre Zahlen.
Wie ist ihre Ökobilanz?
Nicht so glänzend wie etwa beim Fahrrad: Ihre Herstellung ist aufwendig und ihre Lebensdauer kurz. Auch die Abholung der Roller durch sogenannte Juicer – Privatpersonen, die mit Fahrzeugen Roller transportieren, um ihre Akkus zu Hause aufzuladen – frisst viele Ressourcen. Eine Fahrt mit dem Roller emittiert durchschnittlich mehr als doppelt so viel CO₂ wie die Mitfahrt in einem öffentlichen Dieselbus: 126 Gramm gegenüber 51 Gramm pro Person und Kilometer. Wer vom konventionellen Privatauto (257 Gramm) auf einen E-Roller umsteigt, halbiert den CO₂-Ausstoß seiner Fahrt. Zu genießen sind diese Zahlen jedoch mit Vorsicht, sie bieten allenfalls eine grobe Orientierung – die Ökobilanz variiert je nach Modell und Auslastung in den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Schaubild der menschlichen Aggression: Wie viele Roller in einer Stadt zur Fortbewegung genutzt werden und wie viele, um Gehwege möglichst effektiv zu blockieren, lässt sich am jeweiligen Grad der kreativen Destruktion ablesen
Entlasten die Roller den städtischen Verkehr?
In Paris lassen etwa acht Prozent ihr Auto für den E-Scooter stehen, in Deutschland gibt es noch keine aussagekräftigen Statistiken. Erste Zahlen aus Berlin zeigen aber, dass die Rollerstrecken bei durchschnittlich rund zwei Kilometern liegen. Das Umweltbundesamt empfiehlt, diese umweltfreundlicher zu Fuß, mit Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen.
Wie sieht es mit der Sicherheit aus?
Vergleichsweise schlecht. Natürlich passieren auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad viele Unfälle. Doch „die Trittbretter der Roller sind tief, sodass sich bei Stürzen der Fuß schnell darunter verfängt“, warnt Christopher Spering, Leiter der Sektion Prävention der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Für die anderen Verkehrsteilnehmer sei gefährlich, dass die Scooter mit bis zu 20 km/h recht schnell, aber sehr leise seien und man sich daher schwer auf sie einstellen könne. Besonders drastisch wirke sich das auf Blinde und Sehbehinderte aus. Sie hören fahrende Roller selbst mit geschultem Gehör oft nicht. Auf Gehwegen und an Hauswänden abgestellt, erschweren sie die Orientierung per Blindenstock.
In Berlin lud die Verkehrssenatorin bereits im Sommer fünf Roller-Anbieter zu einem Krisengespräch ein. Es sei konstruktiv verlaufen – ein generelles Abstellverbot auf Gehwegen wird aber erstmal nicht umgesetzt …
In Berlin wurden bis zum 16. September 2019 insgesamt 74 Verkehrsunfälle mit E-Roller-Beteiligung registriert, dabei gab es 16 Schwer- und 43 Leichtverletzte. In 65 Fällen wurden die Unfälle von den Rollerfahrer*innen verursacht. Um Vergleiche zu anderen Verkehrsmitteln zu ziehen, betrachtet man Unfallzahlen in Relation zu den gefahrenen Kilometern. Eine Datenanalyse des Senders RBB ergab, dass in Berlin auf 100.000 Fahrradkilometer 0,5 Unfälle kamen, auf 100.000 Rollerkilometer hingegen drei – also sechsmal so viel.
Wissenschaftler*innen warnen jedoch vor vorschnellen Schlüssen: Die Einführung der E-Scooter läge zu kurz zurück, erst Ende nächsten Jahres könne man aussagekräftige Daten erwarten. Zudem muss das E-Scooter-Fahren auch erst einmal geübt werden. Aktuell werden eine bundesweite Sicherheitskampagne und eine Helmpflicht diskutiert.
Schafft das Geschäft mit E-Scootern zumindest lukrative Arbeitsplätze?
Die meisten Unternehmen lassen die Roller von Privatpersonen einsammeln und aufladen – für wenige Euro pro geladenem Gerät. Kosten für Transporter, Strom, Benzin tragen die selbstständigen Mikrojobber allein – auch für Gewerbeanmeldung und Versteuerung sind sie verantwortlich. Tatsächlich steckt hinter hippen Jobtiteln wie Juicer, Ranger oder Hunter eine oft prekäre Arbeitswelt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales befasst sich aktuell mit der Frage, ob die bestehenden Regelungen für neue digitale Geschäftsmodelle angepasst werden müssen.
… und eine Sondernutzungsgebühr, wie sie zum Beispiel Gastronomen entrichten müssen, wenn sie Tische auf Gehwege stellen, könne auch nicht verlangt werden. Die zivile Selbstjustiz – vergleiche Causa Bike-Sharing – bleibt wohl erstmal ungebremst
Wie geht es jetzt weiter?
Aktuell steigt die Zahl der E-Scooter. Ob sie auch im Winter genutzt und die Flotten weiter ausgebaut werden, muss sich erst zeigen: Laut einer Studie des Verkehrsberatungsunternehmens Civity sind die Roller nämlich vor allem bei gutem Wetter und unter Tourist*innen beliebt.
Der Erfolg oder Misserfolg der Roller hängt auch davon ab, wie gut deutschen Städten die Integration des neuen Transportmittels gelingt. In einigen Städten, in denen die Scooter schon 2017 oder 2018 eingeführt wurden, wurde dem dadurch verursachten Verkehrschaos unterschiedlich begegnet: Mehrere US-Gemeinden haben bereits strengere Vorschriften erlassen oder würden die E-Scooter gerne ganz verbieten, aus Mailand wurden die Roller bis auf Weiteres wieder verbannt, Paris unterzeichnete mit zehn Scooter-Anbietern eine „Charta für gutes Fahren“ und will 2.500 Roller-Stellplätze zur Verfügung stellen. In deutschen Städten werden nun ähnliche Maßnahmen diskutiert.
Inszenierung und Fotos: Max Siedentopf