Wohnen formt unser Leben in Räumen, Dingen und Regeln. Wie wir wohnen, ist immer gleichzeitig etwas sehr Nahes, Individuelles und Soziales – wir ziehen uns zurück, wir laden ein, wir zeigen uns uns selbst und den anderen. Hier beweist sich auch unsere Haltung zu den vorgegebenen Verhältnissen. Die Kleinfamilie ist das vorherrschende und bewährte Rollenmodell. In den westlichen Gesellschaften der Konkurrenz und allgegenwärtigen Warenwelt ist das Design und die Präsentation unserer Einzigartigkeit ein Wert, der auch beim Wohnen Umsatz bringt.
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Es gibt aber immer noch andere Möglichkeiten und Mutige, die sie ergreifen. So sind in den letzten Jahren neue Wohnformen und Utopien entstanden und wiederentdeckt worden – wie die solidarische WG oder genossenschaftliche Wohngemeinschaften. Sie erproben dabei auch verschiedene Vorstellungen davon, was Eigentum ist und sein sollte. Dabei kann es helfen, sich andere Formen von Wohnen – abseits unserer westlich geprägten Vorstellungen – anzuschauen.
Wohnen ist aber nicht nur im Nahraum sozial. Wir wohnen immer in der Gesellschaft, in der wir leben. Die konkreten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen bestimmen auch unsere Wohnverhältnisse.
Während vor allem in Ostdeutschland und ländlichen Gebieten Wohnungen leer stehen und die Hauspreise fallen, gibt es in vielen Universitätsstädten und Ballungsräumen akuten Wohnraummangel. Dazu kommt, dass die Wohnungspolitik noch bis vor einigen Jahren die Wohnungsfrage als gelöst ansah und dem Markt die weitere Entwicklung in die Hände gab. Dessen Gesetze sind brutal einfach, die Folgen teilweise monströs: Wenn Knappheit herrscht, steigen die Preise, wer die nicht bezahlen kann, fällt raus. Das geht hin bis zu offenem Rassismus und gewaltsamen Verdrängungspraktiken.
Auch in Deutschland kehrt in ganzen Regionen die Wohnungsfrage als soziale Frage mit neuer Vehemenz zurück
Es herrscht eine zunehmende Spaltung zwischen Eigentümern und Mietern und zwischen denen, die sich hohe Mieten leisten können, und denen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind. Auch in Deutschland kehrt so in ganzen Regionen die Wohnungsfrage als soziale Frage mit neuer Vehemenz zurück. Die Kämpfe werden härter, die Fragen an die Politik drängender. Und der Blick in andere Metropolen der Welt zeigt, dass es noch viel schlimmer werden kann.
Deutschland hat in der Nachkriegszeit, gerade im Westen, eine beeindruckende Bilanz des Bauens und Gestaltens vorzuweisen. Wie kann es gelingen, hier anzuknüpfen? Brauchen wir eine Renaissance des öffentlichen, gemeinwohlorientierten Bauens und Wohnens? Welche Beteiligungsmodelle sollen entwickelt werden? Wie können auch in den umkämpften Städten neue Lebensentwürfe Raum finden? Wie gestalten wir Wohnen angesichts der Klimakrise nachhaltiger und gerechter? Wenn es gelingt, diese Debatten so zu führen, dass die Wohnungspolitik sozial und zeitgemäß weiterentwickelt wird, können wir uns auch beim Wohnen auf die entscheidende Frage konzentrieren: Wie wollen wir leben?