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Mietropolis

Hannah hat sich in München verliebt – trifft bei ihrer Wohnungssuche aber auf wenig Gegenliebe. Wir haben sie begleitet

Moosach war nicht unbedingt Hannahs erste Wahl. Endhaltestelle der U3, aber hey, immerhin überhaupt ein U-Bahn-Anschluss. Dann noch eine Viertelstunde zu Fuß in eine Gegend, in der nur die Bewegungsmelder der Haustüren für Lebendigkeit sorgen, kurz vor der Bundesstraßenunterführung links, dahinter Gewerbegebiet. Die zwei Zimmer sind ganz okay, ein handballgroßes Loch klafft in der Küchenwand. Kein Problem, sagen die aktuellen Mieterinnen, zwei junge Frauen. Das werde sicher noch gemacht. Wäsche trocknen bitte nur im Keller, der Eigentümer habe Angst um die Bausubstanz. 1.300 Euro warm für 50 Quadratmeter. Für eine Wohnung so weit ab vom Schuss ist das Hannah dann doch zu viel.

Im Sommer 2019 kam die gebürtige Salzburgerin aus Barcelona, wo sie für einige Jahre gelebt hatte, in die bayerische Hauptstadt. Von Spanien aus hatte sich die 27-jährige Architektin für Jobs in Wien und München beworben, für sie eigentlich gleichwertig schöne Städte. Als es in München klappte, freute sie sich dann aber schon sehr. Sie fühle sich hier einfach sehr zu Hause, die Isar, der Englische Garten, die nahen Berge. „Da wusste ich aber auch noch nicht, dass das mit der Unterkunft so anstrengend wird“, erzählt sie, während sie die Tür zu ihrer aktuellen Wohnung im beliebten Schwabing aufsperrt.

Verschickte Besichtigungsanfragen: 500. Antworten: zehn

Die Wohnung liegt unterm Dach, durch die niedrigen Decken wirkt die recht groß gewachsene Hannah nahezu riesig. „Toller Boden, oder?“, sagt sie und deutet auf die braune Schaumfolie mit Holzaufdruck, weder Laminat noch Parkett, in manchen Ecken hat sich die Folie bereits abgelöst. Ein Bett, eine Kommode, einen Kleiderschrank und ein Fernsehtischchen hat ihr die Eigentümerin in diese 1,5-Zimmer-Wohnung gestellt – damit galt sie als möbliert: 1.100 Euro warm für 30 Quadratmeter.

Die Wohnung hat ihre Mutter organisiert, von Salzburg aus fuhr sie 18-mal nach München zu Besichtigungsterminen, wo sie dann ihr Smartphone auspackte und Hannah per Facetime durch die Wohnungen führte. Der hohe Mietpreis erschien Hannah in Ordnung, der Ruf der Stadt München als Mieten-Rekordstadt eilte ihr voraus – was viele Vermieter ausnutzen, um die Latte gleich noch ein paar Hundert Euro höher zu legen. Erst als sie einzog und sich mit Nachbarn und den neuen Kolleginnen austauschte, merkte Hannah, dass ihre Wohnung selbst für Münchner Verhältnisse heillos überteuert war. Nachbarn, die auch erst seit zwei Jahren in der Stadt wohnten, zahlten für ihre gleich geschnittene Wohnung nur 650 Euro.

Die Hälfte ihres Einkommens gibt Hannah gleich wieder aus: für die Miete

Für allein lebende Menschen ist die Mietbelastung in München, nach alleinerziehenden Eltern, die zweithöchste: 31 Prozent ihres Einkommens geben Erstere allein für die Miete aus, womit sie im Durchschnitt bereits über dem von Sozialwissenschaftlern als kritisch eingestuften Maß von 30 Prozent liegen. Hannah liegt weit über diesem Durchschnitt, sie überweist die Hälfte ihres Einkommens an die Vermieterin.

Bei ihrer aktuellen Suche hat sie bereits über 60 Besichtigungen hinter sich, seit einiger Zeit zahlt Hannah 30 Euro im Monat für einen sogenannten Premiumaccount auf einer Anzeigenwebsite. Die Seite verspricht zahlungswilligen Nutzern höhere Sichtbarkeit bei Vermietern, im Gegenzug müssen diese all ihre Daten, von Einkommensnachweisen bis zum Schufa-Auszug, bei der Plattform hochladen. Auf diese kann dann theoretisch jeder Vermieter zugreifen oder wer auch immer sich als solcher ausgibt. Macht sich Hannah, die bis zu ihrem Umzug noch nie von der Schufa gehört hatte, keine Sorgen um ihre Daten? „Natürlich ist das grenzwertig, manche Vermieter wollen ja sogar noch eine Kopie meines Ausweises geschickt bekommen. Und wenn sie das dann alles haben, werde ich am Ende trotzdem nicht zur Besichtigung eingeladen.“ Neulich hat Hannah gezählt, wie viele Nachrichten sie bereits auf der Plattform verschickt hat: 500. Antworten: zehn.

31%

der Deutschen leben in Großstädten, also in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern, 27% in mittelgroßen Städten (20.000 bis 100.000), 27% in Klein-städten mit 5.000 bis 20.000 Einwohnern und 15% auf dem Land.

In einschlägigen Facebook-Gruppen mit Namen wie „Wohnen trotz München“ bieten Privatpersonen schuhschachtelgroße Souterrainzimmer in angeblich „angesagten“ Vierteln an, die selbst eingeborene Münchner auf der Karte suchen müssen. Oder das Angebot besteht aus einem nur durch einen Vorhang abgetrennten Schlafbereich, der aus einer 1-Zimmer-Wohnung eine 2-Zimmer-WG macht – für je 750 Euro im Monat. Doch egal wie dreist das Angebot ist, unter jeder Anzeige finden sich stets mindestens fünf Interessenten mit dem Satz „Großes Interesse, habe dir eine private Nachricht geschickt!“.

Hannah hat in diesen Gruppen einiges erlebt: Der aktuelle Mieter einer Wohnung wollte sie seinem Vermieter nur dann vorschlagen, wenn sie ihm garantieren würde, dass sie für 9.000 Euro seine Möbel übernähme: Bett, Schrank, Küche. In lokalen Medien finden sich sogar Berichte von Menschen, denen gegen sexuelle Handlungen eine Bevorzugung bei der Auswahl oder auch eine Mietminderung im WG-Zusammenleben versprochen wurde.

„Das Traurige: Egal wie dreist, teuer oder abgefuckt die Wohnung ist, es gibt immer jemanden, der sie nimmt“, sagt Hannah. Sieht sie die Politik in der Verantwortung? „Natürlich ist es nicht so einfach, bei dem Zuzug hier für genug Wohnraum zu sorgen“, meint sie. Trotzdem wundere sie sich sehr darüber, dass, wann immer sie Baustellen sehe, es sich meistens um teure Luxuswohnungen handele. „Warum baut man nicht mal für die Allgemeinheit? Oder genehmigt wenigstens entsprechende Projekte? Ich glaube nicht, dass die Politik da machtlos ist.“ Auch einen Mietendeckel, wie er in Berlin beschlossen wurde, würde sie befürworten. Obwohl das Wohnen in München seit Jahren Dauerthema ist – eine Wende ist nicht in Sicht.

Pflegekräfte, Handwerker, Künstler: Gerade Menschen in Berufen, mit denen man nicht so viel verdient, werden vertrieben

Die Stadtregierung hat mittlerweile ein paar klassische Maßnahmen ergriffen: Mietpreisbremse, Vorkaufsrecht für Mieter, Initiativen für Wohnungsbau und mit 870 Millionen Euro immerhin das größte kommunale Wohnungsbauprogramm in Deutschland. 2018 lag der Anteil der fertiggestellten gemeinnützigen Wohnungen bei rund 17 Prozent.

Derweil vertreiben Wohnungsknappheit und hohe Mieten zunehmend Menschen aus der Stadt. Vor allem solche mit Berufen, die dringend gebraucht werden: Pflegekräfte, Erzieher, Handwerker, Künstler.

Der Wohnungsmangel verschlimmert damit auch andere Probleme, wie etwa den Pflegenotstand oder das Aussterben der Kulturszene abseits der großen staatlichen Institutionen. 2018 gingen immerhin 7.000 Menschen unter dem Motto #ausspekuliert auf die Straße – gegen den Wohnungsmangel und die hohen Mieten.

Nachdem Hannah Ende Februar zusammengerechnet hat, dass ihr Premiumaccount im Web sie bisher 240 Euro gekostet und so gut wie keine Vorteile beschert hat, meldete sie sich ab. Die neue Strategie: „Ich werde jetzt einfach alle Leute volllabern, die ich kenne!“

Wenige Tage später unterhält sie sich im Englischen Garten mit einer Bekannten über ihr Leid. Eine alte Dame rückt im Laufe des Gesprächs immer näher an sie heran und stellt sich schließlich vor: Sie sei Hausverwalterin, habe mehrere Wohnungen in der Schellingstraße zu vergeben, eine der begehrtesten Lagen der Stadt. Eine Woche später unterschreibt Hannah ihren Mietvertrag – und kann ihr Glück kaum fassen: 600 Euro kalt für 48 Quadratmeter.

Für Münchner Verhältnisse ein echtes Schnäppchen.

Titelbild: Imago

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