China ist mit knapp 1,4 Milliarden Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der Erde. Autoritär von der Kommunistischen Partei Chinas geführt, aber seit Ende der 70er-Jahre wirtschaftlich geöffnet, ist es für globale Konzerne ein Riesenmarkt geworden: In der Volksrepublik ist eine breite kauffreudige Mittelschicht entstanden – Millionen von Menschen, die Kleidung shoppen, Flüge buchen, Autos fahren, in Hotels übernachten oder im Internet surfen. Doch immer wieder geraten nordamerikanische und europäische Unternehmen in Konflikt mit den chinesischen Behörden und auch mit potenziellen Kunden – nicht selten aus politischen Gründen:
Gap druckte eine „fehlerhafte“ Landkarte auf T-Shirts: Taiwan fehlte
In einem Land, in dem die sozialen Medien zur Überwachung und Bewertung der Bürger genutzt werden, ist ein Shitstorm immer politisch. Diese Welle der Empörung begann mit einem Foto eines T-Shirts, das ein Nutzer an einem Montag Mitte Mai in dem Mikroblogging-Dienst Weibo postete, dem chinesischen Pendant zu Twitter. Das T-Shirt, angeblich entdeckt in einem Modeladen in Kanada, zeigt die Umrisse Chinas. Nur fehlte auf der Karte nach Meinung des Weibo-Nutzers eine 180 Kilometer vor dem Festland im Pazifik liegende Insel: Taiwan. 1949 flohen die Guomindang, die den Kommunisten im Bürgerkrieg unterlegen waren, auf die Insel. Taiwan nennt sich deswegen selbst Republik China und beansprucht politische Unabhängigkeit. International ist der Status Taiwans seitdem umstritten, nur 18 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen erkennen es aktuell als eigenständigen Staat an. China betrachtet die Inselgruppe als eine abtrünnige Provinz. Empört teilten und kommentierten weitere Weibo-Nutzer das Bild des taiwanfreien China-T-Shirts – bis die amerikanische Modekette Gap, die das T-Shirt vertreibt, sich Stunden später auf Weibo für das „fehlerhafte“ Design entschuldigte. Das Unternehmen, das über 300 Geschäfte in Asien hat, respektiere „die Souveränität und territoriale Integrität Chinas“. Gap kündigte nach dem Shitstorm gegenüber internationalen Medien an, die T-Shirts würden aus dem Handel genommen und vernichtet, in China selbst seien sie nicht im Verkauf gewesen.
Mehrere Airlines boten China und Taiwan, Hongkong oder Macau als getrennte Ziele an
Die australische Fluggesellschaft Qantas Airways hatte, wie viele andere Airlines, auf ihrer Website ein Auswahlmenü mit China und Taiwan als zwei getrennten Zielen, zu denen man Flüge buchen konnte. Sehr zum Missfallen der chinesischen Regierung: Ende April schickte die Luftfahrtaufsicht der Volksrepublik einer Reihe von Airlines einen Brief, in dem sie mit ernsten Konsequenzen drohte, falls die Unternehmen nicht bis spätestens Ende Mai auf ihren Buchungsseiten und in ihren Prospekten Taiwan, Hongkong und Macau als Teile der Volksrepublik China ausweisen.
Hongkong und Macau, ehemalige britische beziehungsweise japanische/portugiesische Kolonien – ja, es ist kompliziert! –, gehören heute zu China, haben aber weitreichende Autonomie. Die amerikanische Regierung reagierte empört und sprach von „Orwell’schem Nonsens“, mit dem China versuche, seine politischen Ansichten auch bei amerikanischen Bürgern und Unternehmen durchzusetzen.
Trotzdem fügten sich die Firmen, unter ihnen United Airlines, Air Canada, British Airways und die Deutsche Lufthansa. Qantas schaffte es nicht pünktlich. Die Website zu ändern sei kompliziert, erklärte das Unternehmen, aber man werde den Wünschen der chinesischen Behörden natürlich nachkommen. Die gewährten Qantas einen Aufschub. Weniger begeistert war die damalige Außenministerin Australiens, Julie Bishop. Private Unternehmen sollten ihre Geschäfte frei von politischem Druck ausüben können, sagte sie.
Eine Hotelkette listete Tibet als eigenes Land – anstatt als autonome Region
Die amerikanische Hotelkette Marriott International wollte eigentlich nur die Zufriedenheit der Kundschaft erheben – und beging aus chinesischer Sicht den gleichen Fehler wie mehr als ein Dutzend Airlines. In dem Online-Fragebogen konnten die Hotelgäste bei der Angabe ihres Herkunftslandes unter anderem „Tibet“ auswählen. Prompt sperrten die chinesischen Behörden im Januar für eine Woche die Internetseite von Marriott. Seit 1950 steht Tibet faktisch unter chinesischer Kontrolle und ist nur formal eine autonome Region. Nach einem erfolglosen Aufstand der Bevölkerung floh der Dalai-Lama, das geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter, 1959 nach Indien, wo er bis heute einer Exilregierung vorsteht.
Auf Twitter gratulierte die Unabhängigkeitsbewegung Friends of Tibet dem Unternehmen Marriott dazu, dass es die Himalaja-Region als eigenes Land gelistet hatte – und der Social-Media-Manager von Marriott wiederum gab dem Tweet vom Firmenaccount ein Like, was chinesische Twitter-Nutzer aufbrachte. #BoycottMarriott lautet das Hashtag, unter dem sich der Protest formierte. Keinen Tag später twitterte die Hotelkette, die über 300 Hotels in China unterhält, die Entschuldigung: Man unterstütze keine Separatisten, die die territoriale Integrität Chinas infrage stellten. Dem zuständigen Mitarbeiter wurde kurzerhand gekündigt.
Daimler zitiere in einem Tweet den Dalai Lama
Einmal reichte ein scheinbar harmloses Zitat, um für Unmut zu sorgen: „Schau dir eine Situation von allen Blickwinkeln aus an, und du wirst offener werden“, postete der Stuttgarter Autobauer Daimler Anfang des Jahres auf seinem Instagram-Kanal auf Englisch, weil der Kanal weltweit fürs Marketing genutzt wird. Dazu ein Foto eines weißen Mercedes am Strand. Das Problem: Die weisen Worte stammen vom Dalai-Lama. Auf die Proteste aus China reagierte Daimler nach Meinung vieler Kritiker zu unterwürfig: Auf dem chinesischen Twitter-Pendant Weibo drückte Daimler „tiefstes Bedauern“ aus, sprach sogar von einem „extremen“ Fehltritt.
Und natürlich löschte man auch sogleich das Foto – weltweit. Dabei dürfte die chinesische Bevölkerung selbst nicht viel von alldem mitbekommen haben: Instagram ist in der Volksrepublik gesperrt.
Und Google? Arbeitet an einer Suchmaschine für China, die automatisch zensiert
Gesperrt ist in China bislang auch die weltweit größte Suchmaschine: Google. Das könnte sich ändern. Medienberichten zufolge arbeitet das Unternehmen inzwischen an einer Google-Variante für den chinesischen Markt, Projektname „Dragonfly“ (Libelle). Dabei sollen Suchanfragen und Websites, die den chinesischen Behörden unlieb sind, direkt gesperrt werden. Über Menschenrechte, Demokratie oder friedliche Revolution erführen die Nutzer in China also nichts, wenn sie danach zu googeln versuchten. Im Dezember 2017 soll sich der CEO von Google, Sundar Pichai, mit einem ranghohen Funktionär der Kommunistischen Partei in China in dieser Sache getroffen haben, eine Smartphone-App wurde angeblich bereits den Behörden vorgeführt. Was an den Plänen dran ist, lässt sich nicht sagen: Offiziell bestätigt hat Google diese Berichte nicht. Menschenrechtsgruppen sind jedenfalls alarmiert: „Dass die größte Suchmaschine der Welt der Zensur folgt, ist ein Sieg für die chinesische Regierung – es sendet das Signal, dass sich niemand mehr die Mühe macht, gegen die Zensur zu kämpfen“, sagte ein Vertreter von Amnesty International der Website The Intercept, die zuerst über das Thema berichtet hatte. Auch einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Google sind offenbar beunruhigt über das Geheimprojekt ihres Arbeitgebers. In einem Brief an die Konzernleitung erbaten sie mehr Informationen. Sollten die Berichte stimmen, werfe das „dringende moralische und ethische Fragen auf“. 2010 sah die Lage noch anders aus: Damals hatte sich Google aus China zurückgezogen, weil die Firma ihre Suchergebnisse nicht länger zensieren wollte.
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