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Zurück zu den Ahninnen

Mit der Serie „Echo“ erzählt das Filmstudio Marvel eine Geschichte über Identität und Gewalt. In der Hauptrolle: Eine indigene, gehörlose Heldin mit einer Beinprothese

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Echo

Worum geht’s?

Maya Lopez aka Echo will Rache. Nachdem die widersprüchliche Marvel-Heldin mit dunkler Vergangenheit erfahren hat, dass ihr ehemaliger Mentor und Vorgesetzter Kingpin für den Tod ihres Vaters verantwortlich ist, kehrt sie zu ihrer Geburtsstätte in Oklahoma zurück. Von dort aus plant sie einen Feldzug gegen die kriminelle Organisation, der sie selbst einmal angehört hat. Statt Vergeltung findet sie dabei nicht nur sich selbst, sondern auch die Geschichte ihrer Ahninnen aus dem indigenen Volk der Choctaw.

Worum geht’s eigentlich?

Repräsentation, Familie und das Vermächtnis von Gewalt. Seit ihrer Kindheit hat Maya gelernt, Stärke und Gemeinschaft mit Gewalt und Macht zu assoziieren. Sich von ihrem Mentor loszusagen fiel ihr vergleichsweise leicht, seine Methoden und Verhaltensmuster abzulegen scheint dagegen fast unmöglich. Bedingungslose Liebe, Vertrauen und Geborgenheit sind für sie zu fremden Konzepten geworden, die ihr im Erwachsenenalter mehr Angst machen als die reale Gefahr, die von ihrem ehemaligen Mentor ausgeht.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht außerdem Mayas Identität als gehörlose indigene Frau. „Ich hätte gerne jemanden wie mich im Fernsehen gesehen, als ich jünger war“, sagte Maya-Darstellerin Alaqua Cox in einem Interview. Die gehörlose indigene Schauspielerin betont in Interviews oft, wie sehr sie sich über die authentische Form der Repräsentation in der Serie freut. „Du repräsentierst dein Volk“ ist ein Satz, der in der Serie oft fällt.

Wie wird’s erzählt?

Nahaufnahmen von schmerzverzerrten Gesichtern, düstere Musik und eine Menge Blut – schon in den ersten zehn Minuten wird deutlich, dass es sich nicht um eine klassisch humorvolle oder extravagante Superheld*innengeschichte von Marvel handelt. Raumschiffe, tanzende Bäume und sprechende Waschbären lassen sich hier nicht finden. „Echo“ ist die erste Serie, die das Filmstudio mit dem neuen „Spotlight“-Logo herausgibt. Das soll zukünftig darauf hinweisen, dass sich die gezeigten Inhalte an ein erwachsenes Publikum richten und weitgehend losgelöst von der Haupthandlung des Marvel-Universums funktionieren.

Zu den vielen Besonderheiten der Serie gehört Mayas Gehörlosigkeit. Immer wieder nehmen die Zuschauer*innen die Welt aus ihrer Perspektive wahr: leise, gedämpfte Stimmen, sich lautlos bewegende Lippen. Es ist ungewohnt, wenn die actionreichen Kampfszenen plötzlich nicht mit dröhnender Musik unterlegt sind. Stattdessen hören Zuschauer*innen oft nur das dumpfe, fast rhythmische Zusammenstoßen von Körpern. Gebärdensprache gehört mit derselben Selbstverständlichkeit zur Serie wie gesprochene Sprache. Zudem spielt Mayas indigene Abstammung sowohl für die Handlung als auch die Ästhetik eine entscheidende Rolle. Mythen, Kultur und die Vertreibungsgeschichte des real existierenden Choctaw-Volkes werden miteinander verknüpft. Die Tatsache, dass Schauspielerin Alaqua Cox eine Beinprothese trägt, ist in die Erzählung eingebunden worden und wichtiger Bestandteil ihrer Figur. Am Ende tragen all diese Aspekte zu einer vielschichtigen Erzählung bei, in deren Mittelpunkt die packende Entwicklung von Maya steht.

 
Echo
Die Mythen, Kultur und Vertreibungsgeschichte des Choctaw-Volkes spielen eine wichtige Rolle in „Echo“

Gut zu wissen

Auch wenn „Echo“ offiziell ein Spin-off der Marvel-Serie „Hawkeye“ ist und Mayas ehemaliger Mentor Kingpin seinen ersten Auftritt in der Netflix-Produktion „Daredevil“ hatte, muss man beides vorher nicht gesehen haben, um der Handlung folgen zu können. Viele Passagen von „Hawkeye“ werden in Rückschauen wiederholt, und die Geschehnisse von „Daredevil“ webt die Serie bei Bedarf geschickt ein.

Wer mehr über den Comic-Ursprung von „Echo“ wissen möchte, wird bei David Macks Comics „Daredevil“ #9-15 und #51-55 aus dem Jahr 1998 fündig. Sie erzählen Mayas Geschichte zum ersten Mal und etablieren sie als gehörlose Gegenspielerin zum blinden Superhelden Daredevil. Ein weiterer Comic, in dem Gebärdensprache eine besonders große Rolle spielt, ist Matt Fractions und David Ajas „Hawkeye“ von 2012, auf dem die erwähnte gleichnamige TV-Serie beruht.

Anders als in den Comics gehört Maya nicht zu den Cherokee, sondern ist in der Serie bei der Choctaw Nation aufgewachsen. Executive Producer Sydney Freeland zufolge wurden das Drehbuch sowie die Kostüme mit Mitgliedern der Choctaw in Oklahoma abgesprochen. Eine in Choctaw synchronisierte Version der Serie wurde für eine Vorabvorstellung im örtlichen Cultural Center produziert. Teil des Casts sind neben Alaqua Cox weitere indigene Schauspieler*innen wie Tantoo Cardinal oder Devery Jacobs.

Wie waren die Reaktionen auf die Serie?

„Ich glaube nicht, dass ich meine Identität jemals auf diese Weise auf der Leinwand dargestellt gesehen habe“, schrieb die gehörlose Journalistin Alison Stine über die Figur der Maya, nachdem sie deren Auftritte in „Hawkeye“ gesehen hatte. Die ersten Reaktionen auf „Echo“ klingen ähnlich. „Es fühlt sich an, als würde ich träumen. Ich habe noch nie so viele hörende indigene Schauspieler gesehen, die Gebärdensprache sprechen“, schreibt eine indigene gehörlose Frau auf dem Kurznachrichtendienst X. „Als Mensch mit einer Amputation ging es mir genauso“, kommentiert jemand anders. Die oft genannte Befürchtung, es könnte in der Serie nicht genug Raum geben für die vielen Aspekte, die die Figur der Maya in sich vereint, hat sich als unberechtigt herausgestellt. Im Gegenteil: Ihre Mehrdimensionalität kann dafür sorgen, dass sich ganz unterschiedliche Menschen zum Teil zum ersten Mal in der Protagonistin einer Mainstream-Produktion gespiegelt sehen.

„Echo“ läuft bei Disney+. 

Fotos: ©Marvel Studios 2023

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.