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Warum ist Rauchen wieder cool?

Krebs, Asthma, Demenz – die Risiken des Tabakkonsums sind bekannt. Und die Zahl der Rauchenden war viele Jahre lang rückläufig. Jetzt steigt sie unter Jugendlichen wieder. Was ist da los?

Raucher

Eine Packung Tabak reicht mindestens sechs Wochen, auch wenn Lilli was abgibt, bezahlt vom Taschengeld. Die 16-Jährige raucht meistens am Wochenende, nur manchmal unter der Woche. Lilli besucht die elfte Klasse einer Gesamtschule in Brandenburg. Von ihren Mitschüler:innen hätten fast alle auch schon einmal geraucht, schätzt sie.

„Für mich ist das Rauchen ein kleiner Selfcare-Moment. Die Zeit, die ich mir zum Drehen nehme, ist ein richtiges Ritual für mich. Gerade pausiere ich, um nicht abhängig zu werden.“

Daniel, 20, Schüler aus München

Laut neuesten Befragungen zum deutschen Rauchverhalten (DEBRA) geben 15,9 Prozent der 14- bis 17-Jährigen und 40,8 Prozent der 18- bis 24-Jährigen an, aktuell Tabak zu konsumieren. So viele Jugendliche wie noch nie seit Einführung der Befragung vor sieben Jahren. Dabei rauchten in den letzten 30 Jahren immer weniger Menschen, bis 2021 hatten vor allem die Teenager fast aufgehört: Nur noch 6,1 Prozent zwischen 12 und 17 Jahren qualmten. Wieso rauchen so viele Heranwachsende auf einmal wieder? 

Als Kind versteckte Lilli die Zigaretten ihrer Mutter – jetzt raucht sie selbst 

Lilli hat vor einem Jahr den ersten Zigarettenzug genommen. „Eigentlich fand ich es immer eklig, bis ich es dann selbst probiert habe“, sagt sie heute. Als Kind versteckte sie die Zigarettenschachteln ihrer Mutter, um sie zum Aufhören zu bewegen. Inzwischen raucht ihre Mutter nicht mehr – dafür hat Lilli angefangen. „Ich finde es halt leider wirklich cool. Ich glaube, das ist ein Trend, der nicht mehr weggeht“, meint sie. Dabei wollen viele von Lillis Freund:innen aufhören, denn ihnen ist eigentlich klar, wie ungesund das Rauchen ist.

Jährlich sterben rund 127.000 Menschen in Deutschland an den gesundheitlichen Folgen des Rauchens. „Im Prinzip schädigt man damit jedes Organ im Körper“, sagt Ute Mons, Expertin für Tabakprävention und Epidemiologin an der Universität zu Köln. 

Vape (Foto: Madeleine Morlet /KINTZING/Connected Archives)
Frei sein und ein bisschen verwegen: Was viele mit dem Rauchen verbinden, ist genau das, was man in der Pandemie besonders schwer ausleben konnte (Foto: Madeleine Morlet /KINTZING/Connected Archives)

Atemwegserkrankung made sexy? Freiheit, Coolness, Unabhängigkeit – alles Werte, mit denen sich Tabakunternehmen schmücken wollen. Offenbar sind sie damit erfolgreich. Klaus Hurrelmann, seit Jahrzehnten Jugendforscher, Pädagoge und Soziologe, weiß, warum das vor allem bei jungen Leuten so gut funktioniert. Ein Raucher, so denken viele, das sei „ein richtig freier Mensch, der selbstständig denkt“, sagt er. Ein Bild, mit dem sich Heranwachsende gern identifizieren, vor allem wenn es um die Abnabelung von den Eltern geht. 

 

„Ich habe im Covid-Lockdown angefangen – weil ich nichts Besseres zu tun hatte. Ich wäre gern Genussraucherin, aber meistens rauche ich aus Langeweile und manchmal auch aus einer Art Unsicherheit. Als Raucher:in gehöre ich nämlich automatisch zu einer Gesellschaftsgruppe, die für mich irgendwie auch als cool gilt: links, jung, gebildet.“

Jaël, 24, Studentin aus Basel 

Laut Hurrelmann könnte die gestiegene Raucherzahl auch eine Nachwirkung der Pandemie sein. In dieser Zeit hätten junge Menschen einen Kontrollverlust erlebt, Gleichaltrige nur noch auf Bildschirmen gesehen, soziale Beziehungen vermisst und um ihre Zukunft gebangt. 30 Prozent der befragten Jugendlichen in einer Studie, die solche Nachwirkungen untersucht, zeigten psychosomatische Stresssymptome wie Gereiztheit, Einschlafprobleme und Kopfschmerzen. Mädchen traf es laut der Studie einer Krankenkasse besonders schwer: 54 Prozent mehr erstmalig entwickelte Essstörungen und 24 Prozent mehr Angststörungen bei den 15- bis 17-Jährigen. 

Beliebte Ausweichhandlung: Stundenlang am Handy scrollen – oder eine Kippe anmachen. Hurrelmann sieht einen Zusammenhang: „Das ist alles eine Art der Betäubung. Die Jugendlichen wissen, dass Rauchen schädlich ist, aber wissen dennoch keinen anderen Weg, mit den multiplen Krisen umzugehen.“ Lilli kann mit der Frage nach dem Rauchen vor Corona nichts anfangen: „Als die Pandemie losging, war ich in der siebten Klasse. Da war Rauchen noch kein Thema.“

Deutschland liegt auf der europäischen Tabakkontroll-Skala abgeschlagen auf Platz 34

Hurrelmann fordert, jungen Menschen andere Strategien beizubringen, mit Druck umzugehen – in Schulen und durch Kampagnen. Statt Rauchen lieber Sport treiben, sich ablenken, regenerieren oder mentales Training absolvieren. „Die Gen Z ist sehr gesundheitsbewusst, in vielen Bereichen. Viel mehr als vorhergegangene Generationen“, sagt er. Auch Lilli macht viel Sport, seit zwei Jahren geht sie vier- bis fünfmal wöchentlich ins Fitnessstudio, joggt regelmäßig. „In meinem Freundeskreis ist niemand eine Coach-Potato, alle bewegen sich viel.“ Dabei macht sich das Rauchen langsam, aber sicher bemerkbar: „Ich kriege schlechter Luft bei Ausdauerübungen.“ 

„Natürlich liegt der Reiz auch dabei, etwas ‚Verbotenes‘ zu tun, und ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass ich es cool und attraktiv finde. Außerdem ist es manchmal einfach entspannter, irgendwo zu chillen und dabei eine zu rauchen, als einfach nur zu chillen und nichts dabei zu tun.“

Anonym, 15, Schüler aus Potsdam 

Ein Grund, aufzuhören? Lilli legt dann manchmal eine Pause ein – vom Rauchen, nicht vom Sport. So hat sie es auch nächsten Monat vor. Sie überlegt, sich eine nikotinfreie Vape zuzulegen – um dann ganz aufzuhören. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) enthalten manche der sogenannten Liquids, die Flüssigkeiten, die mit den E-Zigaretten verdampft werden, bis zu doppelt so viel Nikotin wie herkömmliche Zigaretten. Sie können abhängig machen, den Atemwegen und dem Herz-Kreislauf-System schaden. Der DEBRA-Studie zufolge ist auch die Zahl der 14- bis 17-jährigen Dampferinnen und Dampfer innerhalb eines Jahres stark gestiegen. 

Lilli glaubt, es könnte dann immerhin in Gruppensituationen leichter werden, auf Tabak zu verzichten. Weil sie gerne mit anderen zusammen raucht, könnte sie trotzdem Rauch auspusten. Denn das gefällt ihr am Rauchen am besten: dabeistehen. 

Deutschland belegt auf der europäischen Tabakkontroll-Skala abgeschlagen den 34. Platz. Nur drei Länder haben eine noch raucherfreundlichere Gesetzeslage: Serbien, die Schweiz und Bosnien-Herzegowina. Skandinavische Länder erzielten Erfolge mit Preiserhöhungen und Rauchverboten. Dafür sind etwa in Schweden und Norwegen Snus, Kau- und Lutschtabak beliebter geworden. „Das ist immer noch gesünder als Rauchen“, meint Mons, die Expertin für Tabakprävention von der Uni Köln. 

In Neuseeland wird das Mindestalter für den Kauf von Zigaretten jedes Jahr erhöht

„Ich liebe den Vibe. Und ich will wie Carrie Bradshaw sein, die hatte in der TV-Serie ‚Sex and the City‘ immer eine Zigarette in der Hand. Ich will aber irgendwann wieder aufhören. Nur noch nicht jetzt.“

Dina, 19, Auszubildende aus Mainz

In der Vergangenheit zeigten gesundheitspolitische Schritte Wirkung: Anfang der 2000er-Jahre erhöhte die Regierung aus SPD und den Grünen die Tabaksteuer immens. Die Nachfrage sank innerhalb von vier Jahren um 29 Prozent. „Vor allem junge Menschen reagieren auf hohe Preise sensibel, weil sie einfach nicht so viel Geld zur Verfügung haben“, sagt Ute Mons. In Großbritannien beispielsweise kostet eine Schachtel inzwischen weit über zehn Pfund (umgerechnet rund 11,50 Euro), seit 2017 verpackt in standardisierte, matschbraune Verpackungen. Der Farbton wurde auserkoren, weil er in Tests als besonders unattraktiv bewertet wurde.

Außerdem gilt in Großbritannien vielerorts ein noch strikteres Rauchverbot. „Die Hilfestellungen für Aussteiger sind auch sehr gut. Nikotinersatzprodukte, Verhaltenstherapie – alles von der Krankenkasse bezahlt“, sagt Mons.

Eine weitere Stellschraube sei laut Mons die Verfügbarkeit. In Frankreich beispielsweise kann Tabak nur in gesonderten Läden gekauft werden, die nachts schließen. In Deutschland haben Tankstellen ewig auf, an jeder Supermarktkasse, selbst in Drogerien gibt es Tabakerzeugnisse an der Kassenauslage. Jugendliche unter 18 Jahren dürfen in der Öffentlichkeit allerdings nicht rauchen – und ihnen dürfen keine Tabakwaren verkauft werden. In Neuseeland wird das Mindestalter für den Kauf von Zigaretten jedes Jahr ein Jahr höher gesetzt – ab 2027 kann keine Person unter 18 Jahren mehr legal Zigaretten kaufen. Im Jahr darauf steigt die Altersgrenze auf 19, dann auf 20 und so jährlich immer weiter. Ein heute 14-Jähriger kann so nie in seinem Leben legal Zigaretten kaufen. „Das ist das End Game, die Neuseeländer haben 30 Jahre darauf hingearbeitet“, sagt Mons, „und die kürzlich neu gewählte Regierung will das Gesetz jetzt wieder stoppen.“

„Rauchen sieht sexy aus. Alle wissen ja, dass es schädlich ist, darum hat es eine lässige ‚Scheißegal‘-Attitude. Man ignoriert fast schon die Sterblichkeit. Und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen finde ich ansprechend.“

Louise, 21, Studentin aus Leipzig 

End Game – es ist und bleibt ein schwerer Kampf. In der Europäischen Union (EU) gibt es ähnliche Ziele. Bis 2040 sollen weniger als fünf Prozent der Bevölkerung rauchen. Warnhinweise auf Verpackungen, Abschreckungsbilder und eine Mindestbesteuerung sind jetzt bereits durch die EU geregelt. „Am wichtigsten“, sagt Mons, „bleibt der Kulturwandel. Vor 30 Jahren fanden Gäste es unfreundlich, wenn sie nicht in der Wohnung rauchen durften. Damals haben sogar Eltern mit ihren Kindern geraucht.“ Lilli kennt einige Gleichaltrige, die auch heute wieder in Gegenwart ihrer Eltern rauchen dürfen. 

Ein bisschen ist es wie beim Klimawandel. Dass die Folgeschäden erst so viel später auftreten – das sieht Lilli als größtes Problem dabei, sofort aktiv zu werden: „Man stirbt ja nicht direkt.“ 

Titelbild: William Keo / Magnum Photos / Agentur Focus

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