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„Es gibt Rassismus speziell gegen Schwarze Menschen“

Der Afrozensus hat erstmals statistische Angaben über Schwarze Menschen in Deutschland gesammelt. Wir haben gefragt, was dabei herausgekommen ist

Afrozensus

Zur Situation Schwarzer Menschen in Deutschland gab es bisher kaum Daten. Um das zu ändern, hat der Berliner Verein Each One Teach One gemeinsam mit Citizens For Europe und gefördert von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes den Afrozensus durchgeführt. Insgesamt wurden Daten von circa 6.000 Personen ausgewertet, die Ergebnisse sind hier nachzulesen. Wir haben mit zwei der Studienautorinnen gesprochen: Teresa Bremberger, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Citizens For Europe, und Muna Aikins, Autorin und Dozentin an der Hochschule Düsseldorf.

fluter.de: Als die Ergebnisse des Afrozensus vorgestellt wurden, sprach die Moderatorin Anne Chebu von einem „Meilenstein der Schwarzen deutschen Geschichte“. Was geht euch als Mitinitiatorinnen bei so einer Formulierung durch den Kopf?

Muna Aikins: Es fühlt sich etwas komisch an, die eigene Arbeit als Meilenstein zu bezeichnen, aber historisch gesehen ist es ja schon so. Zumindest gab es diese Daten in der Form bisher nicht. Deswegen hat der Afrozensus für uns als Forschende und als Schwarze Personen eine so grundlegende Bedeutung.

Teresa Bremberger: Während des Umfrageprozesses hatten wir eigentlich kaum Zeit, darüber nachzudenken, oder haben es ausgeblendet, weil wir uns natürlich auch der großen Verantwortung bewusst waren, die da auf uns lag. Erst hinterher, als wir die Ergebnisse präsentiert haben, dachten wir uns: „Krass, was hier gerade passiert!“

Über 93 Prozent der Befragten geben an, dass ihnen nicht geglaubt wird, wenn sie Rassismus ansprechen

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Afrozensus
Die Bilder, die hier zu sehen sind, stammen aus der Serie „Masks, Myths and Subjects“. Die Fotografin Alexandra Polina porträtierte darin junge Menschen, die in Deutschland geboren sind und trotzdem oft nicht als Deutsche wahrgenommen werden, weil sie einer „Visible Minority“ angehören

Es war ein langer Weg, bis ihr die Ergebnisse veröffentlichen konntet. Wie hat die Corona-Pandemie eure Arbeit beeinflusst?

Teresa: Ursprünglich hatten wir einige Präsenzveranstaltungen geplant, auch in den Communitys, weil ja nicht alle Zugang zu einem PC haben oder mit Onlineumfragen vertraut sind. Wir wollten auch in Afroshops gehen, um direkt mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Leider war das kaum möglich.

Muna: Ja, die persönliche Ansprache war auf jeden Fall schwieriger. Manche Gruppen konnten wir kaum erreichen, zum Beispiel geflüchtete Menschen. Insgesamt haben an der Befragung verhältnismäßig mehr jüngere Menschen teilgenommen, mehr Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss, mehr Menschen aus größeren Städten und überdurchschnittlich viele Frauen.

Teresa: Für uns selbst war die Pandemie natürlich auch eine große Belastung. Viele aus dem Kernteam haben kleinere Kinder. All die Einschränkungen und Kitaschließungen mit unserem Arbeitsalltag zu vereinbaren war eine große Herausforderung.

Obwohl über 6.000 Menschen am Afrozensus teilgenommen haben, sind eure Ergebnisse statistisch nicht repräsentativ, das heißt nicht auf die Grundgesamtheit verallgemeinerbar.

Teresa: Ja, das hat vor allem methodische Gründe, denn bisher liegen keine quantitativen Daten zur Grundgesamtheit vor. Gleichzeitig war es schwer, die Grundgesamtheit überhaupt zu erreichen, da es sich für viele Betroffene um ein sensibles Thema handelt – und dann kamen auch noch die Einschränkungen durch Corona hinzu. Statt die Teilnehmenden über eine Zufallsstichprobe auszuwählen, wie es für repräsentative Befragungen üblich ist, haben wir daher die sogenannte „Schneeballmethode“ verwendet. Das bedeutet, dass wir gezielt Personen oder Organisationen angesprochen haben, die wiederum weitere Personen auf die Umfrage aufmerksam gemacht haben. Zusätzlich haben wir den Afrozensus groß beworben, vor allem in den sozialen Medien.

Muna: Dadurch konnten wir aber auch gezielt Gruppen ansprechen, die bei großen Befragungen sonst häufig übersehen werden, wie Trans- oder beeinträchtigte Menschen, und so mehr Facetten Schwarzer Lebensrealitäten abbilden.

Fast 80 Prozent der Befragten berichten von sexualisierten Kommentaren auf Dating-Apps bezüglich ihres Aussehens/ihrer Herkunft

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Afrozensus
Polina wollte in ihren Bildern Erfahrungen aus dem Alltagsleben der Fotografierten wiedergeben. Dafür nutzte sie bewusst klischeehafte oder folkloristische Darstellungen

Euer Bericht ist mittlerweile öffentlich zugänglich und umfasst über 300 Seiten. Was sind für euch die wichtigsten Erkenntnisse?

Muna: Für uns war es wichtig zu zeigen, dass Rassismus kein persönliches, sondern ein strukturelles Problem ist. Und dass es Rassismus speziell gegen Schwarze Menschen gibt. Das hat der Afrozensus nun in vielen unterschiedlichen Lebensbereichen sichtbar gemacht. Besonders stark finde ich, dass diese Daten Schwarzen Menschen helfen können, ihre Erfahrungen als geteilte Erfahrungen wahrzunehmen.

Teresa: Eine wichtige Erkenntnis war auch, dass es unter den Befragten zwar viele Gemeinsamkeiten gibt – zum Beispiel haben viele angegeben, dass sie häufig aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Herkunft sexualisiert oder kriminalisiert werden –, aber trotzdem können Schwarze Lebensrealitäten sehr unterschiedlich sein. Auch innerhalb der Schwarzen Communitys gibt es bestimmte Gruppen, die besonders marginalisiert oder vulnerabel sind, wie Trans- oder nichtbinäre Menschen, Menschen mit Fluchterfahrung oder auch Menschen mit Beeinträchtigung.

„Vor allem im Gesundheitswesen gibt es großen Handlungsbedarf“

Hat euch etwas an den Ergebnissen überrascht?

Muna: Positiv überrascht hat mich, wie viel Kraft und Expertise Schwarze Menschen oft aufbringen, um ihre Situation zu analysieren und Strategien zu entwickeln, mit der Diskriminierung umzugehen.

Teresa: Interessant war auch, dass es vor allem im Gesundheitswesen großen Handlungsbedarf gibt. Viele Schwarze Menschen müssen sich täglich mit Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen, das kann sich auch auf die psychische und körperliche Gesundheit auswirken. Dieses Thema sollte besser evaluiert und aufgearbeitet werden.

Über 90 Prozent der Befragten geben an, dass ihnen ungefragt in die Haare gegriffen wird

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Afrozensus
Herausgekommen sind Bilder, die hinterfragen, wie Menschen exotisiert und als Fremde abgestempelt werden

Was passiert jetzt mit euren Ergebnissen?

Muna: Zum einen sollen sie die Schwarzen Communitys stärken und es ihnen ermöglichen, auf dieser Grundlage selbst weiterzuarbeiten. Zum anderen sollen die Ergebnisse bei Politik und Verwaltung strukturelle und institutionelle Veränderungen anregen. Sei es auf dem Wohnungsmarkt, in der Bildung oder im Gesundheitsbereich.

Welche konkreten Forderungen habt ihr an die Politik?

Muna: Am Ende unseres Berichts gibt es eine detaillierte Aufzählung von Forderungen und Handlungsempfehlungen. Ein zentraler Punkt ist, dass anti-Schwarzer Rassismus als spezifische Form von Rassismus anerkannt und adressiert werden sollte. Aktuell werden die Bedürfnisse von Schwarzen Menschen häufig nicht wahrgenommen oder allgemein dem Aspekt „Migrationshintergrund“ untergeordnet. Die Befragten selbst haben häufig angegeben, dass Schwarze Personen auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu wenig repräsentiert sind und dass es an professionellem Umgang mit Rassismus fehlt. Dazu gehören zum Beispiel auch unabhängige Beschwerdestellen.

Teresa: Wir haben die Datengrundlage geliefert, die immer von uns gefordert wurde. Jetzt liegt es an Politik und Verwaltung, die Ergebnisse zu nehmen, um auf Landes- und Bundesebene gegen anti-Schwarzen Rassismus vorzugehen.

Ihr habt circa zweieinhalb Jahre an dem Projekt gearbeitet. Hat der Afrozensus eure Arbeit oder euren Blick auf das Thema verändert?

Muna: Es ist wahrscheinlich noch zu früh, um das zu beantworten. Auf jeden Fall habe ich mehr über die Vielfalt der Schwarzen Communitys gelernt und ein tieferes Verständnis für anti-Schwarzen Rassismusentwickelt. Für mich war die Arbeit am Afrozensus aber auch sehr intensiv und kräftezehrend.

Teresa: Dem kann ich mich nur anschließen. Es war ein emotionaler Prozess. Jetzt müssen wir erst mal durchatmen und alles verarbeiten.

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Teresa Bremberger
Teresa Bremberger

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Muna Aikins
Muna Aikins

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