Eigentlich bin ich kein großer Tierliebhaber. Aber ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – und einen guten Riecher, wenn es um Tierquälerei geht. Deshalb hörte ich auf mein Bauchgefühl, als ich – gemeinsam mit einer Gruppe von Aktivisten – einem Lastwagen von einem Schlachthof der Süddeutschen Truthahn AG folgte. Im Gepäck hatte ich ein Fernglas, einen Tarnanzug, ein Nachtsichtgerät und meine Kamera.
Unser Verein Soko Tierschutz hatte einen anonymen Tipp bekommen, dass die Firma ihre Produkte als regional verkauft, obwohl die Puten von weit her kommen und in Deutschland nur geschlachtet werden. Der Begriff „Region“ ist nämlich nicht gesetzlich geschützt. Während der Verbraucher denkt, er kauft vom Bauern nebenan, können die Tiere zum Beispiel aus osteuropäischen Mastbetrieben kommen, die bis zu 550 Kilometer entfernt sind. Das wollten wir beweisen, als wir in Bayern losfuhren.
„Langsam auf dem Bauch robbend näherte ich mich der Mastanlage. Es waren über 30 Grad, und mir war knallheiß. So mussten sich die Puten im Transporter fühlen.“
Nach 14 Stunden Verfolgung bis hinter die ungarische Grenze ging es schließlich über einen Feldweg zur Mastanlage. Jetzt begann der wichtigste Teil: die Dokumentation, bei der ich natürlich nicht erwischt werden wollte. Zwar ist das Fotografieren keine Straftat, aber die Angestellten und das Sicherheitspersonal reagieren oft aggressiv. Deshalb zog ich meinen Tarnanzug über. Langsam auf dem Bauch robbend näherte ich mich der Mastanlage. Es waren über 30 Grad, und mir war knallheiß. So mussten sich die Puten im Transporter fühlen.
Seit Juli ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen bayerischen Milchviehbetrieb, nachdem Aufnahmen der Soko Tierschutz veröffentlicht worden waren. Obwohl die Aufnahmen heimlich entstanden, dürfen sie im Verfahren verwendet werden, wenn ihre Echtheit bestätigt wird. 2018 wurden erstmals Aktivisten freigesprochen, die illegal in einer Mastanlage gefilmt hatten. Das Tierwohl sei in diesem Fall höher zu gewichten als das Hausrecht der Betreiber, entschied das Gericht.
Der Lkw war nur noch fünf Meter von mir entfernt. Als ich meine Kamera zwischen Brennnesseln installierte, hörte ich das erste laute Krachen: Jemand hatte eine 20 Kilogramm schwere Pute, die nicht mehr allein laufen konnte, in einen Metallbehälter des Transporters geschmissen, in den 500 bis 600 Tiere hineinpassen, verteilt auf sechs Etagen. Die Schlachthofarbeiter verluden Hunderte Puten und ließen ihren Frust an den Tieren aus, schlugen auf sie ein oder kickten sie mit Füßen in die Käfige. Daneben stand ein Kontrolleur, der eigentlich das Wohl der Tiere gewährleisten soll, und rauchte. Nach 25 Minuten war der Spuk vorbei, und wir folgten dem Laster wieder zurück nach Deutschland. „Regional“ scheint mir ein sehr flexibles Siegel.
Die Mitarbeiter, die diesen Job machen, sind arme Kerle, die schlecht verdienen. Manche, die genug haben von dem Elend, wenden sich an uns. Diese Whistleblower können für uns Kameras installieren, selber filmen oder uns Dokumente zuspielen. Oft sind das so richtig harte Typen, die irgendwie in dieses System reingeraten sind, ihr Leben lang Tiere misshandelt haben und plötzlich nicht mehr können.
Nachdem wir uns in der Vergangenheit mit ähnlichen Quälereien an die Öffentlichkeit gewandt hatten, wurde mein Auto beschädigt, mein Briefkasten aufgebrochen, mir wurde aufgelauert. Aber der Erfolg ermutigt mich, weiterzumachen. Nach unseren Recherchen wurden allein in den letzten zwei Jahren sechs Schlachthöfe, ein Tierlabor und zahlreiche Mastanlagen geschlossen. Tierschutz ist zwar ein Kampf gegen Windmühlen, aber meine Arbeit hat etwas in der Gesellschaft verändert.
Titelbild: SOKO Tierschutz