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Tach Frank-Walter

Schreiben Menschen mit persönlichen Anliegen dem Bundespräsidenten, landen diese Briefe im „Bürgerbüro“. Die Leiterin Antje Siebenmorgen erklärt, wer da schreibt und wie sich der Ton verändert hat

Post Bundespräsident
(picture-alliance / dpa)

fluter.de: Frau Siebenmorgen, auf Ihrem Schreibtisch landen viele Zuschriften an den Bundespräsidenten – wie viele Briefe haben Sie vor unserem Treffen schon gelesen?

Antje Siebenmorgen: Heute früh waren es 43 Briefe, ein eher ruhiger Tag. Über meine gesamte Tätigkeit hinweg sind hier bisher rund eine Dreiviertelmillion Briefe angekommen. Ich arbeite seit 1994 im Bürgerbüro, seit Roman Herzog (1994 bis 1999 der siebte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Anm. d. Red.). Viele weitere Briefe, zum Beispiel zu aktuellen Themen oder zu Reden und Terminen des Bundespräsidenten, werden von den inhaltlich jeweils zuständigen Referaten bei uns im Haus beantwortet.

Welche Bitten haben die Menschen?

An erster Stelle stehen ausländerrechtliche Angelegenheiten, also Visafragen oder der Familiennachzug. Weitere Bitten, die mich erreichen, betreffen persönliche Rechtsangelegenheiten wie Nachbarschaftsstreitereien. Auch Job- und Wohnungsgesuche sind dabei. Und dann gibt es noch das, was ich den alltäglichen Wahnsinn nenne.

Was heißt das?

Heute hat zum Beispiel einer den Bundespräsidenten darauf hingewiesen, dass Angela Merkel Todesschwadronen über unserem Land verteilt habe. Ein anderer hat sich darüber beschwert, dass seine Corona-Masken manipuliert würden, um ihn giftige Fasern einatmen zu lassen. Diese Gruppe ist seit der Pandemie leider deutlich gewachsen.

Kriegen alle eine Antwort?

Ja, wir beantworten jeden Brief – außer denen, die einen offensichtlich verrückten Inhalt haben. Darauf gehen wir nicht ein.

„Der erste Bundespräsident Theodor Heuss hat diese Briefe mal als ‚empfindsamen Seismografen der Hoffnungslosigkeit‛ bezeichnet“

Also schreiben Ihnen vor allem Verzweifelte und Verwirrte?

Nein, das kann man nicht sagen. Der Bundespräsident erhält Post aus allen Teilen der Gesellschaft, von Kindern und Jugendlichen, von Bürgerinnen und Bürgern mit einem politischen Anliegen, manche nachdenklich, andere aufgebracht, oder auch von Menschen, die private Sorgen haben. Die persönlichen Petitionen werden von uns im Bürgerbüro bearbeitet. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss hat diese Briefe an ihn und sein Amt insgesamt einmal als „empfindsamen Seismografen der Hoffnungslosigkeit“ bezeichnet. Das finde ich noch immer sehr treffend. Auf meinem Schreibtisch landet der Querschnitt der Probleme der Bürgerinnen und Bürger. Wer sich an uns wendet, hat oft eine Verzweiflungstour hinter sich.

Worum kann man das deutsche Staatsoberhaupt überhaupt bitten? Wo liegen die Grenzen seiner Macht?

Die Grenzen sind schnell erreicht. Der Bundespräsident kann die Interessen der Bürgerinnen und Bürger aber zum Beispiel in seinen Reden aufnehmen, oder er kann sie bei seinen Reisen im Land aufgreifen. Auch in Gesprächen, etwa mit dem Bundeskanzler oder einzelnen Ministerinnen und Ministern, kann der Bundespräsident darauf hinweisen, wo den Menschen im Land der Schuh drückt.

Machen sich die Absender falsche Hoffnungen?

Nein, die meisten wissen ganz genau, dass ihnen der Bundespräsident kein Studium oder Visum vermitteln kann, aber sie wissen einfach nicht mehr weiter.

Weiterlesen:

Und was macht der Bundespräsident abgesehen von Post erhalten sonst so? Das könnt ihr in unserem FAQ nachlesen

Sind diese Bitten dann alle vergebens?

Das würde ich nicht sagen. Wir haben keine direkte Macht, aber wir können die Anliegen mit unserem Briefkopf weiterleiten. Das hat oft einen erstaunlichen Effekt. Manchmal genügt schon unsere Bitte um nochmalige Prüfung des Vorgangs, um Bewegung in die Sache zu bringen. Ich nenne es das präsidiale Florett.

Wenden sich auch junge Menschen an den Bundespräsidenten?

Ja, zu ganz unterschiedlichen Bereichen wie Bildung, Klima- und Umweltschutz, den Folgen der Pandemiebekämpfung und vielen weiteren Themen. Unter den Schreiben mit persönlichen Petitionen sind die Jungen dagegen seltener vertreten. Die meisten sind 50 plus. Wenn uns junge Leute schreiben, geht es in erster Linie um Ausbildungs- und Studienplätze oder strafrechtliche Angelegenheiten wie Rauschgiftdelikte.

Haben sich die Themen der Jungen seit Roman Herzog verändert?

Nein, die Themen sind die gleichen. Zu Herzogs Zeiten waren allerdings die Hürden eines Schreibens an das Staatsoberhaupt höher als heute. Damals hatte ja noch nicht jeder Internet und konnte E-Mails schreiben. Und welcher junge Mensch verfasst schon handschriftlich Briefe?

Erst die E-Mail hat ein Band zwischen Jugend und Staatsoberhaupt geknüpft?

Mit Blick auf die persönlichen Eingaben an den Bundespräsidenten kann man sagen, dass das Internet die Zugänge ganz klar erleichtert hat.

Welches Bild haben die Menschen vom Bundespräsidenten? Eher strenger Vater oder gütiger Weihnachtsmann?

Da sind wir wieder bei Theodor Heuss – den nannten damals viele „Papa Heuss“, wogegen er sich immer streng verwehrte. Johannes Rau wurde vielleicht auch noch so gesehen, aber mittlerweile sieht man den Bundespräsidenten – trotz weißer Haare – nicht mehr als Vaterfigur. So etwas ist heute out.

„Heute beginnen manche ihr Schreiben mit ‚Tach Frank-Walter‛ oder drohen damit, zu RTL zu gehen, wenn der Bundespräsident nicht helfen sollte“

Wie viele schreiben ihre Briefe noch von Hand?

Diese Zeiten sind vorbei. Neunzig Prozent kommen per E-Mail. Am Zeitstempel sehe ich, dass uns viele nach Mitternacht schreiben. Auffallend viel Post bekommen wir nach Vollmond. Da können die Leute wohl besonders schlecht schlafen. Das macht sich auch in den Umgangsformen bemerkbar.

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Antje Siebenmorgen (Foto: privat)

Antje Siebenmorgen, 62, leitet seit 28 Jahren das Bürgerbüro des Bundespräsidenten

(Foto: privat)

Je später, desto ruppiger der Ton?

Die Uhrzeit spielt schon eine Rolle. Aber der Trend ist grundsätzlicher. Der Ton ist ja überall in der Gesellschaft härter geworden. Ein großer Einschnitt war für uns der Rücktritt Horst Köhlers. Dass ein Staatsoberhaupt sein Amt aufgibt, das bis dahin als quasi sakrosankt gegolten hat, das war ein Dammbruch. Danach ging es bergab mit den Manieren der Einsender. Noch schlimmer wurde es nach dem Rücktritt von Christian Wulff. Joachim Gauck konnte das dann wieder ein gutes Stück heilen. Und Frank-Walter Steinmeier sowieso. Trotzdem beginnen heute manche ihr Schreiben mit „Tach Frank-Walter“ oder drohen damit, zu RTL zu gehen, wenn der Bundespräsident nicht helfen sollte.

Gibt es auch erfreuliche Zuschriften?

Sicher. Nette Worte gibt es immer wieder. Früher, bevor wir auf die elektronische Akte umgestellt haben, kamen hier auch ab und zu gehäkelte Topflappen, selbst verlegte Bücher und hausgemachte Weihnachtsplätzchen an.

Was geschieht mit solchen kleinen Geschenken?

Dafür bedanken wir uns sehr herzlich.

Und dann?

Werden sie bei uns aufbewahrt. Kann ja sein, dass jemand seine Sachen zurückhaben will. Nicht die Plätzchen natürlich.

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