Thema – Identität

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Mit Pride gegen Prejudice

In der brandenburgischen Provinz feiern junge Menschen den CSD, trotz der Zunahme von Hassverbrechen und Queerfeindlichkeit. Wie geht es ihnen damit?

  • 8 Min.
CSD Parade in Oranienburg

Anspannung liegt in der Luft. Es ist der 21. September 2024, kurz nach zwölf Uhr, etwa 20 Menschen stehen und sitzen auf einem Parkplatz herum, zwischen Lautsprecherwagen und Polizeiwagen. In weniger als einer Stunde soll der CSD im brandenburgischen Oranienburg starten.

Ein Mann mit regenbogenfarbenen Hosenträgern fährt mit seinem Fahrrad vor und bremst vor einer Gruppe junger Menschen, die auf einer Bordsteinkante hocken. „Da sind echt richtige Faschos am Bahnhof“, sagt er. „Wenn Leute anreisen, müssen wir denen Bescheid geben! Viele werden über den Bahnhof kommen.“

Es ist das zweite Mal, dass eine Demonstration zum Christopher Street Day durch Oranienburg ziehen soll. Die Mittelstadt mit 48.000 Einwohner*innen reiht sich damit in einen Trend ein: Pride-Demos kommen aus den Großstädten auch raus aufs Land. Neun CSDs fanden 2024 in Brandenburg statt, mehr als jemals zuvor. In ganz Deutschland waren es in diesem Jahr 199 CSD-Veranstaltungen.

Vor dem CSD Oberhavel, wie die Pride in Oranienburg heißt, hatten Mitglieder der als rechtsradikal eingestuften Partei „Der Dritte Weg“ im Vorfeld Flyer entlang der CSD-Route in die Briefkästen gesteckt, um dagegen zu mobilisieren. Im sächsischen Bautzen riefen vor kurzem unter anderem die rechtsextremen „Jungen Nationalisten“ und „Freien Sachsen“ zu einer Gegendemo auf. Rund 700 Menschen kamen zusammen und machten dort Stimmung gegen den CSD. In Dresden setzte die Polizei rund 90 Menschen fest, die einem Aufruf der rechtsextremen Gruppe „Elblandrevolte“ gefolgt waren.

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Drei Männer in Fetisch Hundekostümen
Auch sie sind zum CSD nach Oranienburg gekommen, …

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Organisatorin Eliza
… den unter anderem Eliza (18) mitorganisiert hat

Und jetzt also Oranienburg. Hier wurde im Vorfeld eine Gegendemonstration mit 300 Teilnehmer*innen angemeldet. „Ich fühle mich trotzdem relativ sicher gerade, man sieht ja, dass viel Polizei präsent ist“, sagt Eliza. Die 18-Jährige kommt aus Oranienburg und hat den CSD mitorganisiert. Es ist ihr wichtig, gegen queerfeindliche Vorurteile einzutreten. „Viele denken, dass wir alle nichtqueeren Leute ausschließen wollen, das wurde mir schon vorgeworfen. Auf Partys wurde ich oft angesprochen, du machst ja beim CSD mit, voll komisch.“

Im Mai 2024 stahlen Unbekannte eine auf dem Oranienburger Schlossplatz gehisste Regenbogenflagge. Im März 2023 griff eine Gruppe Jugendlicher einen schwulen Lehrer an, beleidigte, bespuckte und schlug ihn. Auch jenseits des CSD steigen die erfassten Hassverbrechen in der Region: Die Berliner Polizei hat 2023 mit 690 Straftaten so viele queerfeindliche Vergehen verzeichnet wie nie. Dabei werden nur wenige der Verbrechen eindeutig rechts politisch motivierter Kriminalität zugeordnet, sondern die meisten Delikte fallen unter „sonstige Zuordnung“. Bei den Tätern wurde demnach kein festes ideologisches Profil erkannt. In Brandenburg selbst wurden der Polizei im vergangenen Jahr 23 queerfeindliche Hassverbrechen gemeldet, wobei eine hohe Dunkelziffer angenommen wird. Der Zusammenschluss von Opferberatungsstellen VBRG registrierte von 2022 auf 2023 einen Anstieg LGBTIQA*-feindlicher – rechter – Gewalt um ca. 24 Prozent.

„Ich hatte schon Panik, als ich die gesehen habe.
Die Gruppe hat mir wieder Sicherheit gegeben“

Der Parkplatz füllt sich endlich mit CSD-Teilnehmer*innen. Von Polizei eingerahmt stehen rund 40 mutmaßliche Rechtsextreme, mehrheitlich erwachsene Männer, hinter einem Banner mit der Aufschrift „Es gibt nur zwei Geschlechter“. Sie rufen Parolen wie „Wer Deutschland nicht liebt, muss Deutschland verlassen“ und haben eine schwarz-weiß-rote Reichsflagge dabei. Diese war die Flagge des Deutschen Kaiserreichs und wird heute häufig von Neonazis als Alternative zur verbotenen Hakenkreuzflagge benutzt.

„Ich hatte schon Panik, als ich die gesehen habe“, sagt Felix. Der 15-Jährige ist alleine aus Liebenwalde angereist, hat aber in Oranienburg Freund*innen getroffen. „Die Gruppe hat mir wieder Sicherheit gegeben.“ Bedrohungen durch Neonazis hat Felix vorher noch nicht erlebt, trotzdem ist er als trans Junge ständig mit Diskriminierung konfrontiert. „Ich werde in der Schule gemobbt und auch mit Gewalt bedroht. Deshalb darf ich zu meiner eigenen Sicherheit nicht mit auf Klassenfahrten fahren“, erzählt er.

 Rechte hinter einem Banner mit der Aufschrift „Es gibt nur zwei Geschlechter“.
Brauchen Nachhilfe in Biologie und in Kommasetzung: Rechte Gegendemonstranten in Oranienburg

Auch seine Freund*innen, alle aus verschiedenen brandenburgischen Kleinstädten, berichten von Hass auf queere Menschen – vor allem in der Schule. „Ich bin durch meine Schulzeit abgehärtet, da habe ich wirklich schlimme Kommentare bekommen. Einmal wurde ich mit Steinen beworfen“, sagt der 18-jährige Noel. „Sogar Lehrer machen sich über uns lustig und sagen zum Beispiel, der eine identifiziert sich als Fuchs, der andere als Hund“, sagt die 14-jährige Stella. „Es bräuchte ein Unterrichtsfach, wo wir darüber lernen und reden.“

Für Felix aus Liebenwalde ist es in Oranienburg der erste CSD. „Wir wollen zeigen, dass wir nicht alleine sind.“ Dieser Wunsch scheint sich zu erfüllen. Als sich der Demonstrationszug in Bewegung setzt, füllen rund 1.000 Menschen mit Flaggen und bunten Outfits die Straße. Auf ihren Plakaten steht: „Nazis raus aus den Köpfen“ oder „Queers aller Länder, vereinigt euch“. Als die Demo am Bahnhof und den paar Dutzend Nazis vorbeiläuft, recken sich Mittelfinger in die Höhe, und die Menge singt den traditionellen Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“.

„Rechtsextremismus basiert auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit. Menschen sind nicht bloß unterschiedlich, es wird ihnen ein unterschiedlicher Wert gegeben“

Die aktuellen queerfeindlichen Protestbewegungen gehen einher mit einem sichtbaren Rechtsruck in der politischen Landschaft. Bei den Landtagswahlen im September ist die AfD zweitstärkste Kraft geworden. Der brandenburgische AfD-Landesverband wird vom dortigen Verfassungsschutz aktuell als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft. Auch bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen hat die AfD, deren Landesverbände beide als gesichert rechtsextrem eingestuft wurden, deutlich an Stimmen dazugewonnen.

Wenngleich die AfD auf anderen Ebenen auch queeres Führungspersonal ausweisen kann, stellt sich die Frage: Sorgen Wahlerfolge rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien für mehr Queerfeindlichkeit? „Das Ausmaß von Gewalt gegen queere Menschen war auch unabhängig von rechtsextremer Hetze enorm hoch. Es herrschte also bereits ein anschlussfähiges Klima, mit dem man Politik machen kann“, sagt Gideon Botsch, Professor für Politikwissenschaften mit Fokus auf Rechtsextremismus. Dennoch befürchtet er, dass die Wahlerfolge solcher Parteien Menschen mit queerfeindlichen Haltungen in ihrer Meinung bestärken. „Dadurch kommt es zu diesem Höhenrauschgefühl: ‚Jetzt sind wir dran.‘“

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Zwei Männer küssen sich beim Pride in Oranienburg
In Oranienburg wird die Liebe gefeiert …

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Eine Frau hebt ein Schild in die Luft
… und „Schrei nach Liebe“ gesungen

Botsch erklärt, wie Queerfeindlichkeit in extrem rechtes politisches Denken passt: „Rechtsextremismus basiert auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit. Menschen sind nicht einfach unterschiedlich, sondern es wird ihnen ein unterschiedlicher Wert gegeben.“ Unwert sei das Leben, das nicht einer bestimmten Ordnung entspreche – zum Beispiel der patriarchalen, heteronormativen Ordnung.

Heute gibt es verschiedene Ideen davon, was Geschlecht bedeutet, immer mehr Menschen outen sich als homosexuell oder bisexuell, fühlen sich keinem binären Geschlecht zugehörig. Die Idee, was Geschlecht ausmacht, verändert sich. Das machen sich Rechtsextreme zunutze. „Sie sprechen gezielt Jugendliche an und scheinen einen Nerv zu treffen, gerade bei jungen, in ihrer Männlichkeit verunsicherten Männern.“ Hier sieht Botsch eine neue Entwicklung: Seit einigen Monaten, etwa einem Jahr, würden junge Rechtsextreme, die früher noch vorgegeben haben, der bürgerlichen Mitte anzugehören, wieder wie Neonazis auftreten, für die rechtsextremen Parteien werben und für ihre Aktionen gegen CSD-Veranstaltungen Hunderte Menschen mobilisieren.

Auf dem Schlossplatz in Oranienburg endet die Demonstration. Noch eine halbe Stunde stehen die Teilnehmer*innen wachsam am Straßenrand und warten auf die rechte Gegendemo. Dann die Erleichterung: Die rund 40 Gegendemonstranten wurden bereits von der Polizei zum Bahnhof eskortiert.

Candy Boldt-Händel ist zufrieden. „Wir waren deutlich mehr und haben ein klares Zeichen gesetzt“, sagt der CSD-Organisator, der die Veranstaltung 2023 ins Leben rief. Er wollte damit für mehr queere Sichtbarkeit sorgen, denn er fühlte sich in Oranienburg nicht sicher. „Ich würde in der Stadt nicht Hand in Hand mit meinem Mann herumlaufen.“ Für Boldt-Händel ist klar: Sich für mehr queere Sichtbarkeit einzusetzen, bedeute immer auch, sich gegen Rechtsextremismus starkzumachen.

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