Worum gehts?
- Der Einfluss der Pharma-Unternehmen auf Politik und Ärzte gilt als sehr groß.
- Besonders die gewinnorientierte Forschung wird oft kritisch gesehen.
- Es gibt eine weltweite studentische Initiative, die sich für mehr Transparenz einsetzt.
- Die Unternehmen sollen ihre klinischen Studien ausnahmslos veröffentlichen und darlegen, wie die Preise ihrer Medikamente zustande kommen.
- In Deutschland ist die Zielscheibe der Kritik der Branchenverband VfA, der sich selbst als Vorreiter in Sachen Transparenz sieht.
Tjada hat Zitronentarte mitgebracht. Nach einem Besuch bei Tumorpatienten musste sie backen, um runterzukommen, erzählt die 21-jährige Medizinstudentin. Sie sagt das in einem kleinen Gruppenraum an der Berliner Charité. Mit gut einem Dutzend weiteren Studierenden gehört Tjada zur Lokalgruppe von Universities Allied for Essential Medicines (UAEM). Diese weltweite studentische Initiative setzt sich für einen gerechten Zugang zu Medikamenten und für mehr Forschung zu seltenen Krankheiten ein.
Hier in Berlin fordern die Studierenden vor allem Transparenz: Die Pharmaunternehmen sollen offen darlegen, wie die Preise ihrer Medikamente zustande kommen und wie sie Einfluss auf die Politik nehmen. „Das Gesundheitswesen ist primär marktwirtschaftlich organisiert. Da es um Leben und Tod geht, wird alles geschluckt“, sagt Tjada. Sie trägt ein bedrucktes Shirt mit einer Pille und der Aufschrift „We have a drug problem“.
Doch nicht nur gewinnorientierte Forschung ist ein kontroverses Thema. Wie in anderen Politikfeldern auch versuchen in der Gesundheitspolitik viele Interessenverbände Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, etwa Ärzteverbände und Krankenkassenverbände – und eben die als sehr mächtig geltende Pharmalobby.
Nicht nur die UAEM-Lokalgruppe an der Charité fordert wegen dieser organisierten Einflussnahme mehr Transparenz und dass offengelegt wird, wie Universitäten und Kliniken bei Medikamentenstudien mit Pharmaunternehmen kooperieren. Ärzten wird unterstellt, dass sie von Pharmaunternehmen beeinflusst werden und in Interessenkonflikte geraten. Kritisiert wird auch, dass manche Politiker pharmafinanzierte Nebeneinkünfte beziehen.
Zielscheibe der Kritik ist der VFA, der Verband Forschender Arzneimittelhersteller, der die Interessen von 42 Pharmaunternehmen vertritt. Allerdings ist der Einfluss des VFA in den letzten Jahren etwas zurückgegangen. Als das sogenannte Arzneimittelmarktneuordungsgesetz (AMNOG) beschlossen wurde, konnte der VFA nicht verhindern, dass fortan der Zusatznutzen von Medikamenten den Verkaufspreis für patentgeschützte Arzneimittel bestimmen sollte.
Es gibt Streit über Studien und ihre Veröffentlichung
Mit anderen Worten: Nur was nachweislich mehr heilt, darf auch mehr kosten. Da diese Regelung potenziell die Einnahmen von Pharmaunternehmen mindert, wurde das Gesetz vom Verband als schwere Niederlage gewertet. Das war 2011. Auf die Frage, wie der VFA mittlerweile zu diesem einstmals kontrovers diskutierten Gesetz steht, formuliert Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung des VFA, hörbar vorsichtig: „Natürlich gibt es dazu unterschiedliche Meinungen. Aber das Gesetz wurde von uns akzeptiert.“ Mehr wolle er zu diesem Thema nicht sagen. Und wie sieht es mit den klinischen Studien aus, die immer wieder als zu intransparent kritisiert werden? Die werden, so Throm, seit bereits 15 Jahren veröffentlicht, und damit sei dem Transparenzgebot Genüge getan.
Das schätzt der 25-jährige Max, der im Vorstand von UAEM sitzt und im elften Semester Medizin studiert, ganz anders ein: „Klinische Studien werden selten bis gar nicht veröffentlicht, wenn sie negativ ausfallen.“ Das stört ihn. Die Uni sei ja eine öffentliche Forschungseinrichtung, daher sollten auch alle Studien öffentlich gemacht werden, egal wie sie ausfallen. Andernfalls könne es passieren, dass Studien wiederholt und Forschungsgelder verschwendet werden.
Zwar gibt es in der EU seit dem 1. Januar 2015 eine Veröffentlichungspflicht aller Studien, egal wie sie ausfallen, doch nach Max’ Auffassung hakt es noch bei der Umsetzung. „Man sieht bereits bei Studien, die registriert werden, dass es oft keine Veröffentlichung oder Publikation gibt. Und man sieht auch bei Studien, die publiziert werden, dass eine Registrierung oft erst nachträglich nach Beginn der Studie und nach Einreichung eines wissenschaftlichen Papers erfolgt.“
An der Charité werden jedes Jahr mehr als 800 klinische Studien durchgeführt. Die überwiegende Zahl dieser Studien wird von hauseigenen Wissenschaftlern verantwortet, wofür Drittmittel bei öffentlichen Förderern, Stiftungen und Industriepartnern eingeworben werden. Patentfähige Erkenntnisse aus klinischen Studien gibt es selten. Dennoch kostet manche Studie laut VFA-Geschäftsführer Throm über 100 Millionen Euro, einfache Studien ab 50.000 Euro.
Forschende Pharmaunternehmen sind verpflichtet, solche Studien registrieren zu lassen und die Ergebnisse zu veröffentlichen – allerdings in einer zusammengefassten Version. Die Rohdaten werden lediglich auf Antrag weitergegeben. Auch haben Studien mit positiven und signifikanten Ergebnissen eine größere Chance, in einer Fachzeitschrift veröffentlicht zu werden, als Studien mit negativen Resultaten.
Pharmaunternehmen verstehen sich als Vorreiter in Sachen Transparenz
Doch selbst positive Studien sind kein Garant für echte Innovationen. Denn nicht alle Medikamente, die neu sind, sind tatsächlich besser. Dann spricht man auch von Scheininnovationen, also Arzneimitteln, die gegenüber bereits erhältlichen Medikamenten keinen Zusatznutzen bringen, aber deutlich mehr kosten. Kritiker wie die Studenten von UAEM bemängeln, es werde zu wenig nachverfolgt, wohin öffentliche Forschungsförderung in der Medikamentenentwicklung genau fließt.
Ihrem Selbstverständnis nach sind die forschenden Arzneimittelhersteller allerdings Vorreiter in Sachen Transparenz. Der sogenannte Transparenzkodex des VFA soll offenlegen, welche Pharmakonzerne welchen Ärzten beispielsweise für Vorträge Geld zahlen. „Transparenz ist für uns ein Mantra“, sagt Throm. Ein Arzt wird nur namentlich erwähnt, wenn er dem auch zustimmt. Hinzu kommt, dass die Pharmaunternehmen nur dazu angehalten, nicht aber verpflichtet sind, mitzumachen. Es gibt also Mittel und Wege, die Transparenz zu verhindern.
Als besonders anfällig für mangelnde Transparenz gilt laut vielen Kritikern das Verhältnis von Pharmafirmen und Politik. In der Gesundheitspolitik, wo es starke wirtschaftliche Interessen gibt, wittern sie Interessenkonflikte – etwa wenn Politiker in Aufsichtsräten von Pharmafirmen sitzen und die Unternehmen sich dadurch einen leichteren Zugang zu den politischen Entscheidern erhoffen. Der Verein LobbyControl fordert deshalb striktere Regeln für Nebeneinkünfte von Abgeordneten und will mehr Offenlegungspflichten für Lobbyisten durchsetzen. Auch berufliche Wechsel von der Politik in die Wirtschaft werden kritisch beäugt, auch wenn sie bereits gesetzlichen Restriktionen unterliegen.
Mit Interessenkonflikten kennt sich auch Thomas Mayer aus. Bis 2013 war er Facharzt für Anästhesie auf einer Intensivstation. Heute ist er Mitarbeiter des GKV-Spitzenverbandes, der bundesweite Verband deutscher Krankenkassen, und ehrenamtlich im Vorstand von MEZIS tätig. Hinter diesem Akronym verbirgt sich die Ärzte-Initiative „Mein Essen zahl ich selbst“, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf ihre Zunft transparenter zu machen und vor allem zu reduzieren.
„Sehr viele Fortbildungen sind von der Industrie gekapert. Das hat zur Folge, dass die Vortragsinhalte häufig interessengeleitet sind“, erklärt Mayer. Er selbst hat 2015 am Jahreskongress der Internisten in Mannheim teilgenommen. Dort liefen Frauen herum, die verkleidet als Asthmainhalatoren Werbung für ein Asthmaspray machten und kostenlose Lunchpakete mit Logo verteilten. Für solche Fälle hat MEZIS online einen sogenannten CME-Melder eingerichtet, damit kritische Ärzte zertifizierte Fortbildungen, wo so etwas vorkommt, anzeigen können. Falls gegen die Richtlinien verstoßen wurde, soll sich die zuständige Ärztekammer einschalten und die Fortbildungspunkte wieder aberkennen.
Verhindern, dass Ärzte nur durch Hochglanzbroschüren und Präsentationen in ihren Verschreibungsverhalten beeinflusst werden
MEZIS kritisiert auch, was bei niedergelassenen Ärzten gängige Praxis ist. Tausende Vertreter von Pharmaunternehmen sind permanent im Einsatz, um Ärzten Studien zu neuen Medikamenten vorzustellen. „Das ist eigentlich Schwachsinn“, sagt Mayer. „Jeder Arzt hat die Möglichkeit, sich selbst über ein neues Produkt zu informieren.“ In Deutschland gebe es zwei neutrale Publikationsorgane, die verhindern sollen, dass ein Arzt vom Vertreter allein durch Hochglanzbroschüren und Präsentationen in seinem Verschreibungsverhalten beeinflusst wird.
Zurück am Campus. Max von der Studierendenorganisation UAEM läuft die Charitéstraße entlang und erklärt: „Besonders in Bereichen mit vielen chronisch Erkrankten wie beispielsweise bei Internisten, Neurologen und Psychiatern ist die Lobbyarbeit ganz groß, da in diesen Bereichen besonders viele Medikamente verschrieben werden.“ Am Virchow-Denkmal bleibt Max plötzlich stehen. Rudolf Virchow gelte als einer der Begründer der modernen Medizin, sagt er – und zitiert dann einen Satz, den Virchow 1848 geschrieben hat: „Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und die Politik ist weiter nichts als Medizin im Großen.“
Fotos: Jan Maschinski