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Das ist doch Schrott

Unsere alten Monitore, Tastaturen und Platinen landen oft auf Mülldeponien Tausende Kilometer entfernt. Der Fotograf Kai Löffelbein ist ihnen hinterhergereist

Elektroschrott Ghana

Fluter.de: Herr Löffelbein, was passiert, wenn ich morgen meinen alten Fernseher oder mein altes Mobiltelefon entsorge?

Kai Löffelbein: Das kommt ganz darauf an. Ich bin kein Elektroschrottexperte, aber ich behaupte, wenn man alte Elektrogeräte regulär entsorgt, sie also bei der Sondermüllsammelstelle abgibt, bleiben sie in Deutschland und werden hier auch ordnungsgemäß recycelt. Aber es gibt auch eine Menge Elektroschrott, der auf Umwegen in afrikanische Länder verschifft wird. Nach Nigeria zum Beispiel. Laut einer Studie sind in den Jahren 2015 und 2016 gebrauchte elektrische Geräte jeweils im Gesamtgewicht von rund 60.000 Tonnen in das Land eingeführt worden. Davon waren mindestens 15.400 Tonnen Schrott. Drei Viertel der Importe stammen demnach aus europäischen Häfen, hauptsächlich in Deutschland und Großbritannien.

Wie kommt es dazu?

Eigentlich darf Elektroschrott aus Deutschland nicht in Länder gelangen, die schlechtere Wiederverwertungsmethoden haben, als sie in Europa gelten. Das ist im sogenannten Basler Übereinkommen zur grenzüberschreitenden Abfallverbringung und einer entsprechenden EU-Richtlinie geregelt. Für „gebrauchte Altgeräte“ gilt das aber nicht. Es kommt streng genommen darauf an, ob die Geräte noch funktionieren. Der Zoll macht aber lediglich Stichproben. Wird ein Container mit Röhrenfernsehern geöffnet, schauen sich die Zollbeamten beispielsweise nur die ersten drei Reihen an. Die werden an den Stromkreis angeschlossen. Ist ein Bild zu sehen, gilt der Monitor als funktionstüchtig. Der Rest des Containers wird nicht kontrolliert. Oft werden die kaputten Elektrogeräte auch in Gebrauchtwagen gepackt, die nach Afrika verschifft werden. Die Kontrollen sind da offenbar sehr lax.

Was passiert mit dem Elektroschrott, wenn er Deutschland verlassen hat?

Der allermeiste Elektroschrott aus Deutschland und England landet in Westafrika. Ich habe in Accra, der Hauptstadt Ghanas, einen Platz mitten in der Stadt besucht, dort wurden unter anderem alte Röhrenmonitore unter rudimentärsten Bedingungen zerlegt. Ich habe gesehen, wie die Arbeiter dort mit Steinen auf die Geräte einschlugen, um so an die darin enthaltenen Metalle zu kommen. Die verkauften sie gleich vor Ort an Händler. Das ist auch eine Form des Recyclings, nur dass der Prozess des Auseinandernehmens sowohl für die Menschen als auch für die Umwelt unglaublich schädlich ist. Auf diesem Platz gibt es auch die „Burner“, Kinder und Jugendliche, die Kabel verbrennen, um an die darin enthaltenen Schwermetalle wie Kupfer oder Cadmium zu kommen. Die Dämpfe, die so freigesetzt werden, sind sehr giftig.

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Elektroschrott Ghana

Der Flimmer-Test – gebrauchte Monitore dürfen ganz legal exportiert werden. Oft finden sich in den Containern mit gebrauchten aber viele defekte Geräte

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Elektroschrott Ghana

Sieht nicht nur ungesund aus, sondern stinkt auch bis zum Himmel – ein „Burner“ bei der Arbeit

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Elektroschrott Ghana

Arbeitsteilung: Die Männer verbrennen die Kabelummantelung, um an das Metall zu kommen; die Frauen bringen Wasser, um das heiße Metall herunterzukühlen

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Elektroschrott Ghana

Hat bestimmt viel Schrott aus Europa im Angebot: ein Händler bei der Pause

Haben Sie die Jungs auf dem Platz in Accra gefragt, ob sie wissen, wie schädlich die Arbeit ist, die sie da tun?

Ja, viele wissen das sehr genau und haben mir berichtet, dass sie morgens oft mit verquollenen Augen und geschwollenem Hals aufwachen. Das Problem ist aber: Wenn sie nicht nah genug an die brennenden Kabel herangehen, dann klaut ihnen jemand das Material. 

Sie waren auch in China. Wie läuft es da?

Richtig entsorgen

In Deutschland werden jährlich ca. 1,7 Millionen Elektrogeräte weggeschmissen. Der größte Teil davon wird illegal entsorgt – zum Beispiel im Hausmüll. Nur 40 Prozent der Geräte werden ordnungsgemäß erfasst und recycelt. Kommunale Sammelstellen nehmen Altgeräte kostenlos an. Aber auch Verkaufsstellen mit einer Ladengröße ab 400 Quadratmeter sind verpflichtet, Altgeräte kostenlos anzunehmen und fachgerecht zu entsorgen.

Ich habe Guiyu in Südchina besucht. Die Stadt bestand damals aus Tausenden kleinen Hinterhofwerkstätten und großen Fabrikhallen, und überall auf der Straße türmten sich meterhohe Berge von Elektroschrott. Gebrauchte Platinen zum Beispiel und alte Lüfter, die mal in Computern verbaut waren. Digitale Friedhöfe, wenn man so will. Die Arbeit in China erschien mir viel industrieller als in Ghana. Auch wurde sie dort mehrheitlich von Frauen erledigt, die Werkzeug zur Hand hatten – auch wenn ihre Arbeit nicht weniger giftig war. Ich habe beobachtet, wie sie die alten Platinen mithilfe eines kleinen Heizöfchens erhitzten, um den Kleber zu lösen, und die Teile dann in Chemie einlegten, um so die einzelnen Bestandteile herauszuschmelzen. Es stank bestialisch nach Metall und Plastik.

Was können wir hier dagegen tun?

Man kann es sich einfach machen und sagen, das alles sei ein Problem mangelnder Kontrollen bei der Ausfuhr. Und ja: Es müsste auf jeden Fall strengere Ausfuhrkontrollen geben. Auch das stimmt: Länder wie Ghana, China und Indien müssten strengere Umweltauflagen einführen oder Gesetze erlassen, die die Einfuhr von Elektroschrott verbieten. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es geht bei alldem ja auch um uns hier im Westen, die wir kaum Elektrogeräte zum Reparieren bringen, sondern sie einfach wegwerfen und neue kaufen, wenn sie nicht mehr funktionieren. Ich finde, die Fehlersuche muss bei uns anfangen. Denn wir sind die Verursacher dieser Masse an Müll. Und wir sollten definitiv mehr über Verzicht nachdenken.

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Elektroschrott China

Tausende kleine Hinterhofwerkstätte gibt es im südchinesischen Guiyu – es ist eines der größten Elektronikschrott-Recyclinggebiet in China

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Elektroschrott China

In Guiyu schmelzen vor allem Arbeiterinnen die Bestandteile aus den Platinen

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Elektroschrott China

Nur 40 Prozent der aussortierten Elektrogeräte werden in Deutschland ordnungsgerecht entsorgt – wie viele davon in chinesischen Häfen ankommen, kann man nur schätzen

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Elektroschrott China

Sieben-Tage-Woche mit täglich 12 Stunden Arbeitszeit sind keine Seltenheit – da muss man zwischendurch auch mal ein bisschen auf den Kabelhaufen abhängen

Kai Löffelbein hat Fotografie und Politikwissenschaften studiert. Beide Bereiche versucht er in seinen Arbeiten zusammenzubringen. Er hat zahlreiche nationale und internationale Preise gewonnen. Im STEIDL Verlag ist kürzlich sein Buch Ctrl-X. A topography of e-waste erschienen.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.